Nicht töten - Probleme in der Praxis

  • Schroedinger:

    Zitat

    Und rechtes Sehen ist eben nichts sehen.


    hm. du meinst nicht-anhangendes sehen ? denn: da ist ursprünglich kein einziges ding bedeutet nicht, nichts ist da, oder ? also ich meine, es ist doch immer noch ne "katze" (fühlendes wesen)
    aber die merkmale sind die illusion. das herzsutra geht ja auch noch weiter ..., und dann wieder von vorn.

  • Sôhei:

    Wieso ufert es eigentlich immer in dogmatischen Wortgefechten aus, wenn man es doch konkret und persönlich halten könnte?


    Die Eingangsfrage war, wie WIR mit dem Problem des Töten umgehen, genannt wurden zwei Beispiele (kranke Katze und Ungeziefer).


    Die Unmöglichkeit, im Leben zu stehen und nicht auf irgendeine Weise ins Töten verstrickt zu sein, wurde ja schon genannt. Es geht also um die eigene Haltung und Einstellung (und vielleicht wie diese durch das eigene Verständnis dessen geprägt ist, was man abstrakt "Buddha-Dharma" oder das sila vom Nicht-Töten nennt), um die eigenen Erfahrungen.
    Davon lese ich hier aber nur wenig...


    Ich stimme Dir völlig zu: Der Thread war von mir so gedacht, dass wir uns konkret anhand eigener Erfahrungen und in Form von Beispielen mit dem Thema beschäftigen ...


    Nun hat es aber Gründe, dass kaum jemand hier über seine konkreten Erfahrungen spricht.
    Morpho hat das vor ein paar Tagen sehr gut auf den Punkt gebracht:


    Morpho:

    In Foren bist du gut beraten, nichts von deinen Gefühlen und "intimeren" Gedanken zu veräussern; ohne dass du in Gefahr eines Hacking läufst; es ist nicht ohne Grund so, dass viele von sich, ihren Erfahrungen und Leben wie in der dritten Person sprechen und immer schön rational daherkommen wollen, man könnte sonst sagen, sie unterliegen Täuschungen der Anhaftung an Gefühle und Gedanken, und insofern Unwissenheit.


    Es ist keine leichte Übung, konkrete Erfahrungen preiszugeben, über die anschließend von einigen rigide abgeurteilt wird, häufig ohne Argumente und ohne die Situation zu berücksichtigen, über die berichtet wurde.


    Ich selbst habe es zuletzt auch nicht mehr geschafft, darauf gelassen zu reagieren bzw. eben gar nicht zu reagieren.


    Kurz: Wer hier tatsächlich persönliche Erfahrungen einbringt, muss sich auf eine harte Übung in Gleichmut einstellen. :lol:


    P.S. Möchtest Du selbst "konkrete und persönliche" Erfahrungen zum Thema beitragen? :)

  • Sudhana:
    Tychiades:

    Ich lass den Sophisten jetzt mit seinen Gedanken allein.


    Du wirkst heute ein wenig dünnhäutig. Erst die süffisante Empfehlung mit den Disney-Filmen, jetzt der Sophist ... Wie auch immer, ich fand den Austausch ... interessant. Wenn das nicht auf Gegenseitigkeit beruht, lasse ich Dich gerne in Ruhe.


    ()


    Hauptsache Humor. Ich fand es auch interessant, ich hatte nur noch was zu erledigen und musste mich aus der Debatte lösen. :)

  • Aus dem Kesi Sutta:


    http://www.palikanon.com/angutt/a04_101-120.html#a_iv111



  • Dann ruhst Du unerschütterlich im Gleichmut. :)


    Ja, das ist ein erstrebenswerter Zustand.


    Und wer in diesem Forum konkrete persönliche Erfahrungen einbringt, kann seinen Gleichmut erproben.


    Das Ergebnis bei mir: Manchmal war Gleichmut da, manchmal nicht.



    Du warst ja außer mir der einzige, der ausführlich von eigenen Erfahrungen und Gefühlen in konkreten Situationen gesprochen hat.



    Deine entsprechenden Beiträge fand ich beeindruckend und hilfreich. Ich habe auf zwei dieser Beiträge bislang nicht geantwortet, weil ich lediglich _()_ als Zeichen der Wertschätzung dazu zu sagen habe.


    Das möchte ich jetzt nachholen:



    mkha':

    Ich erzähle nicht oft von mir, aber vielleicht ist meine Zurückhaltung in puncto (be-)urteilen, (oder gar verurteilen) besser nachvollziehbar, wenn man weiß, worauf sie beruht: während ich dies schreibe, sehe ich vor meinem geistigen Auge eine unendliche Reihe unterschiedlicher Gesichter. Es sind die Gesichter all der Menschen, mit absehbar zum Tode führenden Verletzungen, unheilbaren Krankheiten, beißenden, krampfartigen, oder stechenden Schmerzen, Bluterbrechen, Atemnot, tiefer Verzweiflung, Menschen, die unter Tränen um Erlösung gebeten haben. Es gab keine. Es hieß durchhalten - bis zum bitteren Ende. Weißt Du, wie viele Stunden, wie viele lange, die Menschen ängstigende Nächte ich an den Betten sterbender Menschen verbrachte? … Wie oft ich der abgehackten Schnappatmung ihrer letzten Atemzüge lauschte? ... Wie oft ich mich absolut hilflos und tief betroffen fühlte im Laufe der vier Jahrzehnte Vollzeitarbeit, verbracht auf chirurgischen und internistischen Intensivstationen, in der Unfallaufnahme und einem Schwerstverbranntenzentrum.


    ... aber was wissen wir schon, wir kleinen Lichter auf dem Pfad - ausgestattet mit unseren unzulänglichen Sinnen und mangelnder Weisheit? … Ein Buddha hat es gut. Er kennt keine Zweifel, ihm ist bekannt, was genau aus welchem Grunde so ist, wie es eben ist. Er weiß auch um jede Ausnahme. (Siehe z.B. Majjhima Nikaya, Mittlere Sammlung - M. 144. (XV,2) Channovāda Sutta (Channo))
    .......



    _()_

  • Frieden-und-Freude:

    Du warst ja außer mir der einzige, der ausführlich von eigenen Erfahrungen und Gefühlen in konkreten Situationen gesprochen hat.


    Nur mal so angemerkt - das ist nicht *ganz* richtig. Ich hatte zu Beginn dieses Threads auf einen älteren mit verwandter Thematik verwiesen und ihn verlinkt. Man muss ja die alten Geschichten nicht wieder und wieder erzählen, dadurch werden sie nicht besser ... :)


    ()

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  • Frieden-und-Freude:


    P.S. Möchtest Du selbst "konkrete und persönliche" Erfahrungen zum Thema beitragen? :)


    Nun, ich selbst bin damit nur selten/wenig direkt konfrontiert. (Ich spekuliere: das trifft für die meisten hier zu.)


    Mit dem bisschen Ungeziefer halte ich es so, dass ich es meistens lebendig aus der Wohnung befördere. Ab und zu aber muss auch mal eine Stechmücke dran glauben.


    Gegenüber Menschen kam ich bisher nicht in die Verlegenheit, selbst tätig werden zu müssen. Aber, und das ist für mich der entscheidende Punkt, ich denke da ist es ziemlich schnell ziemlich kompliziert. Zunächst mal würde ich mir definitiv nicht grundsätzlich die Option absprechen wollen, anderes Leben zu nehmen, z.B. in Notwehr oder Nothilfe.


    Sterbehilfe? Abtreibung? Militärische Interventionen? Finaler Rettungs-Schuß? Vegetarismus? Alles viel zu komplexe Angelegenheiten, als dass ich da grundsätzlich einfach "dafür oder dagegen" sein könnte. Aber das alles findet natürlich statt, und ich bin ein Teil davon, durch Wählen oder Nicht-Wählen, durch Engagement oder Nicht-Engagement.


    Wenn wir dann vom eigentlichen Töten zum Thema Gewalt im weiteren Sinne kommen (körperliche und andere Arten), dann wird es gleich noch viel umfangreicher.

  • Tychiades:

    Hauptsache Humor. Ich fand es auch interessant, ich hatte nur noch was zu erledigen und musste mich aus der Debatte lösen. :)


    In dem Fall doch noch ein paar Erläuterungen nachgetragen. Fühle Dich bitte nicht zu einer Erwiderung (womoglich gar einer kurzfristigen) verpflichtet. Das Herzsutra verweist auf die Leere, was nicht dasselbe ist wie 'nichts' (aber das weisst Du natürlich). 'Leere' ist ein Werkzeug - eine 'Sicht'. Auch in Huinengs berühmter gātha heisst es nicht "ursprünglich ist da nichts" sondern "ursprünglich nicht ein Ding" (本来無一物). Interessant wird es dann natürlich mit dem folgenden, abschließenden Vers der gātha: woher fängt sich der "leuchtende Spiegel" den Staub ein? In diese Richtung geht auch meine Frage "ob das Denken der Sicht entspringt oder die Sicht dem Denken". Jedenfalls - Huineng spricht von einem "leuchtenden Spiegel" (wobei er Yogācāra-Terminologie aufgreift). Bodhidharma spricht in den isshinkaimon von der Selbst-Natur (自性) und bezeichnet sie als 'unfasslich [und] mysteriös' (sehr grobe Übersetzung der schillernden Begriffe 靈 und 妙). Natürlich heisst das nicht, dass es 'etwas zu sehen' gibt. Etwas 'unfasslich mysteriöses' oder das 'klare weiße Licht' (SCNR :) ). Natürlich kann man so etwas sehen - makyō. Aber das Auge sieht nicht sich selbst, der Spiegel spiegelt nicht sich selbst. 'Auge' und 'Spiegel' sind nicht 'Dinge', die es 'zu sehen gibt' - es sind Metaphern, bildliche Verdinglichung von 'Sicht' und von 'Spiegelung'.


    Um die Brücke zum 'Staub' und den Gedanken zu schlagen - es gibt im Plattform-Sutra ein weiteres Paar von gāthas:


    Natürlich ist es nicht ohne Belang, wie der Geist aufgerührt wird, welche mannigfaltigen Gedanken entstehen - was der Spiegel spiegelt. Huineng spricht in der Darlegung seines Verständnisses des achtfachen Pfades gegenüber Shenxius Schüler Zhicheng von einer Lehre, die nicht getrennt von der 'Selbst-Natur' ist (die uns schon oben bei Bodhidharma begegnete) - eine weitere Metapher. Metapher wofür? Z.B. für die 'Spiegelung' śīla. Huineng legt dar, śīla ist diese Selbstnatur, ist ihr 'Geistgrund' ohne Irrtum (prajñā und samādhi sind die anderen Aspekte dieses Geistgrundes). Spiegelung ohne Staub, um seine gātha aufzugreifen. Da entspringt das Denken der Sicht dieser Selbstnatur (was etwas anderes ist als eine Sicht von der Selbstnatur) und diesem Denken entspringt adäquates Handeln. Da braucht es keine Regeln und Gebote, keine 'formale Lehre', die einen laut Huineng nur die Selbstnatur aus den Augen verlieren lässt - anders gesagt: die rechte Sicht verlieren lässt.


    ()

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  • Sudhana:

    In diese Richtung geht auch meine Frage "ob das Denken der Sicht entspringt oder die Sicht dem Denken".


    Ich lass mir deinen Beitrag noch ein wenig zu Gemüte gehen. Nur soviel zu deiner Frage: weder noch.
    Es gibt für die Sicht oder für das Denken keinen Ursprung. Und der leuchtende Spiegel fängt sich auch keinen Staub ein. Der Staub ist der leuchtende Spiegel und der leuchtende Spiegel ist der Staub. Und weil sie nicht getrennt bzw. verschieden sind, ist die Frage von Huineng nach dem "worauf soll sich Staub legen?" genau so zu verstehen. Und dennoch müssen wir unsere Regale abstauben.

  • Wenn ich ohne Gier, Hass, Vorstellung getötet habe ist es ein langer Weg immer wieder zu prüfen ob es wirklich so war. Die unendlich vielen Vorstellungen was es bedeutet zu töten machen es schwer immer wieder den Staub der eigenen Vorstellungen das das Töten doch kein töten war zu beseitigen. Mein Glück war das es mir, außer von mir, nie vorgeworfen wurde. Es war immer eine Tat die getan wurde weil sie getan wird. Wobei ich nicht ausschließen WILL das da eher der Gedanke der anderen war: Hauptsache ich nicht, lass ihn man machen.
    Noch heute bin ich meinem Opa und meinem Onkel dankbar für das Erkennen was Töten aus Gier und was einfach nur tun weil es jetzt zu tun ist ist. So konnte ich sogar ein einziges Mal erkunden was morden ist. Alister C. sagte einmal: Du musst alle Gebote mindestens einmal brechen um zu erkennen was sie bedeuten. Er hat wahrhaftig recht!

  • Um nicht nur zu kritisieren - Ich verstehe hier "Sicht" (見, ken) als das Schlüsselwort. Wenn der Dharma unauslöschlich ist, ist "Sicht von Auslöschung" falsche Sicht und nicht rechte Sicht (正見, shōken) oder rechtes Sehen (kenshō, 見正) - und dieses rechte Sehen wiederum ist das Sehen der 'Natur' (kenshō, 見性), von der in der ersten Zeile des mon die Rede ist. In jeder ersten Zeile aller zehn mon.


    Sila: Wissen, wann sie offen sind, wann geschlossen.


    Es darf kein Wille, keine Motivation, keine Absicht zum Töten vorhanden sein, dann hält man das Sila 'intuitiv'; der Dharma hat diesen Willen nicht, diese Absicht nicht, diese Motivation nicht,
    so wenig wie ein Raubtier, das schlägt, oder ein Affe der sich laust, ...
    Ja
    Ursprünglich gibt es Nichts. Aber Buddha übte unbewegten Geist
    unter dem Bodhi-baum sechs Jahre lang. Und neun Jahre lang saß Bodhidharma
    schweigend in Sorim.


    Man muss vorsichtig sein, wem man von Non-Dualismus spricht, die meisten Leute befinden sich auf Niveau 'drei Fahrzeuge', was einerseits ein unheilsames Dogma erzeugen kann, andererseits auch eine Madhyamaka "Sichtweise", die da meint, das ein Bruch kein Karma erzeugt.
    Und das sind nur zwei Beispiele von 'Sichtweisen'.

  • @ ellivral:


    Alister C.


    Crowley hat nach der Maxime gelebt: Tue was du willst.
    Dumm war er zwar nicht, aber da ist mir Augustinus schon näher am Dharma:
    Liebe, und DANN tue was du willst. Sprach da aber natürlich von Liebe a la 'Hohelied der Liebe'.

  • Morpho:

    Man muss vorsichtig sein, wem man von Non-Dualismus spricht


    Das ist sicher richtig - Verständnis von rikai kann sehr unterschiedlich entwickelt sein. Im Zweifelsfall ist es dann sicher ebenfalls richtig, auf der dualistischen Antonymie Einhaltung oder Bruch der Gelübde in Form ihrer konventionellen Formulierung (jikai) zu bestehen. Wenn man Mañjuśrīs Schwert schwingen will, muss man es am Griff und nicht an der Klinge packen oder man verletzt. Das gilt vor allem für Menschen, die als 'role model' bzw. kalyāṇamitra fungieren - wobei deren Verhalten als ihr 'sichtbar werden' das 'modellhafte' ist (und kalyāṇa nicht zufällig u.a. auch 'moralisch gut' bedeutet). Bei deren Prüfung ist der angemessene Maßstab, ihr Verhalten zu messen, jikai und nicht ein gemutmaßter Grad der Erleuchtung des zu Ermessenden.


    ()

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  • Morpho:

    andererseits auch eine Madhyamaka "Sichtweise", die da meint, das ein Bruch kein Karma erzeugt.


    Hyakujōs Fuchs. Eine Antwort Dōgens darauf ist 'jinshin inga' ("Es ist unabdingbar, dass Übende das Kausalitätsprinzip zuerst klären, sonst werden sie für falsche Ansichten anfällig bleiben, ihre Übung wird sich verringern und schließlich werden sie überhaupt nichts Gutes mehr tun können") - eine andere 'daishugyō' ("Dem Buddha-Dharma gemäß besitzt der Fuchs die Erleuchtung angeboren. Wenn du die Große Erleuchtung hast, wird sich der Fuchs niemals von dir trennen; wenn du ihn jedoch wegwirfst, wirst du seine Erleuchtung niemals erleben. Dann hat der Fuchs keine Beziehung zum Buddha-Dharma – er ist nur ein einfacher Fuchs. Im wahren Buddhismus ist das nicht möglich").


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