Wie haltet Ihr die Mitte ?

  • Hallo,


    ich muss sagen das es bei mir Lange Zeit zwischen Extremen gependelt ist. Entweder das Leben war schön oder auch, vor allem die Letzten drei Jahre , habe sich bei mir ab und zu auch Suizidgedanken eingeschlichen bzw. eine Art Todessehnsucht . Was wohl im Buddhismus die Gier nach nicht - Sein ist.

    Ich weiß die Frage ist etwas Intim . Aber mich würde echt interessieren , ob ihr auch mal solche Gedanken gehabt. Wie kann man die Mitte zwischen Sein und nicht sein halten . Oder geht es eher darum , das Pendeln zu akzeptieren.

    Macht das das Leben aus ?


    Viele Grüße Kaiman


    (PS: Ich bin nicht suizidgefährdet und habe das Thema schon in einer Therapie bearbeitet.)

  • Hallo Kaiman, ich kenne das auch, allerdings schon seit der Kindheit.

    Früher nannte man das himmelhochjauchzend zutodebetrübt.


    Was auch immer, es gibt gerade durch das Praktizieren der Lehre die Kraft der Mitte. Meiner Erfahrung nach durch Disziplin, sich nicht zu erlauben, ständig um sich selbst zu kreisen.


    Ich wünsche Dir alles Gute Kaiman

    _()_Monika

    Ohne mich ist das Leben ganz einfach

    Ayya Khema

    Oder anders ausgedrückt: Die Beherrschung der Gedanken ist der Weg zum Glück (SH Dalai Lama)

  • Ich weiß die Frage ist etwas Intim . Aber mich würde echt interessieren , ob ihr auch mal solche Gedanken gehabt.

    Wenn man viel Leid erfährt kann schon mal ein Gedanke nach Selbstmord aufkommen, ich finde daran nichts Ungewöhnliches. Meistens wird er dann ja nicht in die Tat umgesetzt.


    Wie kann man die Mitte zwischen Sein und nicht sein halten . Oder geht es eher darum , das Pendeln zu akzeptieren.

    Macht das das Leben aus ?

    Die Mitte zwischen sein wollen und nicht sein wollen ist wohl gemeint. Weder das Eine noch das Andere wollen, würde ich sagen. Manchmal ist man gerne da, manchmal nicht, so ist das nun mal. Beides geht vorüber und macht dann wieder dem jeweils anderen Platz.

  • Hallo Kaiman,


    Ich hoffe es geht dir gut. Ich kenne diese Situationen nur im Kleineren. Was mir ganz praktisch dabei hilft sind zwei Dinge:


    Erstens das bewusste Atmen aus der Meditation in einer solchen Situation abzurufen. Ich denke, der Körper ist durch Rege Praxis darauf trainiert in einem ruhigen und friedlichen Zustand zu gelangen. Der Geist beruhigt sich (zumindest bei mir) dann über den Körper.


    Zweitens versuche ich meine Emotion und Empfindung zu beobachten. Ich bin nicht das Gefühl, ich nehme es war. Dadurch kriege ich es dann hin, nicht „weggeschwemmt“ zu werden von der Situation. Gelegentlich schaffe ich es in der Meditation Emotion, Gedanken und körperliches Empfinden voneinander zu trennen. Dann kann ich mich auf die Empfindung fokussieren und es fällt leichter, nicht in kreisende Gedanken zu verfallen.


    🙏 Christoph


  • Zweitens versuche ich meine Emotion und Empfindung zu beobachten. Ich bin nicht das Gefühl, ich nehme es war. Dadurch kriege ich es dann hin, nicht „weggeschwemmt“ zu werden von der Situation.

    Diese Beobachten hilft mir auch sehr über Stimmungsschwankungen und unheilsame Gedanken hinwegzukommen. Dadurch entsteht eine Distanz und mehr oder weniger Nicht-Identifikation. Es ist verbunden mit der Besinnung,, dass ich in Wirklichkeit nicht die Khandha, bzw. die sich ständig ändernden geistigen und körperlichen Phänomene bin. Zusammen mit der Bemühung den ganzen achtfachen Pfad zu erfüllen, ermöglicht das auch den Ausblick, allmählich die drei Daseinsmerkmale Dukkha, Anicca und Anatta zu durchschauen, was am Ende zur Erkenntnis der Wahrheit und dem Versiegen des Begehrens führt und damit zum Ende aller Leiden.

    Ich finde es sehr wichtig und heilsam, einen Weg zu haben und regelmäßig zu praktizieren, das zerstört das Gefühl der Hoffnungslosigkeit und gibt dem Leben den höchsten Sinn.

  • Entweder das Leben war schön oder auch, vor allem die Letzten drei Jahre , habe sich bei mir ab und zu auch Suizidgedanken eingeschlichen bzw. eine Art Todessehnsucht .

    Die letzten drei Jahre waren auch bei mir nicht gut. Im Grunde sind solche Zeiten sehr wertvoll für den buddhistischen Weg: Dukkha ist präsent und spürbar – und damit auch all die Geistesgifte, die in guten Zeiten zwar auch anwesend sind, aber nicht sichtbar werden. Das kann ich dann analysieren, kontemplieren, meditieren.


    Je "glücklicher" das Leben in Sachen Gesundheit, Reichtum, Jugend, Frieden, Beziehung, etc. desto schlimmer sind oft die Schmerzen, wenn all das ins Wanken gerät. Die großen Gleichmacher – Alter, Krankheit und Tod, von Begehrtem getrennt sein, Unliebsamem ausgesetzt sein – erwischen alle irgendwann, auch die Götter (Superreichen) – und damit ergibt sich ein Fenster für die Praxis, um ein paar Schritte in Richtung Befreiung zu machen.


    Mit anderen Worten: Die "schlechten" Zeiten ermöglichen erst den Weg der Mitte.

    Das ist denn doch nur der Abendwind, der heute mit ordentlich verständlichen Worten flüstert.

    Einmal editiert, zuletzt von Thorsten Hallscheidt ()

  • Liebe/r Kaiman,

    ich kenne das Thema des Gedankenkreisens um das Ende nur zu gut.


    Zunaechst einmal ist wohl zu sagen, dass solche Gedanken nicht der gesunden menschlichen Natur eintsprechen. Also sie deuten in gewisser Weise auf psychische und/oder biochemische Misstaende im Koerper bzw Gehirn hin.


    Ich selbst kam aus diesem Zustand durch Suchen und Annehmen von Hilfe weitesgehend heraus. Und das war zum Einen medikamentoese Hilfe in Form von gut eingestelltem Antidepressivum und zum Anderen durch psychotherapeutische Massnahmen. Letzteres ausschliesslich durch Hinwendung zu den edlen vier Wahrheiten - und vor allem - durch Praktizieren des achtfachen Pfades.

    Wobei ich persoenlich die Ueberlieferungen vom Buddha eher als Ueberlieferungen des sehr weisen "Dr. Gautama" sehe, also ihn weniger als "Lichtgestalt" verinnerliche.


    Wie kann man die Mitte zwischen Sein und nicht sein halten . Oder geht es eher darum , das Pendeln zu akzeptieren.

    Macht das das Leben aus ?

    Mein eigener Lehrer riet mir, das "Pendeln" zu beobachten. Und zwar besonders auf dem Kissen, bei Gehmeditation, o.Ae.

    Und er saget auch dass es vermutlich ein ziemlich angwieriger Prozess ist, um seine Gefuehle bis auf den Grund hin auszuloten.


    Herzlich,

    nuk

    Einmal editiert, zuletzt von nuk ()

  • Bei mir funktioniert Disziplin überhaupt nicht.

    Ich bin ein sehr kreativer Mensch und mein echtes Leben pulsiert durch spontane Einfälle. Gerade gestern schon wieder sowas: ich saß ruhig da, in einem philosophischen Buch lesend. Hatte es mir gemütlich gemacht, ein paar Kerzen brannten. Plötzlich fiel mir, wie ein Blitzschlag, ein, wie ich eine hochwertige Tasche mit kleinem Defekt kreativ reparieren kann, so dass sie sogar noch zum Blickfang wird. Ich musste das Buch beiseite schmeißen und sofort zur Tat schreiten.

    Aber wie kann das sein?! Das Buch handelte doch von einem ganz anderen Thema.

    Es war wie ein Überfall.

    So ist es bei mir, und erzwungene Disziplin würde mir schaden und könnte bei mir viel eher zu Suizidgedanken führen.


    Suizidgedanken hatte ich allerdings auch schon, vor sehr langer Zeit.

    In meiner Pubertät.

    Gleichzeitig fühlte ich mich wie ein Alien, ganz, ganz einsam auf der Welt, ohne einen Menschen, der mich versteht. War in meiner eigenen Welt versponnen. Mit der Zeit habe ich mich, langsam aber sicher, selbst da herausgewurschtelt und habe nie eine psychotherapeutische Praxis von innen gesehen, außer im Fernsehen.

    Oder geht es eher darum , das Pendeln zu akzeptieren.

    Macht das das Leben aus ?

    Meine Erfahrung ist: nicht das Akzeptieren des Pendelns ist der Springende Punkt, sondern mit dem Pendeln zu arbeiten.

    Dabei meine ich aber nicht bloß punktuell den Gedanken an Sein oder Nichtsein, sondern das Pendeln an sich, die Schwankungen im Leben.

    Beispielsweise, wenn man sich körperlich nicht besonders fit fühlt, weil vielleicht eine Grippe im Anmarsch ist. Sowas kann, wenn man sowieso psychisch angeschlagen ist, schwer aufs Gemüt drücken. Als ich noch ganz jung war, konnte sowas Suizidgedanken bei mir durchaus verstärken.

    Heute kann ich sehr gut unterscheiden, ob es um echte Stimmungstiefs geht oder ob mein Körper einfach nur ein bisschen krank ist, und dann denke ich: alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei, und lenke mich dann mit irgendwas ab, irgend eine Haushaltsarbeit oder dergleichen. In solchen Situationen ist es nach meiner Erfahrung nicht günstig, das zu vertiefen, indem man etwa noch mehr grübelt oder sich darüber in diesem Forum auslässt. Besser ist es, den Körper was arbeiten oder was fummeln zu lassen, oder spazieren gehen, das macht den Kopf wieder frei. Wenn das nicht hilft, ins Bett gehen.


    Da ich hier, so wie ich lebe, niemandem verpflichtet bin, erlaube ich mir den Luxus, sehr früh zu Bett zu gehen und äußerst früh wieder aufzustehen. Ich gehe meistens zwischen 19 und 19.30 Uhr zu Bett und stehe ca. 4 Uhr wieder auf (heute habe ich allerdings verschlafen und es wurde 5.30 Uhr!). Ich genieße die Morgenstunden, in denen ich ganz mit mir allein sein und selbst bestimmen kann, was ich mache. Langfristig gesehen hat das mit dazu beigetragen, Glücksgefühle zu steigern.

    Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum ich nie wieder zum Sitzen auf dem Kissen zurückgefunden habe. Mein "Lerchen-Leben" hat diese Überzeugung noch gefestigt, obwohl der Grund, das aufzugeben, ursprünglich ein anderer war.


    Anmerken möchte ich noch, dass gerade Nâgârjuna sich mit dem Mittleren Weg (Madhyamaka) befasst hat.

    Dieser ist aber sehr tiefgründig und meint noch viel mehr, als diese einfachen Beispiele, die ich hier genannt habe. Nâgârjuna betonte, dass die Dinge weder eine unabhängige Existenz haben noch völlig nicht existieren. Stattdessen entstehen sie in Abhängigkeit von anderen Bedingungen und sind daher leer von einer eigenständigen Existenz.

    Es nützt nichts, wenn man über diese seine Aussagen sich hinsetzt und darüber kontempliert. Erst, wenn man mit Beispielen, die einem im Leben zustoßen, arbeitet, erschließt sich der Sinn dieser Erkenntnisse in subtiler Form.

    Verlange nicht, dass alles so geschieht, wie du es wünschest,
    sondern wolle, dass alles so geschieht, wie es geschieht,
    und es wird dir gut gehen.
    Epiktet

  • ich muss sagen das es bei mir Lange Zeit zwischen Extremen gependelt ist. Entweder das Leben war schön oder auch, vor allem die Letzten drei Jahre , habe sich bei mir ab und zu auch Suizidgedanken eingeschlichen bzw. eine Art Todessehnsucht .

    Der Gedanke an Suizid (ich nenne es für mich lieber "Freitod") ist aus meiner Sicht zunächst normal, und ich kenne persönlich niemanden näher, der solche Gedanken nicht hat.

    Bedenklich wird es wahrscheinlich dann, wenn ich mir tatsächlich einen Strick oder die Freitodpille kaufe.


    Bei mir ist es nicht die Todes-Sehnsucht, sondern die Hoffnung, in einer nicht ganz so verrückten Welt wieder aufzuwachen, ähnlich wie wenn jemand vor zweihundert Jahren auf Nimmerwiedersehen nach Südamerika ausgewandert ist, in der Hoffnung, dort wird alles besser.


    Mit meiner Freundin habe ich vereinbart, dass jeder sich zuerst das O.K. des anderen geben lassen muss, bevor er diese Welt freiwillig verlässt.


    Ein Leben zwischen Extremen hat vor- und Nachteile, aber das weisst Du selbst ja am besten.


    Im Hinduismus gibt es unter den "Bhakti-Yogis" die "Wahnsinnigen Gottes", die bewusst auf den letzten Schritt zum "Nirvana" verzichten, weil sie ihre Liebe zu Gott mit allen Extremen der Nähe und Ferne spüren wollen, vielleicht die "spirituelle" Version der Ehe von Liz Taylor und Richard Burton.


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  • Im Hinduismus gibt es unter den "Bhakti-Yogis" die "Wahnsinnigen Gottes", die bewusst auf den letzten Schritt zum "Nirvana" verzichten, weil sie ihre Liebe zu Gott mit allen Extremen der Nähe und Ferne spüren wollen, vielleicht die "spirituelle" Version der Ehe von Liz Taylor und Richard Burton.

    Nah dran sind hier im Tibetischen Buddhismus die "Tulkus", die freiwillig auf den letzten Schritt zum Nirvana verzichten und somit auf die Nichtwiederkehr, traditionell "Bodhisattvas" genannt.

    Hier geht es natürlich nicht um "Liebe zu Gott", sondern um praktiziertes Mitgefühl mit den Mitwesen, bei dem auch "Verrückte Weisheit" angewendet wird.

    Ich spreche hier von der Theorie, welche ich nach wie vor mit Ehrfurcht betrachte.

    Die Realität sieht allerdings anders aus, aber das ist ein anderes Thema, das kann man bei "Buddhismus kontrovers" vertiefen.

    Verlange nicht, dass alles so geschieht, wie du es wünschest,
    sondern wolle, dass alles so geschieht, wie es geschieht,
    und es wird dir gut gehen.
    Epiktet


  • Da ich hier, so wie ich lebe, niemandem verpflichtet bin, erlaube ich mir den Luxus, sehr früh zu Bett zu gehen und äußerst früh wieder aufzustehen. Ich gehe meistens zwischen 19 und 19.30 Uhr zu Bett und stehe ca. 4 Uhr wieder auf (heute habe ich allerdings verschlafen und es wurde 5.30 Uhr!). Ich genieße die Morgenstunden, in denen ich ganz mit mir allein sein und selbst bestimmen kann, was ich mache. Langfristig gesehen hat das mit dazu beigetragen, Glücksgefühle zu steigern.

    Sehr gut, ich war früher mal in einem indischen Kloster (Ashram), da war es eine Regel von 9h bis 3h zu schlafen, eventuell noch eine kleine Mittagsrast. Nach dem Veda sind die frühen Morgenstunden am Besten zum Meditieren geeignet, da ist der Geist klar und ruhig. besonders eine Stunde vor Sonnenaufgang. Die Inder sind allgemein eher Frühaufsteher.

    "Morgenstund' hat Gold im Mund", der Spruch hat sich total bewahrheitet. Es steigert tatsächlich signifikant das Wohlbefinden, Depressionen und Suizidgedanken gab es nicht mehr.. Leider schaffe ich das jetzt nicht mehr, sollte aber wieder daran arbeiten.

  • Die Mitte finden im Gemüt beim Alltag des Lebens ist auf jeden Fall eine wichtige Angelegenheit.

  • Die Mitte finden im Gemüt beim Alltag des Lebens ist auf jeden Fall eine wichtige Angelegenheit.

    Und wodurch ist diese Mitte im Gemüt beim Alltag des Lebens charakterisiert und wie erwirbt man sie?

    Gruß Helmut


    Als Buddhisten schätzen wir das Leben als höchst kostbares Gut.

  • Die Mitte finden im Gemüt beim Alltag des Lebens ist auf jeden Fall eine wichtige Angelegenheit.

    Und wodurch ist diese Mitte im Gemüt beim Alltag des Lebens charakterisiert und wie erwirbt man sie?

    Garnicht! Entweder ist man Mitte oder eben irgendetwas anderes.

  • Buddha hat es gezeigt, wie er den Mittelweg erlebte. Zunächst kam er aus einem reichen Elternhaus und er verfügte über viele materielle Güter. Das hat ihn beunruhigt, da fehlte etwas und er wanderte in die Welt, um das zu finden. Er wurde Hauslos, hatte nichts zu essen, war bettelarm, ist fast verhungert und er wusste, das ist es auch nicht. So kam er auf die Mitte dieser beiden Extreme als den Zustand, mit dem sich am besten ausgeglichen leben ließ und so fand er die Lösung seiner Beunruhigung.


    Wenn man die Extreme erlebt und überlebt hat, kommt man in die Lage, die Mitte im Gemüt zu finden. Sie ergibt sich nicht zwangsläufig, man muss sie suchen und finden können, man muss den Ausgleich zwischen den Extremen hin zum Mittelweg erleben wollen, dann hat mein eine Chance die Balance im Alltag zu leben. Es ist ein Prozess der Lebensphilosophie.


    Wer meint, die Mitte gibt es nicht, der lässt es und bleibt in den anderen Bereichen und wer meint er hatte die Mitte schon immer, auch gut, ist halt langweilig.


    Ich erlebte als junger Mensch sehr starke Extreme, habe dann die Mitte im Gemüt gefunden, schon vor zwanzig Jahren und seit dem nimmt der Prozess der Ausgeglichenheit stetig zu.