Hallo zusammen, ich bin neu hier.
Mit dem Buddhismus beschäftige ich mich seit rund 20 Jahren, mal mehr mal weniger. Erst vor ungefähr zwei Jahren habe ich mich einem Sangha angeschlossen, der sich auf einen Meister bezieht, der Autor eines Buches ist, das mich persönlich von Beginn an am meisten angesprochen hat, das ich bis heute ganz wunderbar finde und zu einer wichtigen Grundlage meines Verständnisses des Dharma geworden ist. Im zugehörigen Sangha fühlte ich mich, nachdem ich früher mehrere buddhistische Gruppen "ausprobiert" habe, wohl und gut aufgehoben. Ich finde, dass viele der Mitglieder hervorragende Arbeit leisten, um auch "Neuen" die Grundlagen des Buddhismus näher zu bringen.
Kürzlich besuchte ich zum ersten Mal ein längeres Retreat mit dem erwähnten Meister. Ich hatte ihn vorher schon mehrmals "live" erlebt, jedoch allenfalls ein Wochenende lang. Ich kannte ihn als humorvoll, zuweilen auch frech und regelrecht provozierend, habe mich aber nie daran gestoßen, da ich einerseits davon ausging, dass dies einfach geschickte Mittel waren, um die Aufmerksamkeit seiner Zuschauer zu erregen und zu erhalten, andererseits auch großes Vertrauen in ihn hatte, das wohl vor allem darauf zurückging, dass er eben jenes Werk verfasst hat.
Beim letzten Retreat erlebte ich ein Verhalten seinerseits, das ich als schockierend empfunden habe. Es blieb nicht bei ein paar frechen Bemerkungen. Vorwürfe und persönliche Kritik, die er teilweise stundenlang vor allen Teilnehmern äußerte, bezogen sich jeweils auf seine älteren Schüler und ganz konkrete Handlungen, die sie für ihn hatten ausführen sollen und bei denen ihnen seiner Meinung nach Fehler unterlaufen waren. Er lobte sich selbst und seine Qualitäten in extenso, betonte seine Bekanntschaft mit diversen prominenten Persönlichkeiten und verlangte, dass eine Vielzahl von Getreuen buchstäblich sprungbereit um ihn herum war, um nicht nur den gewünschten Ablauf der Veranstaltung sicherzustellen, sondern auch in Sekundenschnelle jede Art von persönlichem Komfort anzudienen, vom Ausziehen der Socken bis zum Umlegen einer Decke. Diese Tiraden unterblieben nur an einem Abend, der auch der Öffentlichkeit zugänglich war. Ganz offensichtlich arbeiteten die Schüler, die zu seinem engeren Umfeld gehörten, für ihn bis zum Umfallen.
Ich konnte für mich nur den Schluss ziehen, dass ich jemanden mit einem irrsinnig aufgeblähten Ego und deutlichen Missbrauchstendenzen erlebt habe. Im Vorfeld war mir ein Artikel eines Nachrichtenmagazins bekannt, in dem von bestimmten Vorwürfen gegen diesen Meister die Rede war. Meine Haltung dazu war "Kann sein, kann nicht sein" - bekannte Persönlichkeiten stehen halt immer in der Schusslinie. Nach dem Retreat las ich in anderen Medien genauer nach, worauf sich die Anschuldigungen bezogen und fand Erlebnisberichte, die den Meister so schilderten, wie auch ich ihn wahrgenommen hatte - nur dass das fragliche Verhalten demnach außerhalb öffentlicher Veranstaltungen noch viel ausgeprägtere, in jeder Weise absolut inakzeptable Formen angenommen haben soll. Nach den Erlebnissen des Retreats gehe ich davon aus, dass die Vorwürfe alles andere als Hirngespinste sind.
"Crazy Wisdom" mag unkonventionelle Methoden einschließen. Wenn ich akzeptieren soll, dass tägliche stundenlange Demütigungen eine Methode sind, die gewohnte Denkweise aufzubrechen und die Schüler zur inneren Befreiung zu führen, muss ich vorher meinen Verstand an der Tür abgeben. Eben das haben viele meiner Sanghabrüder und -schwestern offenbar getan.
Ich bin sehr erschüttert nach diesen Erlebnissen und weiß nicht recht, wie ich weitermachen soll. Der Sangha, die Beschäftigung mit den Inhalten, die dort vermittelt werden, ist zu einem wichtigen Bestandteil meines Lebens geworden. Natürlich ist die Qualität des Buddhismus durch einen einzelnen Lehrer, der andere zu seinem persönlichen Vorteil missbraucht, nicht in Frage gestellt. Dennoch ist es für mich eine Erfahrung, die mir ein bisschen den Boden unter den Füßen wegzieht.
Soll ich mich einem anderen Lehrer zuwenden? Wenn ja, welchem?
Akzeptieren, dass Anhaftung an den Sangha die Ursache von Leiden ist und eine neue suchen, weil wohl keine Basis mehr da sein wird, nachdem mein Vertrauen in den Meister völlig zusammengebrochen ist?
Es fällt mir schwer, das Gute, dass ich dennoch dort erfahren habe, nicht im Licht der neuen Erfahrungen zu sehen.
Ich bin ganz schön ratlos.