Degenerationen & Stolperfallen - extended version

  • Onda:

    In der relativen Wirklichkeit, in der wir uns bewegen, ist Dauer eine nicht zu vernachlässigende Größe


    Wenn Du das so empfindest, ich empfinde es anders. Du könntest morgen bereits tod sein. Was wäre dann von Dauer ?


    P.S. Jetzt habe ich so viel geschrieben von weisen Menschen, die ihre Ansicht begründen warum die Betonung der Vergänglichkeit so wichtig ist, aber Du scheinst Dir nur das rauszusuchen, was zu Deinem Konzept der Stolperfallen paßt.

  • Doris Rasevic-Benz:

    Wir erleben Dauer und wir erleben Vergänglichkeit


    Doris, weches Phänomen ist von Dauer ?

  • Matthias65:
    Doris Rasevic-Benz:

    Wir erleben Dauer und wir erleben Vergänglichkeit


    Doris, weches Phänomen ist von Dauer ?


    Alle.
    Wir leben in einer Zeitschiene. Da erscheinen uns die Alpen von Dauer, weil es lange dauert, bis sie entstehen und vergehen. Wir würden keine Karten brauchen, um sie zu überfahren, hätten sie keine Dauer, wir könnten nicht einmal drüberfahren, denn sie wären ja schon weg. Wir hätten nicht einmal ein Wort für sie. Nur ist ihre Zeitschiene eine andere. So wie eine Eintagsfliege eine andere Zeitschiene hat. In ihrem Erleben existieren wir ewig.
    Nur sind keine der Phänomene, die wir erleben können von EWIGER Dauer. Es könnte durchaus so etwas geben, aber nicht für uns, die wir in einer Zeitschiene existieren. Für uns gilt: Nur in diesem Momenten, in denen wir jenseits von Zeitkonzepten erleben, gibt es keine Zeit, also auch keine Dauer. Aber das ist alles, was wir nur in unserem Erleben feststellen können. Eine ewige Dauer per se kann niemand beweisen oder widerlegen. Vielleicht schon, aber mir ist das noch nicht zugänglich gemacht worden.


    Dennoch brauchen wir Dauer, Kontinuität. Nenne es wie Du willst.
    Deine Kinder brauchten das Erleben von Dauerhaftigkeit. Nur das gibt ihnen Sicherheit.


    Natürlich ändern sich unsere Gedanken und Emotionen beständig. Das hat eine gewisse Kontinuität. Es gut zu wissen, dass das vergänglich ist, denn wir werden so freier. Aber dennoch haben wir bestimmte Grundmerkmale, z.B. ehrgeizig, fröhlich, sprunghaft, musikalisch, neugierig. Jeder Mensch ist eine ganz individuelle Mischung, anhand derer man ihn erkennen kann. Aber das kann sich ändern, das ist ein offenes System.


    Liebe Grüße
    Doris

    Der Sinn des Lebens besteht darin, Rudolph, dem Schwurkel, den Schnabel zu kraulen.

  • Bei dem Dauerhaft und den Phänomenen assoziiere ich gerade die Ausbildung eines Künstlers. Ich habe mal verwandschaftlich zusammenwohnend die universitäre Grafiker-Ausbildung meines Cousins begleitet. All die minutiösen Techniken annehmen, erlernen und beherrschen, um sie später – je nachdem – auch wieder ganz sein lassen zu können.
    Das mit der Vergänglichkeit in absoluto mag als minutiöse einmal zu durchrudernde Exerzitie interessant sein, um sie dann als ein situatives Erkenntnis-Element in der eigenen Wirtlichkeit einzusetzen. Ich bin da ganz bei Doris. Über die Vergänglichkeit der Alpen im globalen Zeitmaßstab nachzudenken, hat mit dem jetzigen Sein meiner Person und der ihr gegebenen Zeitspanne herzlich wenig zu tun.


    Hochachtungsvoll
    Mal Sehen

  • Matthias65:

    Das Thema Leerheit ist nun mal innerhalb einer jeden buddhistischen Richtung das wesentliche Merkmal, was die "Weisheit" des Buddhismus von anderen Philosophien/ Religionen unterscheidet.



    Laotse

    "Von der Waschschüssel der Geburt

    bis zur Waschschüssel des Bestatters -

    nur Geschwafel"

    Ikkyû Sôjun

  • Doris Rasevic-Benz:

    Da erscheinen uns die Alpen von Dauer, weil es lange dauert, bis sie entstehen und vergehen


    Du schreibst es selbst liebe Doris, die Alpen erscheinen uns von Dauer. In Wirklichkeit wirken aber ständig tektonische, metereologische und geologische Kräfte, so dass die Alpen an einem Tag X nicht die selben Alpen sind wie an einem Tag Y.


    Doris Rasevic-Benz:

    Nur sind keine der Phänomene, die wir erleben können von EWIGER Dauer


    Welche Zeiteinheit ist denn der Maßstab für ewig ?


    Doris Rasevic-Benz:

    Für uns gilt: Nur in diesem Momenten, in denen wir jenseits von Zeitkonzepten erleben, gibt es keine Zeit, also auch keine Dauer


    Das meinte ich als ich von der absoluten Ebene sprach. Vergänglichkeit und Leerheit sind miteinander verwandt.


    Doris Rasevic-Benz:

    Dennoch brauchen wir Dauer, Kontinuität. Nenne es wie Du willst.


    Das gabe ich auch nicht bestritten. Auf der Alltagsebene, damit wir miteinander umgehen können brauchen wir Dauer. Dann ist Matthias für Dich am Tag X der selbe Matthias wie an dem Tag Y obwohl es subtile Veränderungen innerhalb des Geist-Körper Gefüges von Matthias gab, die keiner, noch nicht einmal ich, offensichtlich wahrnehmen kann.


    malsehen:

    Ich bin da ganz bei Doris. Über die Vergänglichkeit der Alpen im globalen Zeitmaßstab nachzudenken, hat mit dem jetzigen Sein meiner Person und der ihr gegebenen Zeitspanne herzlich wenig zu tun.


    Hallo malsehen, es geht bei der Vergänglichkeit nicht darum zu beobachten wie und ob sich die Alpen verändern, sondern darum die kostbare Menschenexistenz für heilsame Handlungen zu nutzen bevor es zu spät ist. Praktiziere jetzt ist das Motto, verschiebe die Praxis nicht auf später, dann könnte es zu spät sein !

  • Das Wandel der Lauf der Dinge ist, ist nun eher eine Allerweltsweisheit. Das wurde schon lange vor Buddha sowohl im I Ging, dem Buch der Wandlung, aber auch im jüdischen Denken thematisiert. Auch in der Edda oder bei Homer findet man das.
    Aber der Wandel der Dinge ist der Lauf der Natur und nichts per se leidhaftes. Sicher gibt es auch Leid. Leid ist einfach auch ein natürlicher Teil im Wandel der Dinge, aber er ist nicht das Problem, das manche Buddhisten daraus machen.


    Ich finde es viel stimmiger, mit dem Wandel des Lebens mitzufliessen, als aus dem Kreislauf des Lebens ausscheiden zu wollen.
    Ich hab den Eindruck, man schafft sich hier ein künstliches Problem, und bemüht sich dann lange, es zu beseitigen.

    "Von der Waschschüssel der Geburt

    bis zur Waschschüssel des Bestatters -

    nur Geschwafel"

    Ikkyû Sôjun

  • Nun hat Onda das bestimmt nicht einfach als "Stolperfalle" bezeichnet, weil sein Kaffee gerade nicht so gemundet hat. Er hat sich ja was gedacht.
    Die Falle, die ich in sehe ist die, dass das menschliche Bedürfnis nach Kontinuität schnell marginalisiert, ja geradezu als eine Krankheit betrachtet wird. Und das denke ich, ist es eben nicht. Lediglich die Fixierung darauf ist problematisch.
    Ein Ergebnis der Verdrängung dieses Erlebens und des Wunsches kann eine gewisse Wurschtigkeit sein, auch das Unterdrücken und Verleugnen von Bedürfnissen. Das geht früher oder später in die Hose. Es kann auch zu Hochmut und Kaltherzigkeit führen.


    Ich glaube nicht, dass man ständig mit dem Gedanken leben kann, dass alles gleich vorbei ist. Das würde zuviel Energie binden. Es ist jedoch hilfreich, wenn ich mir das immer wieder mal vergegenwärtige, z.B. wenn ich Schmerzen erleide, im Stress bin, Ärger habe. Dann ist die Vergänglichkeit Hoffnung und Trost, aber auch Erdung und Rückführung in die Realität. Ich bin dann auch achtsamer und vorsichtiger im Umgang mit meinen Mitmenschen, da ich um die Zerbrechlichkeit der Bindungen weiß.


    Liebe Grüße
    Doris

    Der Sinn des Lebens besteht darin, Rudolph, dem Schwurkel, den Schnabel zu kraulen.

  • Doris Rasevic-Benz:

    Ich glaube nicht, dass man ständig mit dem Gedanken leben kann, dass alles gleich vorbei ist


    Warum nicht ? Jeder Moment ist nun einmal einmalig. Er kommt nicht wieder !


    Doris Rasevic-Benz:

    Es kann auch zu Hochmut und Kaltherzigkeit führen.


    Das verstehe ich nicht. Weiter oben habe ich den Dalai Lama zitiert:


    Matthias65:

    "Wir alle befinden uns in der trügerischen Illusion der Unvergänglichkeit. Und so denken wir, dass uns immer eine Menge Zeit bleibt. Diese fälschliche Annahme setzt uns der großen Gefahr aus, unser Leben durch Hinausschieben zu vergeuden. Das ist dann eine besonders große Vergeudung, wenn unser Leben mit den Freiheiten und Möglichkeiten für heilsame Handlungen gesegnet ist. Um dieser Tendenz entgegenzuwirken ist es wichtig, über die Vergänglichkeit nachzudenken - zuerst über die Tatsache, dass der Tod jeden Augenblick eintreten kann und dann über die äußerst vergängliche Beschaffenheit des Lebens".


    Das Bewußtsein der Vergänglichkeit führt in diesem Sinne zu Mitgefühl und Warmherzigkeit.

  • Wu°:

    Ich finde es viel stimmiger, mit dem Wandel des Lebens mitzufliessen, als aus dem Kreislauf des Lebens ausscheiden zu wollen.


    Hallo Wu, kennst Du die 4 Edlen Wahrheiten ? In Buddhas 4 Edlen Wahrheiten werden die Gründe gut erklärt warum "die Buddhisten" aus dem Kreislauf des Lebens (Samsara) "ausscheiden" wollen.

  • Matthias65:


    Hallo Wu, kennst Du die 4 Edlen Wahrheiten ? In Buddhas 4 Edlen Wahrheiten werden die Gründe gut erklärt warum "die Buddhisten" aus dem Kreislauf des Lebens (Samsara) "ausscheiden" wollen.


    In den vier edlen Wahrheiten geht es um die Überwindung von dukkha - nicht um das Ausscheiden aus dem Leben.


    Onda

    "Es gibt nichts Gutes, außer: man tut es." (Erich Kästner)
    "Dharma books and tapes are valuable, but the true dharma is revealed through our life and practice." (Thich Nhat Hanh)

  • Doris Rasevic-Benz:

    Nun hat Onda das bestimmt nicht einfach als "Stolperfalle" bezeichnet, weil sein Kaffee gerade nicht so gemundet hat. Er hat sich ja was gedacht.
    Die Falle, die ich in sehe ist die, dass das menschliche Bedürfnis nach Kontinuität schnell marginalisiert, ja geradezu als eine Krankheit betrachtet wird. Und das denke ich, ist es eben nicht. Lediglich die Fixierung darauf ist problematisch.


    Danke Doris, genau so meinte ich das!!


    Kein Phänomen ohne Dauer. Dauer ist die Grundvoraussetzung dafür, dass wir ein Phänomen überhaupt wahrnehmen können.
    Was ich kritisiere, ist die Über-Betonung der Vergänglichkeit. Sie ist nämlich nur eine Seite der Medaille. Eine oft ignorierte aber eben nur eine Seite.
    Mir geht es darum, das Prinzip des Mittleren Weges wirklich ernst zu nehmen und Extreme zu meiden.


    Onda

    "Es gibt nichts Gutes, außer: man tut es." (Erich Kästner)
    "Dharma books and tapes are valuable, but the true dharma is revealed through our life and practice." (Thich Nhat Hanh)

  • Was wäre denn so schlimm daran, wenn Buddhas letztes Ziel tatsächlich der komplette Ausstieg gewesen wäre? Er hat doch auch viele gute Tips zum gewöhnlichen Leben gegeben die jedem von Nutzen sein können. Daran kann man sich doch orientieren ohne ein solches letztes Ziel in Frage stellen zu müssen.


    Der Buddha hat von niemandem verlangt ihm ganz folgen zu müssen, und er hat alle Werkzeuge ausgehändigt die ein heilsames Leben möglichen machen. Möge es doch jeder für sich selbst entscheiden wo seine Reise hingeht.


    Aber ein solches letztes Ziel direkt als Stolperfalle oder gar Degeneration zu bezeichnen, damit ist nun wirklich niemandem geholfen.

    Wichtig ist nicht, besser zu sein als alle anderen.
    Wichtig ist, besser zu sein als du gestern warst. (Dogen)

  • Onda:

    Sie ist nämlich nur eine Seite der Medaille


    Die zwei Seiten der Medaille sind die "relative" Ebene auf der einen Seite und die "absolute" Ebene auf der anderen Seite.


    Onda:

    In den vier edlen Wahrheiten geht es um die Überwindung von dukkha - nicht um das Ausscheiden aus dem Leben.


    Matthias65:

    warum "die Buddhisten" aus dem Kreislauf des Lebens (Samsara) "ausscheiden" wollen.


    Onda, Wu und ich haben beide vom Ausscheiden aus dem Kreislauf des Lebens (Samsara) geredet, nicht vom "Ausscheiden aus dem Leben".

  • Matthias65:
    Onda:

    In den vier edlen Wahrheiten geht es um die Überwindung von dukkha - nicht um das Ausscheiden aus dem Leben.


    Matthias65:

    warum "die Buddhisten" aus dem Kreislauf des Lebens (Samsara) "ausscheiden" wollen.


    Onda, Wu und ich haben beide vom Ausscheiden aus dem Kreislauf des Lebens (Samsara) geredet, nicht vom "Ausscheiden aus dem Leben".

    [/quote]


    "Der ich also rede, also lehre, ihr Mönche, mich bezichtigen einige Asketen und Brahmanen, grundloser, nichtiger Weise, fälschlich, mit Unrecht: 'Ein Verneiner ist der Asket Gotamo, des lebendigen Wesens Zerstörung, Vernichtung, Aufhebung verkündigt er.
    'Was ich nicht bin, ihr Mönche, nicht rede, dessen bezichtigen mich jene lieben Asketen und Brahmanen, grundloser; nichtiger Weise, fälschlich, mit Unrecht:
    'Ein Verneiner ist der Asket Gotamo, des lebendigen Wesens Zerstörung, Vernichtung, Aufhebung verkündigt er.'" Nur eines, ihr Mönche, verkündige ich, heute wie früher: das Leiden und des Leidens Ausrodung. M 22


    "Es gibt, ihr Mönche, einige Priester und Asketen, die Zerstörung behaupten, des lebendigen Wesens Zerstörung, Vernichtung, Aufhebung ankünden, nach sieben Urständen. Diese ehrsamen Priester und Asketen nun, worauf gründen sich die, worauf stützen sich die und behaupten Zerstörung, künden des lebendigen Wesens Zerstörung, Vernichtung, Aufhebung an, nach sieben Urständen?


    86. (1) "Da hat, ihr Mönche, irgend ein Asket oder Priester diese Meinung, diese Ansicht: Da ja doch dieses Selbst formhaft, aus den vier Hauptstoffen entstanden ist, von Vater und Mutter gezeugt wird, so geht es bei der Auflösung des Leibes zugrunde, geht verloren, besteht nicht mehr nach dem Tode; daher fällt denn also dieses Selbst völliger Vernichtung anheim. Auf solche Weise künden die einen des lebendigen Wesens Zerstörung, Vernichtung, Aufhebung an.


    (2) "Einem solchen entgegnet nun ein anderer: Es ist wohl dieses Selbst so beschaffen, wie du sagst: ich sage nicht, dass es das nicht gibt. Aber dieses Selbst ist nicht schon insofern gänzlich vernichtet. Es gibt noch ein anderes Selbst, ein himmlisches, formhaftes, nach Lust umherschweifendes, das an der körperlichen Speise teilnimmt. Das kennst du nicht und siehst es nicht während ich es kenne und sehe. Es ist aber dies das Selbst, das bei der Auflösung des Leibes zugrundegeht, verlorengeht, nach dem Tode nicht mehr besteht; erst insofern ist das Selbst völliger Vernichtung anheimgefallen. Auf solche Weise künden die anderen des lebendigen Wesens Zerstörung, Vernichtung, Aufhebung an.


    (3) "Einem solchen entgegnet nun einer: Es ist wohl dieses Selbst so beschaffen, wie du sagst; ich sage nicht, dass es das nicht gibt. Aber dieses Selbst ist nicht schon insofern gänzlich vernichtet. Es gibt noch ein anderes Selbst, ein himmlisches, formhaftes, geisthaftes, das begabt mit allen Gliedern fällig ist. Das kennst du nicht und siehst es nicht, während ich es kenne und sehe. Es ist aber dies das Selbst, das bei der Auflösung des Leibes zugrundegeht, verlorengeht, nach dem Tode nicht mehr besteht; erst insofern ist das Selbst völliger Vernichtung anheimgefallen. Auf solche Weise kündigen die einen des lebendigen Wesens Zerstörung, Vernichtung, Aufhebung an.


    (4) "Einem solchen entgegnet nun ein anderer: Es ist wohl dieses Selbst so beschaffen, wie du sagst; ich sage nicht, dass es das nicht gibt. Aber dieses Selbst ist nicht schon insofern gänzlich vernichtet. Es gibt noch ein anders Selbst, das nach völliger Überwindung der Formwahrnehmungen, Vernichtung der Gegenwahrnehmungen, Verwerfung der Vielheitwahrnehmungen in dem Gedanken 'Grenzenlos ist der Raum' das Reich des unbegrenzten Raumes erreicht. Das kennst du nicht und siehst es nicht, während ich es kenne und sehe. Es ist aber dies das Selbst, das bei der Auflösung des Leibes zugrundegeht, verlorengeht, nach dem Tode nicht mehr besteht; erst insofern ist das Selbst völliger Vernichtung anheimgefallen. Auf solche Weise künden die anderen des lebendigen Wesens Zerstörung, Vernichtung, Aufhebung an.


    90. (5) "Einem solchen entgegnet nun einer: Es ist wohl dieses Selbst so beschaffen, wie du sagst; ich sage nicht, dass es das nicht gibt. Aber dieses Selbst ist nicht schon insofern gänzlich vernichtet. Es gibt noch ein anderes Selbst, das nach völliger Überwindung der unbegrenzten Raumsphäre in dem Gedanken 'Grenzenlos ist das Bewusstsein' das Reich des unbegrenzten Bewusstseins erreicht.
    Das kennst du nicht und siehst es nicht, während ich es kenne und sehe. Es ist aber dies das Selbst, das bei der Auflösung des Leibes zugrundegeht, verlorengeht, nach dem Tode nicht mehr besteht; erst insofern ist das Selbst völliger Vernichtung anheimgefallen. Auf solche Weise künden die einen des lebendigen Wesens Zerstörung, Vernichtung, Aufhebung an.


    91. (6) "Einem solchen entgegnet nun ein anderer: Es ist wohl dieses Selbst so beschaffen, wie du sagst; ich sage nicht, dass es das nicht gibt. Aber dieses Selbst ist nicht schon insofern gänzlich vernichtet. Es gibt noch ein anderes Selbst, das nach völliger Überwindung der unbegrenzten Bewusstseinsphäre in dem Gedanken 'Nichts ist da' das Reich des Nichtdaseins erreicht (eine Vorstufe auf dem Wege zur Erwachung).
    Das kennst du nicht und siehst es nicht, während ich es kenne und sehe. Es ist aber dies das Selbst, das bei der Auflösung des Leibes zugrundegeht, verlorengeht, nach dem Tode nicht mehr besteht; erst insofern ist das Selbst völliger Vernichtung anheimgefallen. Auf solche Weise künden die anderen des lebendigen Wesens Zerstörung, Vernichtung, Aufhebung an.



    92. (7) "Einem solchen entgegnet nun einer: Es ist wohl dieses Selbst so beschaffen, wie du sagst; ich sage nicht, dass es das nicht gibt. Aber dieses Selbst ist nicht schon insofern gänzlich vernichtet. Es gibt noch ein anderes Selbst, das nach völliger Überwindung der Nichtdaseinsphäre in dem Gedanken 'Das ist die Ruhe, das ist das Ziel' das Reich der Grenze möglicher Wahrnehmung erreicht.
    Das kennst du nicht und siehst es nicht, während ich es kenne und sehe. Es ist aber dies das Selbst, das bei der Auflösung des Leibes zugrundegeht, verlorengeht, nach dem Tode nicht mehr besteht; erst insofern ist das Selbst völliger Vernichtung anheimgefallen. Auf solche Weise künden die einen des lebendigen Wesens Zerstörung, Vernichtung, Aufhebung an.


    93. "Danach, ihr Mönche, behaupten jene Asketen und Priester Zerstörung, künden des lebendigen Wesens Zerstörung, Vernichtung, Aufhebung an, nach den sieben Urständen. Denn wer da irgend, ihr Mönche, als ein Asket oder Priester Zerstörung behauptet, des lebendigen Wesens Zerstörung, Vernichtung, Aufhebung ankündet, ein jeder solche tut es nach eben diesen sieben Urständen, nach dem einen oder dem anderen: es gibt keine außerdem.


    94. "Da erkennt denn, ihr Mönche, der Vollendete: 'Solche Ansichten, also angenommen, also beharrlich erworben, lassen dahin gelangen, lassen eine solche Zukunft erwarten.' Das erkennt der Vollendete, und erkennt was darüber hinausreicht. Bei dieser Erkenntnis beharrt er aber nicht, und weil er dabei nicht beharrt findet er Einkehr eben in sich: und weil er der Gefühle Aufgang und Untergang, Labsal und Elend und Überwindung wirklich verstanden hat, ist ohne Anhangen abgelöst, ihr Mönche, der Vollendete.


    "Das sind, ihr Mönche, die Dinge, die tief sind, schwer zu entdecken, schwer zugewahren, stille, erlesene, unbekrittelbare, feine, Weisen erfindliche, die der Vollendete selbst verstanden, sich offenbar gemacht hat und dann kennen lehrt, um welche man über den Vollendeten nach Gebühr ein günstiges Urteil richtig fällen mag." D 1


  • Viele Grüße
    Elliot

    Viele Grüße

    Elliot

  • Onda:

    Du kannst deine Liste gerne wieder hier einstellen!


    1) Eine rein diesseitige Lehre
    Grundsätzliche Aversion gegen die Vorstellung, die eigenen Lebensumstände wären (auch) das Resultat der Handlungen früherer Wesen (-> MN 71). Die Lehre vom bedingten Entstehen wird missverstanden und als metaphorische Beschreibung umgedeutet. Festhalten an weltlichen Idealen, Zielen und Freuden.


    2) Übertriebene Wertschätzung des Individuums und seiner individuellen Eigenschaften und Fähigkeiten
    Die individuellen Eigenschaften und Fähigkeiten sind sehr bedeutsam für die Praxis (siehe z.B. MN 32), aber das Festhalten an diesen Eigenschaften und Fähigkeiten hindert an der Befreiung (siehe z.B. MN 35).


    3) Ignorieren der Vergänglichkeit
    Sämtliche individuellen Eigenschaften und Fähigkeiten sind vergänglich. Daher auch die immer wiederkehrende Formel: "Was ein Lehrer, der auf das Wohlergehen seiner Schüler aus ist und Mitgefühl für sie hat, aus Mitgefühl für seine Schüler tun sollte, das habe ich für euch getan. Dort sind Bäume, dort sind leere Hütten. Meditiert, seid nicht nachlässig, ihr sollt es später nicht bereuen müssen. Dies ist unsere Anweisung an euch. Dies ist unsere Anweisung an dich." (z.B. MN 8 )


    4) Ignorieren der vier edlen Wahrheiten
    Die erste der vier Edlen Wahrheiten lautet: "Und was, Freunde, ist die Edle Wahrheit von Dukkha? Geburt ist Dukkha; Altern ist Dukkha; Tod ist Dukkha; Kummer, Klagen, Schmerz, Trauer und Verzweiflung sind Dukkha; nicht bekommen, was man sich wünscht, ist Dukkha; kurz, die fünf Daseinsgruppen, an denen angehaftet wird, sind Dukkha." (MN 141) Stattdessen wird Dukkha wahlweise mit einer Illusion über das Leben oder gar mit dem Leben selbst identifiziert.


    5) Eine genussfreundliche Lehre
    Sinnliche Freuden werden nicht als Hindernis und nicht als im Widerspruch zum Mittleren Weg erkannt: ""Man sollte nicht nach dem Glück der Sinnesvergnügen trachten, welches niedrig, gewöhnlich, grob, unedel und unheilsbringend ist; und man sollte nicht nach Selbstkasteiung trachten, welche schmerzhaft, unedel und unheilsbringend ist. Der Mittlere Weg, der vom Tathāgata entdeckt wurde, vermeidet beide Extreme; er gibt Schauung, gibt Wissen, er führt zum Frieden, zur höheren Geisteskraft, zur Erleuchtung, zu Nibbāna." (MN 139) Es wird nicht erkannt, welche Bedeutung hier der richtigen Meditationspraxis zukommt: ""Sogar wenn ein edler Schüler der Wirklichkeit entsprechend mit angemessener Weisheit deutlich gesehen hat, wie wenig Befriedigung die Sinnesvergnügen bieten, aber wieviel Leid und wieviel Verzweiflung, und wie groß die Gefahr ist, die in ihnen steckt; solange er nicht die Verzückung und Glückseligkeit erlangt, die von Sinnesvergnügen abgetrennt sind, abgetrennt von unheilsamen Geisteszuständen, oder etwas noch friedvolleres [2], so lange mag er noch zu Sinnesvergnügen hingezogen werden. Aber wenn ein edler Schüler der Wirklichkeit entsprechend mit angemessener Weisheit deutlich gesehen hat, wie wenig Befriedigung die Sinnesvergnügen bieten, aber wieviel Leid und wieviel Verzweiflung, und wie groß die Gefahr ist, die in ihnen steckt; und wenn er die Verzückung und Glückseligkeit erlangt, die von Sinnesvergnügen abgetrennt sind, abgetrennt von unheilsamen Geisteszuständen, oder etwas noch friedvolleres, dann wird er nicht mehr zu Sinnesvergnügen hingezogen." (MN 14)


    6) Überbetonung zwischenmenschlicher Beziehungen
    Zu enge Beziehungen zu Familie, Freunden und Gefährten können hinderlich sein auf dem Mittleren Weg: Siehe z.B. MN 87 und MN 122.

    7) Eine rationalistische Lehre
    Als wirklich wird nur das den weltlichen Sinnen inklusive Verstand zugängliche erachtet. Erfahrungsmöglichkeiten, die sich erst aus fortgeschrittener Praxis ergeben (-> MN 119), werden ignoriert.


    8) Geringschätzung des monastischen Weges
    Die Mönchs-Existenz kann helfen, den Mittleren Weg zu beschreiten. Sie wird als Eskapismus missverstanden und diffamiert. Tatsächlich ist dies jedoch eine bedeutende Herausforderung: "Und sogar jene seiner Schüler, die sich von ihren Gefährten im heiligen Leben trennen und zum niedrigen Leben zurückkehren - sogar sie preisen den Lehrer und das Dhamma und die Sangha; sie geben sich selbst statt anderen die Schuld, indem sie sagen: >Wir hatten Pech, wir haben wenig Verdienste; denn obwohl wir in solch einem wohlverkündeten Dhamma, einer wohlverkündeten Disziplin in die Hauslosigkeit gezogen sind, waren wir nicht in der Lage, das vollkommene und reine heilige Leben bis zu unserem Lebensende zu leben.< Nachdem sie Klosterdiener oder Laienanhänger geworden sind, nehmen sie die fünf Übungsregeln auf sich und befolgen sie." (MN 77)


    9) Fixierung auf Sekundärliteratur
    Anstelle sich an den überlieferten jahrtausendealten Schriften zu orientieren, wird aus dem überbordenden mehr oder weniger zeitgenössischen Angebot an Sekundärliteratur das dem eigenen Lebensstil gerade am genehmsten erscheinende als "höchste Wahrheit" ausgewählt und propagiert.


    10) Beliebigkeit
    Anstelle sich entsprechend der vierten edlen Wahrheit (MN 141) mit der Meditationspraxis auf den achtfachen Pfad zu begeben (samma sati -> samma samadhi), werden alle möglichen anderen Praktiken vorgezogen.


    11) Nachlässigkeit
    Anstelle regelmässiger Meditationspraxis wird Spekulation, Philosophie und Wellness betrieben.


    12) Schulbildung
    Es kommt zur Bildung von Schulen, die sich voneinander abgrenzen und um Deutungshoheit wetteifern.


    13) Überbewertung von Kunst
    Kunst hat das Potential ästhetischer Kommunikation, lenkt aber oft auch ab und stellt Unwesentliches in den Vordergrund.


    14) Machtmissbrauch
    Religion wird benutzt, um Macht auszuüben. Die herrschende Kaste sichert sich persönliche Vorteile und Privilegien. Machtausübung ermöglicht den jenen spezifischen Lustgewinn, der aus der Unterdrückung anderer Menschen resultiert. Sexueller Missbrauch von Schülern. Anhäufung von Besitz.


    15) Glaube und Aberglaube
    Im Zusammenhang mit der Rationalismus-Kritik kommt es zu einer Überbetonung der Glaubenselemente und zu einer Degeneration im Aberglauben: Amulette, Glücksbringer, Geisterbeschwörung, Zauber-Mantren, Reliquienkult etc. Unkritische Übernahme abergläubischer hinduistischer Glaubensinhalte wie Karma und Wiedergeburt.


    16) Anhaftung an Riten
    Schon der Buddha hat die Gefahr des Anhaftens an Riten erkannt. Auch der Buddhist erkommt dieser Gefahr nicht immer erfolgreich und haftet an: Mantrenrezitationen, Sutrenrezitationen, Meditationskleidung, Zeremonien, etc.


    17) Missbrauch von Lehrelementen zur Immunisierung gegen Kritik
    Buddhisten (und buddhistische Gemeinschaften) haben eine wirkungsvolle Strategie, um Kritik an sich abprallen zu lassen: sie erklären Kritik zum alleinigen Problem des Kritikers: "Alles deine Projektionen". So vermeidet man es geschickt, sich mit dem eigenen Fehlverhalten auseinanderzusetzen.


    Viele Grüße
    Elliot

    Viele Grüße

    Elliot

  • Kleine Seitenbemerkung zu Elliots "Gegen-Liste":


    Wer das partielle Abgleiten einer Lehre in Extreme kritisiert, muss nicht selbst zwangsläufig ins gegenteilige Extrem abgleiten.


    LG
    Onda

    "Es gibt nichts Gutes, außer: man tut es." (Erich Kästner)
    "Dharma books and tapes are valuable, but the true dharma is revealed through our life and practice." (Thich Nhat Hanh)

  • Matthias65:
    Wu°:

    Ich finde es viel stimmiger, mit dem Wandel des Lebens mitzufliessen, als aus dem Kreislauf des Lebens ausscheiden zu wollen.


    Hallo Wu, kennst Du die 4 Edlen Wahrheiten ? In Buddhas 4 Edlen Wahrheiten werden die Gründe gut erklärt warum "die Buddhisten" aus dem Kreislauf des Lebens (Samsara) "ausscheiden" wollen.


    Ja, kenn ich. Genau da kann man meiner Meinung nach aber doch sehn, das für Buddha Dukkha ein, wenn nicht das Problem darstellt. Aber aus meiner Sicht ist es eben das nicht. Und Ondas hinterfragen legt IMHO etwas ähnliches nahe.
    (Eine andere Frage ist, ob es im westlichen Buddhismus überhaupt noch ein Kreislauf ist. Ich seh da die Tendenz, es eher als Linie zu sehn - ein Bewusstseinskontinuum z.B.).

    "Von der Waschschüssel der Geburt

    bis zur Waschschüssel des Bestatters -

    nur Geschwafel"

    Ikkyû Sôjun

  • Wu°:

    Ja, kenn ich. Genau da kann man meiner Meinung nach aber doch sehn, das für Buddha Dukkha ein, wenn nicht das Problem darstellt. Aber aus meiner Sicht ist es eben das nicht.


    Es ist ganz normal, das aus deiner Sicht das Leiden nicht das Problem ist.
    Um das zu erkennen braucht es nämlich einen Buddha oder einen der es von
    da gehört hat. Auch damals zu Zeiten des Buddha erkannten und verstanden
    die Menschen das Leiden nicht und nicht die wahre Ursache und nicht die
    wahre Erlöschung des Leidens und auch nicht den wahren Weg der zur
    Auflösung dieses Leidens führt. Da ist heute auch nicht anders.


  • Was warscheinlich daher rührt, das die Menschen davon ausgehen, die Dinge sind wie sie sind und sind nicht zu ändern.
    Wieviele Menschen sagen von sich "So bin ich ebend, das kann ich ja nicht ändern.".
    Sie gehen halt von etwas festem aus und hinterfragen es gar nicht.
    Und warum sollten sie es auch hinterfragen, wenn alle anderen Menschen dies auch als gegeben ansehen und es ihnen von klein auf eingetrichtert und auch selbst verinnerlicht wird.

    "Nur eines verkünde ich heute, wie immerdar: Leiden und seine Vernichtung."
    Buddha

  • Maybe Buddha:

    Was warscheinlich daher rührt, das die Menschen davon ausgehen, die Dinge sind wie sie sind und sind nicht zu ändern.


    Ja, das auch. Grundsätzlich sagt man liegt es an der durch Begehren
    und Abneigungen bestehenden Verblendung.

  • accinca:
    Maybe Buddha:

    Was warscheinlich daher rührt, das die Menschen davon ausgehen, die Dinge sind wie sie sind und sind nicht zu ändern.


    Ja, das auch. Grundsätzlich sagt man liegt es an der durch Begehren
    und Abneigungen bestehenden Verblendung.


    Ja, das wäre dann die Ursache von dem falschen denken der Menschen. Bzw. ist dieses ja teil der Unwissenheit.

    "Nur eines verkünde ich heute, wie immerdar: Leiden und seine Vernichtung."
    Buddha

  • Elliot:


    4) Ignorieren der vier edlen Wahrheiten
    Die erste der vier Edlen Wahrheiten lautet: "Und was, Freunde, ist die Edle Wahrheit von Dukkha? Geburt ist Dukkha; Altern ist Dukkha; Tod ist Dukkha; Kummer, Klagen, Schmerz, Trauer und Verzweiflung sind Dukkha; nicht bekommen, was man sich wünscht, ist Dukkha; kurz, die fünf Daseinsgruppen, an denen angehaftet wird, sind Dukkha." (MN 141) Stattdessen wird Dukkha wahlweise mit einer Illusion über das Leben oder gar mit dem Leben selbst identifiziert.


    Die erste Wahrheit lautet: Es gibt dukkha, da ist dukkha.
    "kurz, die fünf Daseinsgruppen, an denen angehaftet wird, sind Dukkha".
    Die Wurzelursache für dukkha ist das Anhaften.


    LG
    Onda

    "Es gibt nichts Gutes, außer: man tut es." (Erich Kästner)
    "Dharma books and tapes are valuable, but the true dharma is revealed through our life and practice." (Thich Nhat Hanh)