Beurteilen / Bewerten

  • Danke. Ich hätte noch eine Frage, ich habe gehört, man soll nicht beurteilen oder bewerten, aber das geht bei den meisten Menschen nicht. Als Lösung wurde gesagt, man soll die Beurteilung bzw. Bewertung, die automatisch geschieht keine Bedeutung geben. Auch hier frage ich mich, wie soll das in der Praxis aussehen? Und was ist das Endresultat dieser Vorgangsweise? Mehr Gelassenheit im Idealfall? Sorry, wieder eine Frage, die nur anders ist, aber ich kann ja nicht zu jeder Frage, die mir wichtig ist ein neues Thema aufmachen, aber die Frage wäre mir sehr wichtig und da kann ich einfach nicht irgendjemanden fragen. Vielen Dank.

  • Sorry, wieder eine Frage, die nur anders ist, aber ich kann ja nicht zu jeder Frage, die mir wichtig ist ein neues Thema aufmachen, aber die Frage wäre mir sehr wichtig ...

    Eine sehr bedeutungsvolle Frage, die, wie ich finde, einen eigenen Thread verdient ( Hendrik).


    ... ich habe gehört, man soll nicht beurteilen oder bewerten, aber das geht bei den meisten Menschen nicht. Als Lösung wurde gesagt, man soll die Beurteilung bzw. Bewertung, die automatisch geschieht keine Bedeutung geben. Auch hier frage ich mich, wie soll das in der Praxis aussehen? Und was ist das Endresultat dieser Vorgangsweise? Mehr Gelassenheit im Idealfall?

    Es ist für uns alle absolut (über)lebenswichtig, Situationen, Menschen und Sachverhalte angemessen einschätzen und in diesem Sinne 'beurteilen' zu können. Auch unsere Fähigkeit, etwas zu beurteilen ist Ausdruck unserer ursprünglichen Natur und keineswegs etwas Schlechtes, das man ablehnen sollte.


    Allerdings ist der Buddhismus eine Lehre des Erwachens (eine Erleuchtungslehre). Im Zen-Buddhismus heißt es, dass dieses Erwachen in genau dem Augenblick eintritt, in dem alles Denken und Beurteilen losgelassen ist. Das heißt, wenn du dich auf die Zen-Praxis einlässt, also immer in dem Moment, solltest du schon versuchen, (z.B. mit Hilfe der Koanpraxis oder anderer Methoden) vom begrifflichen Denken inklusive dem Beurteilen und Bewerten abzulassen. Das ist ein direkter Weg in das Erleben und Erfahren desjenigen, das du selber ursprünglich und unmittelbar bist. Mit 'unmittelbar' meine ich, genau jetzt so wie es ist und nicht die gedankliche Vorstellung von was auch immer. Diesen Zustand der unmittelbaren Wahrheit auszuhalten ohne sich gleich wieder in gedankliche Vorstellungen zu flüchten, ist für uns alle sehr herausfordernd. Es erfordert all unsere Kraft, all unseren Mut und all unsere Entschlossenheit, führt aber auch direkt ins Erwachen.


    Das heißt aber nicht, dass wir, wann immer es nötig ist, etwas einzuschätzen oder zu beurteilen, dies nicht auch tun sollten. Einschätzungen helfen uns dabei, uns im Leben zu orientieren. Meist wissen wir allerdings intuitiv schon recht schnell, was für uns wichtig und richtig ist. Dann geht es darum, entsprechend zu handeln, statt in endlosen Überlegungen weiter nachzugrübeln.


    _()_

  • Hi Timm, wie Tai schon schreibt, es kommt ja darauf an, um was es geht.


    Ich selbst habe früher - und erlebe es mit bestimmten Personen immer wieder - alles mögliche sofort kommentiert, also ständig bewertet und beurteilt.

    Daraus bezieht das Ego seine Daseinsberechtigung, fühlt sich gut, besser als andere, scheint zu wissen, was gut oder schlecht ist usw.


    Durch die Literatur von Carlos Castaneda vor zig Jahren stieß ich das erste Mal darauf, warum das "sehr ungesund" ist.


    Zitat: "Alles was ich brauche, ist Energie. Und Energie bekommt man, indem man sich selbst und alles andere vorurteilsfrei beobachtet und untersucht."


    Es hat trotzdem noch Jahrzehnte gebraucht, bis ich es endlich anfing zu beherzigen.

    Aber immer wieder, wenn ich in Schwierigkeiten war, fiel mir dieses Zitat ein. Denn durch das ständige "weltliche" Bewerten und andere bzw. alles mögliche kritisieren, verliert man sehr viel wertvolle Energie. Das ist m.E. ein Faktor für Depressionen.


    Es ist also nicht nur einfach eine "spirituelle" Empfehlung, sondern Medizin.


    Wenn es mir heute nicht gut geht, weiß ich sofort, dass ich "vom Pfad abgekommen bin".


    Es ist wohl einfach zu einfach.

    :heart: _()_

    Ohne mich ist das Leben ganz einfach

    Ayya Khema

    Oder anders ausgedrückt: Die Beherrschung der Gedanken ist der Weg zum Glück (SH Dalai Lama)

  • Das ist wahrlich ein schweres Thema und sehr wichtig. Seltsam, dass ich so lange gebraucht habe, um das zu verstehen und ich teile die Meinung, dass es nicht nur schwer ist, sondern einen jahrelangen Prozess benötigt und Arbeit an sich selbst.


    Monikadie4.

    Danke für das gute Zitat, das ist sehr aufschlussreich.


    Wobei ich mittlerweile fast ein Outing machen muss, dass ich wenn ich irgendwo anstehe und Niemanden habe, der mir eine qualifizierte Antwort geben kann, eine KI befrage und das obwohl ich ein Gegner dieser Technologie bin, aber gerade bei so komplexen Fragen wie dieser hat mir auch die KI eine schlüssige und hilfreiche Antwort gegeben.


    Der Zugang war allerdings ein wenig anders, aber auch gut, da war die Antwort als Endresultat, dass man durch einen veränderten Zugang zu bewerten und beurteilen Gelassenheit erlangt. Wobei Gelassenheit und Energie finde ich zumindest verwandt.

  • Ja, Timm, aber jede Erfahrung mit Bewerten oder nicht, mit Achtsamkeit darauf, was ich denke, rede, schreibe, handle, zeigt mir Wirkung.


    Und dass es mit mir so lange dauerte, bedeutet ja nicht, dass es bei Jedem/r so ist.

    Ich hatte/habe? eben auch ein großes Ego.

    :erleichtert:

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  • Monikadie4.

    Nun Monika manchmal denke ich mir, also die Dinge, die wichtig für ein ausgewogenes Leben sind, die habe ich verpasst und komme erst jetzt im Alter drauf, was sich da alles für Fragen ergeben, um nicht schädlich für sich selbst und seine Umwelt zu sein.


    Wenn man an die Wiedergeburt glaubt mag das hilfreich sein, ein wenig gemein finde ich es schon, dass wenn man am Lebensende, wann immer das sein mag, glaubt einige Dinge zu wissen, dass das dann wieder ausradiert ist.


    Ich bin schon erstaunt, dass sich trotz doch höherem Alters immer wieder neue Fragestellungen auf tun, wie diese, die gar nicht so einfach zu beantworten ist oder man ist ein Weiser, vor allem im Sinne, das man es richtig macht und wie du schreibst weiß, dass auch das Energie kostet und einem schadet.

  • Der Hintergrund ist folgender: Seit Anbeginn ist die Gattung Mensch mit einem inneren Überlebensprogramm ausgestattet, das ihr Überleben in einer feindlichen Umwelt sichern sollte. Dieses Programm funktioniert auch heute noch auf die gleiche Weise.

    Im Kern geht es darum, das eigene Leben zu schützen. Dazu wird alles, was unsere Sinne wahrnehmen, im Limbischen System unseres Gehirns zunächst auf Freund oder Feind überprüft. Unterhalb der Bewusstseinsschwelle erfolgt in Bruchteilen von Sekunden eine Bewertung, die in einer von drei Kategorien mündet: angenehm, unangenehm oder weder-angenehm-noch-unangenehm.


    Letzteres winkt unser System quasi durch; es schenkt ihm keine weitere Beachtung. Angenehm oder unangenehm jedoch versetzen uns augenblicklich (und gewöhnlich unbemerkt) in den Zustand von Verlangen oder Widerstand

    Diese Zustände haben bestimmten Gedanken, Emotionen und Impulse im Gepäck, die uns zu bestimmten Handlungen veranlassen, denen gewöhnlich jegliche Objektivität fehlt. In der Regel geschieht all das vollautomatisch und deshalb ist es weit entfernt von der Idee eines selbstbestimmten Lebens.

    Die Gefahr besteht also darin, dass die Bewertungen Teil eines Automatismus sind uns es von daher wichtig ist eben nicht automatisch zu handeln sondern, dass da zwischen Empfinden und Handeln möglichst viel Freheit ist.


    Dies bedeutet aber nicht dass "beurteilen" grundsätzlich vermieden werden soll.


    Buddha unterscheidet pausenlos zwischen heilsam und unheilsam und hält auch andere dazu an. Und es ist auch nicht möglich. Wir können keinen Schritt tun ohne zu schauen wohin wir gehen

  • dass ich wenn ich irgendwo anstehe und Niemanden habe, der mir eine qualifizierte Antwort geben kann, eine KI befrage

    KI wg. Zen zu befragen ist zwar lächerlich, aber eine für Dich befriedigende Antwort werden Menschen auch nicht geben können. Sie kommt nämlich nur von Zazen - alles andere wäre gekünstelt :)

  • Christopher

    Ich benutze KI nur in ganz seltenen und bestimmten Anwendungsbereichen, weil ich sowohl ein Gegner davon bin - also zum Teil zumindest und generell die Entwicklung der Digitalisierung nicht ausschließlich als Positiv empfinde.


    Das mag jetzt nicht zum Thema passen, aber seit Einführung dieser Dinge hat sich meiner Ansicht nach Vieles nicht zum Guten verändert, wobei jetzt nicht ins Detail gehen zu wollen, abgesehen davon werden mir auch hier wieder genug Menschen widersprechen.


    Aber zu deiner Kritik, die nehme ich gerne mit, klar ist eine KI kein Experte für spezielle spirituelle Fragen im Buddhismus und sollte man generell meiden und sich an die Lehre halten. In dem Fall war ich zu ungeduldig, weil ich es schwer verstand, wie das gehen soll.

  • Die Gefahr besteht also darin, dass die Bewertungen Teil eines Automatismus sind uns es von daher wichtig ist eben nicht automatisch zu handeln sondern, dass da zwischen Empfinden und Handeln möglichst viel Freheit ist.

    Das ist ein interessanter Ansatz. Wenn man im Hier und Jetzt sehr aufmerksam ist, kann man zumindest für kurze Augenblicke die Leere und die bedingte Kausalität in Bezug auf die eigenen Pläne, Gedanken und Entscheidungen erkennen. Wenn man diesen Moment erfasst, erfolgt die richtige Bewertung und die Entscheidung spontan und unwillkürlich, ähnlich wie eine Katze, die sehr entspannt und ruhig eine Maus beobachtet, aber intuitiv weiß, wann und ob sie überhaupt angreifen kann. Das ist die innere Weisheit der Natur, ohne die konstruierten / gekünstelten/ Ego Strukturen. _()_

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

  • void

    Das Buddha zwischen heilsamen Handlungen und unheilsamen unterschieden hat ist ein Teil dessen was ich weiß, es steht aber in krassem Widerspruch dessen was ich fragte bzw. dass man nicht urteilen soll bzw. bewerten und auch die Antworten die ich sowohl von Menschen bekam wie von einer KI, wobei ich sagen muss, rein inhaltlich war die KI auch nicht ganz falsch. Was nicht heißt, dass ich das bevorzuge gegenüber Menschen.


    Nur aufgrund meiner sozialen Isolation habe ich oft keine Quellen, die ich fragen kann, da ist mir dann auch so eine Information hilfreich, wobei es kommt auf das Thema drauf an, kurioserweise würde ich nie eine medizinische Frage stellen, auch keine Politische.

  • Ich denke das mit dem "nicht bewerten" ist in erster Linie eine Meditationsanweisung:

    In der Meditation macht es Sinn, nicht vorschnell zu urteilen sondern die Dingen so sein zu lassen wie sie sind. So gewinnt man eine innere Freheit die man im Alltag nutzen kann.


    Während so ne generelle Aussage, dass man nicht bewerten soll, unsinnig wäre. Im Alltag muß man häufig urteilen. Wenn die Ampel grün ist macht es Sinn zu gehen, wenn sie rot ist sollte man stehenbleiben Es gibt ganz viele Situationen, wo man Urteilsvermögen braucht.


    Dieses wird wiederum wird ja sogar besser, wenn man sich nicht von seinen Emotionen überrumpeln lässt, vorschnell und kopflos zu urteilen.


    Ich würde bei sowas keine KI fragen.

  • Nur aufgrund meiner sozialen Isolation habe ich oft keine Quellen, die ich fragen kann, da ist mir dann auch so eine Information hilfreich, wobei es kommt auf das Thema drauf an, kurioserweise würde ich nie eine medizinische Frage stellen, auch keine Politische.

    Lieber Tim99 , die Dinge und alles so sehen, wie sie sind. Wie Ein- und Aus-Atmen.


    So ist für dich die beste Quelle, die ich weiß:


    https://www.dhamma-dana.de/files/Dhamma%20Dana/Buecher/analayo/Die_vier_Satipatthanas_in_Studium_und_Praxis.pdf


    KI kann nur sehr gut :) die Quellen finden, aber die "arme" hatte nicht genug meditiert, -OT, sorry. (:


    So auf englisch:



    https://www.buddhismuskunde.uni-hamburg.de/pdf/5-personen/analayo/satipatthanapracticeguide.pdf


    Viel Spaß! _()_

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    Sokrates

    Einmal editiert, zuletzt von Igor07 ()

  • Das "Nicht bewerten" ist die Übung von Upekkha.

    Der Text hier erklärt das sehr ausführlich, was nicht-bewerten außerhalb der Meditation bedeutet.


  • Das Buddha zwischen heilsamen Handlungen und unheilsamen unterschieden hat ist ein Teil dessen was ich weiß, es steht aber in krassem Widerspruch dessen was ich fragte bzw. dass man nicht urteilen soll bzw. bewerten

    Das stimmt erstmal.


    Um diesen Widerspruch aufzulösen, musst du verstehen, warum überhaupt empfohlen wird, dass man nicht urteilen und bewerten soll. Was glaubst du, warum das so empfohlen wird?

  • Weil wie Monika schrieb es Energie kostet oder wie mir die KI sagte mehr Gelassenheit bringt? Aber du hast sicher eine gute Erklärung, bitteschön ich höre dir gerne zu.

  • Weil wie Monika schrieb es Energie kostet oder wie mir die KI sagte mehr Gelassenheit bringt?

    Das sind natürlich auch sehr hilfreiche Nebeneffekte. Der Hauptgrund ist nach meinem Verständnis, dass das konsequente Ablassen von Bewertungen und Beurteilungen unmittelbar zur Erleuchtung führt.


    Im Zen heißt es, dass du zur wahren Natur erwachst (also Erleuchtung verwirklichst), sobald du radikal und in voller Konsequenz dein begriffliches Denken aufgibst. Damit ist jetzt aber nicht gemeint, prinzipiell das Denken aufzugeben und dann nie wieder einen Gedanken zu fassen. Gemeint ist, genau jetzt das Denken und Bewerten und Beurteilen loszulassen. Denn unser zwanghaftes Denken-Müssen in jedem Moment und die dabei entstehenden Bewertungen und Beurteilungen führen zu Vorlieben und Abneigungen. Durch diese Vorlieben und Abneigungen haften wir an Dingen und Formen und Vorstellungen an. Dabei ensteht die Trennung zwischen uns und der Welt, es entsehen Gier, Hass, Angst und Verblendungen, also vielfältiges Leiden.


    In einem solchen Zustand sind wir nicht mehr in der Lage, unsere ursprüngliche, allumfassende Natur zu schauen, also Erleuchtung zu verwirklichen. Deswegen empfiehlt Zen, vom Bewerten und Beurteilen abzulassen, um wieder in diesen Zustand des Erwachens zurückzufinden, der frei ist von Form oder Leerheit (siehe hierzu z.B. das Herzsutra oder auch das Diamant-Sutra).


    Weil es für uns Menschen nicht leicht ist, dieses große Erwachen zu verwirklichen, hat uns der Buddha mit seiner Lehre viele gute Hilfestellungen gegeben. Das Heilsame zu tun und das Unheilsame zu unterlassen, kann uns dabei helfen, diesen Weg des Buddha zu gehen. Im Moment des Erwachens muss aber alles Heilsame und alles Unheilsame losgelassen werden - sonst gibt es kein Erwachen. Denn am Heilsamen und Unheilsamen hängen letztlich wieder die Vorlieben und Abneigungen, das Haften an Formen und das Entstehen der 3 Geistesgifte (Gier, Hass, Verblendung).


    Ein vollkommen erwachter Mensch sollte idealer Weise in der Lage sein, jedem Moment und seinen Herausforderungen gerecht zu werden. Wenn er dazu etwas beurteilen muss, dann tut er dies ohne Eigennutz oder Vorlieben oder Anhaftungen, sondern nur, um das zu tun, was die Situation gerade erfordert. Die Praxis eines erwachten Menschen besteht darin, seine wahre Natur zu schauen, selbst dann, wenn er etwas beurteilen muss. Nur im Gewahrsein der ureigensten, allumfassenden Natur, also des Unbedingten, in dem sich Form und Leerheit nicht unterscheiden, ist es überhaupt möglich, etwas zu beurteilen ohne zugleich einer Anhaftung auf den Leim zu gehen. Im Diamant-Sutra (Kapitel 7) wird das so ausgedrückt:


    Zitat
    Weil alle Weisen Unterscheidungen auf der Grundlage des Unbedingten (asaṃskrta) treffen.

    Und genau da löst sich der 'krasse Widerspruch', wie du es erstmal zurecht genannt hast, auf. Schließlich ist auch unser begriffliches Denken Ausdruck unserer ursprünglichen Natur.


    Vereinfacht auf den Punkt gebrachts: Wann immer nötig, beurteile die Dinge ruhig, um das Heilsame zu tun und das Unheilsame zu vermeiden, Doch wann immer du Zen praktizierst, lass alles Bewerten und Beurteilen und alles Heilsame und Unheilsame los, um deine wahre Natur zu schauen.


    _()_

  • Tai

    Danke für die Lektion, die sehr umfangreich war und nicht ganz einfach für Jemanden, der "noch" nicht so tief in der Lehre ist wie andere.


    Die Grundbotschaft habe ich verstanden, wobei es ein sehr hohes Ideal ist, um es zu leben. Immerhin sprichst du von erwachten Menschen und davon gibt es nicht Viele. Buddha war einer davon.


    Ich weiß nicht, in wie weit du denkst, dass dieser Zustand für normale Praktizierende erreichbar ist in der Form, wie du es beschrieben hast, da es subjektiv sehr nach Perfektionismus klingt und das Ziel ist.


    Es bleibt trotz allem ein wenig komplex, zuerst habe ich es so verstanden, dass es eher in Bezug auf die Meditation anzuwenden ist, das wäre schlüssig und deutlich einfacher, als es im Alltag anzuwenden, genau hier sehe ich größere Probleme und gebe zu, es ist wirklich schwer.


    Ich werde mein Bestes versuchen, aber die Ziele so setzen, dass sie erreichbar sind, sonst bewege ich mich in einer Dauerschleife der Enttäuschung über die nicht vorhandenen Fortschritte.


    Du hast es für mich so erklärt, wie es der Gipfel sei, denn es zu erreichen gelte und das ist gut. Die Ziele sollen hoch sein.

  • Die Verwirrung entsteht eigentlich nur durch Tais Beschreibung und Deiner Vorstellung, wie eine "erleuchtete Person" sein soll. Der Zustand selbst ist ganz einfach :)


    Deswegen empfiehlt Zen, vom Bewerten und Beurteilen abzulassen, um wieder in diesen Zustand des Erwachens zurückzufinden


    Ich würde eher sagen, dass Zen gar nichts empfiehlt, außer Zazen zu üben, und für Dich selbst herauszufinden, wie dieser oder jener Zustand sich anfühlt. Sich zu bemühen, irgendwie wertungsfrei durch die Welt zu schweben, wäre ja hoffnungslos :)

  • Deswegen empfiehlt Zen, vom Bewerten und Beurteilen abzulassen, um wieder in diesen Zustand des Erwachens zurückzufinden


    Ich würde eher sagen, dass Zen gar nichts empfiehlt, außer Zazen zu üben, und für Dich selbst herauszufinden, wie dieser oder jener Zustand sich anfühlt.

    Ich beziehe mich hier u.a. auf die Lehre von Meister Huang Po, der wohl als seriöser Vertreter der Zen-Lehre gelten dürfte. (Da wir im Anfängerbereich schreiben hier für alle, die im Zen nicht so zu Hause sind zur Einordnung: Huang Po ist der Lehrer des Meisters Lin-Chi's, auf Japanisch Rinzai, auf den sich die Rinzai-Schule zurückführt.)


    Zitat

    Sie (die Fühlenden Wesen) wissen nicht, dass sie in genau dem Augenblick, in dem sie ihr begriffliches Denken aufgeben, zum Einen Geist erwachen, der Buddha ist und alle Lebewesen.


    Huang Po, Geist des Zen, Kap.1

    Zitat

    Unvergleichlich ist, wer das begriffliche Denken aufgibt. Warum? Weil er keine Begriffe mehr formt.


    Huang Po, Geist des Zen, Kap.4

    Zitat

    Dieser Geist ist nicht an begriffliches Denken gebunden. So unterscheiden sich Buddhas und Lebewesen in keiner Weise. Könntet ihr euch nur vom begrifflichen Denken befreien, so hättet ihr alles erreicht.


    Huang Po, Geist des Zen, Kap.6

    Ich setzte voraus, dass Bewerten und Beurteilen als Ausdruck des begrifflichen Denkens verstanden wird und deute Huang Po's Worte als klare Empfehlung.


    Sich zu bemühen, irgendwie wertungsfrei durch die Welt zu schweben, wäre ja hoffnungslos

    Genau um einer solchen Fehlinterpretation entgegenzutreten, habe ich das ja so ausführlich zu erklären versucht. Solltest du Huang Po's Worte oder meine Beiträge #2 und #18 als Plädoyer für ein "irgendwie wertungsfrei durch die Welt zu schweben" verstanden haben, würde mich das etwas ratlos zurücklassen. Zur Erinnerung, ich schrieb u.a.:


    Es ist für uns alle absolut (über)lebenswichtig, Situationen, Menschen und Sachverhalte angemessen einschätzen und in diesem Sinne 'beurteilen' zu können. Auch unsere Fähigkeit, etwas zu beurteilen ist Ausdruck unserer ursprünglichen Natur und keineswegs etwas Schlechtes, das man ablehnen sollte.


    _()_

  • Vielen Dank für Eure guten Erklärungen, das ist sehr hilfreich für mich gewesen und ich werde dran arbeiten. Dankeschön.

  • Liebe(r) Tai,


    bitte verstehe mich nicht falsch: ich wollte nicht den Eindruck erwecken, dass Deine Beschreibung irgendwie schlecht oder nicht textkonform wäre. Sie ist nur halt eine Beschreibung und als solche per se geeignet, Verwirrungen zu stiften :)


    Aber Du hast sicherlich Recht, dass im Anfängerbereich ständig "übe weiter Zazen!" zu wiederholen irgendwann langweilig wird :)

  • M.19 ist eine Lehrrede über Bewertung und vollständige Loslösung:


    Zitat

    Ihr Bhikkhus, vor meiner Erleuchtung, als ich noch lediglich ein unerleuchteter Bodhisatta war, kam mir in den Sinn: 'Angenommen, ich teile meine Gedanken in zwei Klassen ein.' Auf die eine Seite brachte ich dann Gedanken der Sinnesbegierde, Gedanken des Übelwollens und Gedanken der Grausamkeit, und auf die andere Seite brachte ich Gedanken der Entsagung, Gedanken des Nicht-Übelwollens und Gedanken der Nicht-Grausamkeit.


    Die Gedanken auf der einen Seite hat er aufgegeben, denn sie "führen zu meinem eigenen Leid, zum Leid anderer und zum Leid beider; es beeinträchtigt Weisheit, verursacht Schwierigkeiten, und führt von Nibbāna weg".

    Die Gedanken auf der anderen Seite hat er gepflegt, denn sie "führen nicht zu meinem eigenen Leid, oder zum Leid anderer oder zum Leid beider; es fördert Weisheit, verursacht keine Schwierigkeiten, und führt zu Nibbāna hin":


    Zitat

    Ihr Bhikkhus, worüber auch immer ein Bhikkhu häufig nachdenkt und nachsinnt, das wird seine Geistesneigung werden.


    Weil es dem Bodhisattva aber zu dieser Zeit bereits um das vollkommene Erwachen ging, ist er bei den heilsamen Gedanken auch nicht stehengeblieben sondern hat den Geist "gefestigt, beruhigt, konzentriert und zur Einheit gebracht", ist stufenweise in die Vertiefungen eingetreten und hat schließlich die endgültige Triebversiegung erreicht.


    Demnach führt das Bewerten "heilsam" zu Nibbana hin und "unheilsam" von Nibbana weg. Wenn der Geist nur mehr zum Heilsamen neigt, in der Meditation dort nicht stehenbleibt sondern alle Bewertungen aufgibt, kann Geistesruhe und Einsicht entstehen die zu vollkommener Loslösung führen. Das bloße Nicht-Bewerten löscht die unheilsamen Neigungen nicht aus, dazu bedarf es der Praxis des gesamten achtfachen Pfades. Andernfalls wird die Loslösung in der Meditation zeitweilig und unvollständig sein. So wird am Ende dieser Lehrrede der achtfache Pfad hervorgehoben:


    Zitat

    Also, ihr Bhikkhus, ist der sichere und gute Pfad, der zum Glück führt, von mir wieder zugänglich gemacht worden.