Er hat schon sehr das westliche Profitdenken internalisiert.
Ja, wenn man es missverstehen will... Ich finde die Aussage richtig und wichtig....
Im übrigen heißt im Englischen der Ausdruck "poison as medicine" - das ist schon ein wesentlicher Unterschied zu dem Buchtitel.
Als wesentlich würde ich den sprachlichen Unterschied nicht bezeichnen, aber die Nuance unterstreicht ja genau das, was er sagen will: für den Vajrayana- bzw. eigentlich Tantra-Praktizierenden ist Gift Medizin. Und es kommt nicht zwingend auf die Dosis an. Zumindest, wenn man die Sicht halten kann, das ist immer wichtig zu betonen. Es gibt da dieses Bild vom giftigen Strauch, der jemandem im Weg steht, rechts und links sind hohe Felsen. Der normale Weg wäre, zurückzugehen und egal wie gross der Umweg ist, drumherum zu gehen. Der Tantriker macht aus dem Gift ein Gegenmittel und kann sich dann damit vorbeiwagen. Und der Vajrayani erkennt, dass der Strauch nur Illusion ist und läuft einfach weiter. Was der schnellste Weg ist, ist auch der riskanteste. Kann man die Sicht nicht halten, kann es übel ausgehen. Deswegen ist in jeder Situation auch der höchste Weg der, den man sicher beschreiten kann.
Der Buchtitel wird aber noch klarer, wenn man sich die Geschichten über Tilopa und Naropa durchliest. Gerade die Härte der Tests machte eine schnelle Erleuchtung möglich. Das sind die Übertragungslinien, in denen solche Traditionen stehen.
Mich erinnert das ganze Bemühen um das Verstehen einer geheimnisvollen Lehre, die unter Schweigen auch verborgen bleiben soll
Und genau dieser Vergleich ist schief. Die eigentliche Lehre ist nicht geheimnisvoll, sie ist offen dargelegt. Dass einige Methoden nicht einfach so öffentlich sein sollen, ist ein reiner Schutz, weil es schlicht und einfach gefährlich sein kann, sie zu versuchen, ohne das vernünftig gelernt zu haben und sicher zu sein, dass man nichts übersehen hat.
Würdest Du einem kleinen Kind ein scharfes Messer in die Hand geben, ohne es über die Gefahren aufgeklärt zu haben? Damit kann man das vergleichen. Für manche Dinge braucht man entweder eine gewisse Reife, und/oder die notwendigen Informationen oder Übungen, um sicher damt umgehen zu können. Noch besser: in einer Kampfkunstschule, würdest Du Neulingen ein scharfes Schwert in die Hand geben, um sie damit ihre ersten Übungen machen zu lassen? Oder bekommen sie solche Schwerter erst in die Hand, wenn sie sehr viel geübt haben und den Schwertkampf gemeistert haben? Die Übungen, die als "Geheim" gelten, sind wie diese Schwerter, man drückt sie aus gutem Grund nicht jedem einfach in die Hand. Das heisst aber nicht, dass die Existenz von Schwertern ein Geheimnis wäre, das "unter Schweigen verborgen bleiben soll". Warum Schweigeversprechen? Wenn ein erfahrenerer Schüler ein Schwert besitzen darf, sollte der es dann einem Neuling in die Hand drücken? Erst recht nicht, oder?