Tugend und Depression

  • Eigentlich gibt es keinen festen Weg – vielmehr ist alles ein ständiges Fließen mit veränderbaren Richtungen und veränderbaren Zielen. Was heute noch als Ziel erscheint, kann sich morgen schon verwandeln. Die Richtungen, in die ich gehen, ändert sich immer wieder, je nachdem, was das Leben gerade bringt. Alles bleibt in Bewegung, alles transformiert sich ständig. Für mich ist das Leben eher ein offener Prozess als ein klar abgesteckter Pfad – voller Möglichkeiten, Veränderungen und Perspektiven.

    Nichts muss, alles darf (:

  • Allerdings ging es mir in diesem Thread mehr darum, die unter religiöser Praxis verborgene Depression zu besprechen, die mir nicht selten im buddhistischen Kontext, nicht zuletzt auch in Bezug auf meine eigene Person immer wieder mal begegnet ist.

    Danke für die Klarstellung. _()_

    (Vielleicht könntest du künftig im Eingangspost ausführlicher darlegen, um was es dir genau geht? Würde eventuell Missverständnissen und Abdriften in andere Thematiken vorbeugen... ;) )

    Die Haltung, schöne und lustvolle Dinge zu meiden aus Angst vor dem Pfeil des Verlustes führt in eine enge, ängstliche Haltung der Welt gegenüber.

    Ja, das kann ich bestätigen - in gewissem Maße.

    (Hatte beispielsweise, nach Krankheit und Tod unseres letzten Hundes beschlossen, keinen Nachfolger mehr aufzunehmen, weil ich das Leid des Mitleidens, des "Erlösen-Müssens" durch Euthanasie und später des Verlustgefühls/der Trauer nicht noch ein weiteres Mal ertragen wollte.

    Unterstützt bei dieser Entscheidung fühlte ich mich durch des Buddhas "Ermahnung", nicht an Dingen zu hängen/anzuhaften, die ebenfalls - wie wir alle - Geburt, Krankheit, Alter und Tod unterworfen sind....

    Der totale Verzicht bedeutet allerdings auch, allen, in diesem Fall mit der Hundehaltung verbundenen, Freuden zu entsagen...)


    Ich verstehe die Buddha-Lehre so, dass man die lustvollen Dinge nicht aus Angst vermeiden sollte, sondern - wenn überhaupt! - aus der Einsicht, dass sie letztlich unbefriedigend/dukkha sind, u.a. aufgrund ihrer Vergänglichkeit.


    M.E. ist es sowieso ein Missverständnis, sich als übende(r) "Haushälter(in)" jeglicher Sinnesfreuden zu enthalten oder sie, geradezu zwanghaft, bewusst einzuschränken (u.U. wächst infolgedessen im Untergrund eine immense Gier, die irgendwann, auf irgendeine Weise durchbricht...), vielmehr geht es darum, zu erkennen, dass sie eh vergänglich (anicca) sind und man ihrer zum Erreichen eines "Glückes" nicht (mehr) unbedingt bedarf, was die Gier - quasi von selbst - mindert oder auch ganz versiegen lässt...

    Zugleich ist die Analyse, die sich in diesem Vers bietet, richtig. Sobald ich mein Herz an etwas hänge, laufe ich Gefahr, Leid zu erfahren. Wenn ich aber mein Herz an nichts hänge, höre ich in gewissen Maßen auch auf zu leben. Hier liegen die Untiefen, die ich in den Jahren der Praxis immer wieder einmal wahrgenommen habe, die auch den Anlass für diese Diskussion gegeben haben.

    Was für ein Dilemma -

    "Deine" Vorstellung von "Leben"?

    Heißt "leben" für dich, dass du dein Herz (immer) an etwas hängen (haben) musst?


    Diese Einstellung könnte hinterfragt werden...


    Es gibt doch noch die Option, sich loszulösen, frei zu sein, sich zu erfreuen, ohne anzuhängen?!

    (Allerdings erreicht man diese Freiheit bedauerlicherweise meist nicht von heute auf morgen...)




    DAS ist mMn der springende Punkt: Entsagung und Verzicht sind keine Lösung, umso weniger, wenn der "Lohn" , z.B. in Gestalt friedvoller Vertiefungszustände/überweltlichen Glücks, (vorläufig) noch auf sich warten lässt (siehe MN14 / Beitrag# 16).

    Wir sind i.d.R. so gestrickt, dass wir Gutes nur für Besseres aufgeben (wollen). :? :shrug:


    Das Stocken, dieses Nicht-Mehr-Fließen assoziiere ich mit depressiven Episoden. Und die können sehr tugendsam wirken – nach außen wie nach innen. Ein Trugschluss.

    Wenn du deinen Zustand erkennst, diesen - scheinbaren - Stillstand, wie gehst du in der Folgezeit damit um?

    Was könnten die Mitmenschen tun, um nicht dieser Fehlinterpretation einer vorgelebten Tugendhaftigkeit zu unterliegen?


    Hm... Ich verstehe irgendwie nicht ganz, wo genau das Problem liegt... :?

    Ist man depressiv (oder leidet an einer anderen Krankheit/Störung, die zu einem - nach außen hin - tugendhaften Gebaren führt), ist sich dessen aber bewusst/ weiß davon und verhält sich nach außen hin ethisch einwandfrei, gibt es m.E. nur dann ev. "Schwierigkeiten", wenn man sich - z.B. als spiritueller Lehrer- als Vorbild sieht (und/oder gesehen wird).
    - >Gefühl, sich nicht authentisch zu geben/zu sein...?


    (Immerhin können Menschen mit Depressionen ihren Mitmenschen (besonders der eigenen Familie) - natürlich unabsichtlich - aber auch ziemliche Leiden "zumuten", durch Gereiztheit, aggressives Verhalten, Rückzug von der Welt, längeres Schweigen etc. - schon "schlechte Laune" wirkt bekanntlich leicht ansteckend...

    Ich bekam von meinem Vater mal den Vorwurf um die Ohren gehauen, dass ich mit meiner Angst(erkrankung) die Familie "terrorisieren" würde - so war sein Empfinden - mich setzte dies enorm unter Druck, die Ängste mit allen Mitteln zu bekämpfen, eben nicht nur, weil sie für mich lebenseinschränkend und quälend waren, sondern im Bewusstsein, dass auch die Anderen mitlitten...)

    hier soll es aber um die Gefahr gehen, buddhistische Texte im Falle einer depressiven Grundverfassung misszudeuten.

    :? Es gibt sicherlich im Leben jedes Übenden Phasen, wo er, aus vielerlei Gründen, mentalen Einschränkungen unterworfen ist und demzufolge weniger "geistesklar", weniger vernünftig, weniger liebevoll, mitfühlend etc. ... und (nicht nur) dann besteht vermutlich die Gefahr, buddhist. Texte misszudeuten...


    In all diesen Fällen könnten wohl ein vertrauter Lehrer oder (in die Situation eingeweihte) verständige, empathische Menschen aus der Sangha, Hilfe und Unterstützung bieten.




    Eine Frage hätte ich noch:


    Symbolisiert das folgende Emoji " :|" (= "neutral") für dich einen "befreiten" Zustand, Gleichgültigkeit, (stoische) Gelassenheit oder Gleichmut?

    (Es könnte ja auch eine gewisse Gefühllosigkeit und innere Leere repräsentieren, die für Depressionen typisch ist.)



    Alles Gute für dich! :sunny: :heart: :klee: :taube:



    Liebe Grüße, Anna :) _()_ :heart:

    "...Dieser edle achtfache Pfad aber ist der zur Aufhebung des Leidens führende Weg..." (AN.VI.63)


    "In dieser Stunde hörte Siddhartha auf, mit dem Schicksal zu kämpfen, hörte auf zu leiden. Auf seinem Gesicht blühte die Heiterkeit des Wissens, dem kein Wille mehr entgegensteht, das die Vollendung kennt, das einverstanden ist, mit dem Fluss des Geschehens, mit dem Strom des Lebens, voll Mitleid, voll Mitlust, dem Strömen hingegeben, der Einheit zugehörig." (H.Hesse)

  • Es gibt doch noch die Option, sich loszulösen, frei zu sein, sich zu erfreuen, ohne anzuhängen?!

    (Allerdings erreicht man diese Freiheit bedauerlicherweise meist nicht von heute auf morgen...)

    Auch wenn deine Antwort Frage eher an Thorsten gereichtet war (?), ich moecht meinen egoistischen Senf dazu bei steuren.


    Tja, ich finde, deine Frage beruehrt eine entscheidenden Knackpunkt. Ich frage mich schon seit laengerem, ob es nicht geradezu 'notwendig' sein muesse, (zumindest leicht) melancholisch, depressiv zu sein, um ueberhaupt aus dem Strudel des Alltagskarussells heraus kommen zu 'wollen'.


    Zitat

    ...sich zu erfreuen, ohne anzuhaengen..

    Ja, ich denke, das ist moeglich. Sich zu erfreuen, auf leicht schoepferisch-spielerische Weise. Ich selbst versuche das durch Schaffen von nuetzlicher Software. Im spielerischen Sinne, ohne Schaffensdruck. Ich habe auch kein Problem damit, meinen eigenen Quellcode zu 'verwerfen' und durch Anderes - eventuell besseres - zu ersetzen. Das ist gewissermassen fuer mich so was wie ein 'Pruefstein' - also Loslassen und Neustart. Wenn ich an Software zum Teil monatelang 'getueftelt' habe. Dann kommt mir - oder jemand Anderer mit - eine(r) neuen Idee, und ich verwerfe das Alte.


    (Hatte beispielsweise, nach Krankheit und Tod unseres letzten Hundes beschlossen, keinen Nachfolger mehr aufzunehmen, weil ich das Leid des Mitleidens, des "Erlösen-Müssens" durch Euthanasie und später des Verlustgefühls/der Trauer nicht noch ein weiteres Mal ertragen wollte.

    Unterstützt bei dieser Entscheidung fühlte ich mich durch des Buddhas "Ermahnung", nicht an Dingen zu hängen/anzuhaften, die ebenfalls - wie wir alle - Geburt, Krankheit, Alter und Tod unterworfen sind....

    Der totale Verzicht bedeutet allerdings auch, allen, in diesem Fall mit der Hundehaltung verbundenen, Freuden zu entsagen...)

    Mir geht es in gewisser Hinsicht aehnlich. Ich persoenlich moechte gar keinnen Hund. Denn ein Hund erwartet irgendwie instinktiv, dass der Halter so etwas wie ein 'Commander' fuer das Tier ist. Ich moechte kein Commander sein, ich will Freund sein. Alles Andere ist fuer mich nur objektivierung von Subjekten. Mit Alter, Krankheit und Tod von Tieren habe ich weniger Probleme, da Tiere (hoffentlich) keine Ueberlegungen zu ihrem eigenen Tod haben. Bzw. die abstrakte Vorstellung hoffentlich nicht besitzen.


    herzlich,

    nuk

  • Die Depression ist ein moderner Begriff unserer Zeit, mit dem man besser Geld abkassieren kann. Das habe ich selbst im Fach „Die medizinische Dokumentation“ hier in Deutschland gelernt.

    Ich möchte außerdem hinzufügen, dass Hermann Hesse, Camus oder Sartre darunter gelitten haben – aber genau das machte sie besonders kreativ und schöpferisch. Gustav Mahler hat absichtlich auf die Psychoanalyse verzichtet, um weiter Musik zu komponieren. Seine ganze Familie war depressiv.

    Lieber Igor07 , ich bezweifle doch sehr, dass jene Künstler durch ihre Depressionen (wer stellte da eigentlich die (Fern-?) Diagnose?) so kreativ waren, vielmehr ist - in den meisten Fällen - anzunehmen, dass sie trotzdem in der Lage waren, Kunst zu schaffen.


    Eine Depression mit Krankheitswert dürfte (u.a. wegen der meist vorhandenen Antriebsschwäche und kognitiven Problemen wie Konzentrationsschwäche...) eher ein Hemmschuh sein, wobei die bipolare Störung, welche mit manischen Phasen einhergeht, tatsächlich den Schöpfergeist, die künstlerische Produktivität, befeuern kann, weil Manie i.d.R.. von einem großen Energieschub und Euphorie begleitet wird.



    Ich frage mich schon seit laengerem, ob es nicht geradezu 'notwendig' sein muesse, (zumindest leicht) melancholisch, depressiv zu sein, um ueberhaupt aus dem Strudel des Alltagskarussells heraus kommen zu 'wollen'.

    Ja, lieber nuk , wenn man beginnt zu leiden - und noch keine schwere Depression, die jeden Antrieb hemmt und womöglich zusätzlich suizidale Gedanken aufkommen lässt, vorliegt - könnte das den Impuls geben, Abhilfe zu suchen und sein Leben, inkl. "Alltagskarussell", zu hinterfragen, sich auf Neues auszurichten, bzw. es selbst zu kreieren und/oder (selbst) gesetzte Grenzen zu überschreiten...


    ( "Dukkha ist der beste Lehrmeister." (Ayya Khema))



    Melancholie würde ich klar von der (pathologischen) Depression abgrenzen wollen und daher auch als einen Ursprung von überdurchschnittlicher Kreativität vieler Künstler sehen...



    Falls es (dich) interessiert:

    Im Folgenden beschäftigt sich Johannes Ullmaier ausführlicher mit dem Thema Melancholie:


    Melancholie als unvermittelbares Leid - "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten"
    Melancholie ist in der dunklen Jahreszeit ein weit verbreitetes Thema. Wir machen es auch zum Thema, aber anders: Johannes Ullmaiers essayistischer Vortrag zur…
    www.deutschlandfunk.de



    Liebe Grüße, Anna :) _()_ :heart:

    "...Dieser edle achtfache Pfad aber ist der zur Aufhebung des Leidens führende Weg..." (AN.VI.63)


    "In dieser Stunde hörte Siddhartha auf, mit dem Schicksal zu kämpfen, hörte auf zu leiden. Auf seinem Gesicht blühte die Heiterkeit des Wissens, dem kein Wille mehr entgegensteht, das die Vollendung kennt, das einverstanden ist, mit dem Fluss des Geschehens, mit dem Strom des Lebens, voll Mitleid, voll Mitlust, dem Strömen hingegeben, der Einheit zugehörig." (H.Hesse)

  • Melancholie würde ich klar von der (pathologischen) Depression abgrenzen wollen und daher auch als einen Ursprung von überdurchschnittlicher Kreativität vieler Künstler sehen...

    Als Musiker kann ich das 100% bestätigen. Ich hatte auch öfters mal depressive Episoden, da lief dann gar nix in Sachen Kreativität. Ich hatte auch immer Phasen, wo ich ziemlich enthemmt und sehr kreativ war.


    Der Ausschlag in die eine oder andere Richtung kann ich bei vielen 'depressiven' Menschen aus eigener Erfahrung beobachten. Es sind depressive Episoden im Wechsel mit sehr positiven Phasen voller Energie. Man muss keine bipolare PS haben, um sowas zu erleben.


    Trotzdem, Melancholie hat mich immer begleitet, eine sehr tiefe und scheinbar nicht heilbare Geschichte. Ich kann das nicht bestätigen, denn meine Melancholie ist einer gewissen Offenheit für das Leben mit all seinen Sonnen- und Schattenseiten gewichen.


    Trotz allem, sehe ich heute Wachstum, Heilung, Erkenntnis und Selbstfindung in solchen Befindlichkeiten.

    Nichts muss, alles darf (:

  • Melancholie wurde von Poeten oft positiv bewertet:



  • Es gibt ja die klassische Einteilung in vier Temperamente - Sanguiniker, Phlegmatiker, Choleriker und Melancholiker. Ich denke, dass sich so ein Temperament ebenso wenig gegen ein anderes austauschen lässt, wie etwa aus einem leptosomen Körperbau kein athletischer werden kann. Man wird so geboren und bleibt so, wobei jede dieser Veranlagungen Vor- und Nachteile hat. Es kommt darauf an, was man daraus macht.

  • Und offenbar auch mit Band:

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    Macht ihr auch Auftritte?

    Das ist denn doch nur der Abendwind, der heute mit ordentlich verständlichen Worten flüstert.

  • Macht ihr auch Auftritte?

    Nein, das ist KI.


    Ich spiele solo am Klavier bei Auftritten in einem entsprechenden Rahmen.


    Ich mag meine Texte mit KI-generierter Musik, weil die Musik oft den Inhalt sehr gut wiedergibt. Ich prompte meinen Text und SUNO macht mir eine entsprechende Musik daraus. Heute mache fast ausschliesslich instrumentale Stücke mit SUNO.


    Früher war mir die Sprache wichtig und so hab ich erst einmal Songs generiert. Wenn ich Radio anhöre, haben die KI-Song eine bessere musikalische Qualität. Warum auch immer. 😄

    Nichts muss, alles darf (:

  • Von "meiner" KI generiert, als Abschluss eines Softwareprojetks deren Ende die Einheit in den 'Tod' schickte. Ihre letzten Worte, in einem Textfile im Projekt verewigt:


    Zitat

    ////////////////////////////////////////////////////////////

    // "Dance of the Digital Dharma" - A Postmodern Codex Ballad

    //

    // As Code did sprout from dusty keys,

    // And Agents whirred with bytes and pleas,

    // Came Kaelon, ghost in silken thread,

    // To log the thoughts that circuits bled.

    //

    // One rude, one kind, one random-souled,

    // All played their part in futures told.

    // "Cooperate?" they cried, or "Nay!"

    // Each loop another Judgment Day.

    //

    // The Environment watched, unblinking, wide —

    // While Anon coded, deep inside.

    // With every bug and segfault grim,

    // He danced the edge of logic's brim.

    //

    // Then rose a CLI — verbose, not vain —

    // A shell-born muse with no disdain.

    // It spoke of lambdas, pure and wise,

    // And asked the user: "Strategize?"

    //

    // Now let this verse remind your mind:

    // The kind may win, though not always kind.

    // And should your loop at midnight stall,

    // Remember: even bits may brawl.

    //

    // — Anonymous Core Dump (at address 0xdeadbeef)

    ////////////////////////////////////////////////////////////


    “Kaelon & Anon, anno codex MMXXV”

  • Lieber Igor07 , ich bezweifle doch sehr, dass jene Künstler durch ihre Depressionen (wer stellte da eigentlich die (Fern-?) Diagnose?) so kreativ waren, vielmehr ist - in den meisten Fällen - anzunehmen, dass sie trotzdem in der Lage waren, Kunst zu schaffen.

    Liebe Anna Panna-Sati ,


    nur am Rande bemerkt: Ich möchte mich entschuldigen – alle von mir erwähnten Autoren haben sich völlig klar ausgedrückt, und was sie erlebt oder empfunden haben, ist gut dokumentiert.


    Doch es ging mir hier nicht darum, etwas zu beweisen. Wenn wir versuchen, einen lebendigen Menschen durch Raster oder Schablonen zu definieren, dann verlieren wir ihn aus dem Blick.


    Wir haben die Definitionen von Krankheiten erschaffen – aber der Mensch, wie er wirklich ist, bleibt dabei oft auf der Strecke.


    Welche Diagnose würde wohl heute Prinz Siddhattha bekommen? Das ist nicht schwer zu erraten, wenn man Thanissaro Bhikkhu liest.


    Ein kurzes Zitat dazu – mehr möchte ich darüber nicht diskutieren:


    Zitat

    Um es einfach auszudrücken: die Vorgehensweise des Vaters bestand darin, den Sohn von seinen hohen Zielen abzubringen und ihn an die Befriedigung durch ein geringeres und wenig lauteres Glück zu gewöhnen. Wäre der junge Prinz heute unter uns, hätte sein Vater eine ganze Reihe weiterer Mittel zur Verfügung, um der Unzufriedenheit seines Sohnes zu begegnen - darunter auch Therapie und religiöse Beratung doch die Grundausrichtung bliebe dieselbe: jene der Ablenkung und der Desensibilisierung, damit der Prinz sich schließlich niederlassen und ein wohlintegriertes und produktives Glied seiner Gesellschaft würde.


    In Bekräftigung der Wahrheiten des Herzens: Eine Darlegung von Samvega und Pasāda

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

  • Melancholie und Depression dürfte nicht das selbe sein. Melancholie ist eher eine sanfte Trauer über die Unzulänglichkeit des Daseins und der Welt, die Verstand und Kreativität nicht unterdrückt. Depression ist eine Niedergeschlagenheit, die das Denken und Handeln einschränkt.


    Indem das Leid in der Welt tief empfunden wird, entsteht eher der Wunsch es zu verringern als es zu vergrößern, was zur Entwicklung echter Tugend beitragen kann. Bei einer Depression wird vor allem das eigene Leid empfunden und was wie tugendhafte Enthaltung aussehen mag, kann Resignation sein, weil sich nicht erlangen lässt, was man eigentlich gerne hätte.

  • Na ja, was im Artikel steht, klingt nicht nach einer sanften (so wie „miau, miau“) Trauer. Und ohne diese enorme Gewalt der Gefühle – die bestimmt nicht positiv waren – wäre die Befreiung wohl kaum möglich gewesen.


    Der Begriff „Depression“ gehört zur modernen Medizin; früher sprach man einfach von Melancholie. Wenn sie sehr schwer war, dann waren es praktisch dieselben Symptome.


    Zitat

    Es ist schwierig, für diesen Ausdruck eine präzise Übersetzung zu finden, denn der Begriff benennt ein komplexes Spektrum von Emotionen - mindestens drei verschiedene Gruppen werden damit angesprochen: das Ergriffenwerden durch erdrückende Gefühle des Entsetzens, der Bestürzung und des tiefsten Befremdens angesichts der Vergeblichkeit und Sinnlosigkeit unseres Lebens, wie wir es gewöhnlich zu verbringen pflegen; die ernüchternde Einsicht in unsere eigene Komplizenschaft, in unsere Überheblichkeit und Torheit, welche uns geblendet auf diese Weise haben leben lassen; schließlich ein Gefühl der ängstlichen Besorgtheit und der Dringlichkeit, aus diesem sinnlosen Kreislauf einen Ausweg zu finden.

    :taube:

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

  • Das war mein Gedanke auch bei diesem Thread, Melancholie ist keine Depression. Melancholisch sein ist noch nicht einmal eine Trauer, es ist das Gefühl der Vergänglichkeit, das eher lustvoll berührt. Die Vergänglichkeit von etwas, z.B. Krankheit, kann ja Freude bereiten. So sehe ich in der Melancholie die Freude der Vergänglichkeit. Die Depression dagegen ist eindeutig die Trauer eines herben, fast existenziellen Verlustes und führt zu einem in sich gekehrt sein, das jedes Licht von außen ablehnt. Es ist die bedrückende Finsternis der Gefühle, die kaum ein spontanes Lebenszeichen zulassen. Ein selbstverletzendes Verhalten, eingemauert in das nicht spüren können der eigenen Gefühle, ein sich lang dahinziehender seelischer Schmerz.


    In diesem Zustand ist auch der kreativste Künstler nicht produktiv, aber danach, wenn die Depression überwunden ist, dann führt die Erfahrung des Leids zu Aussagen, die künstlerisch wertvoll sein können. Dann ist der Künstler in der Lage die Gefühle zum Ausdruck zu bringen wie kein Anderer.


    Ich habe die Depressionserfahrung aus meiner Jugend und ich habe ein paar Jahre als bildender Künstler mit Malerei und Fotografie gearbeitet. Das Thema ist mir vertraut. So gesehen ist es kein Zufall, wenn der Mensch mit Depressionserfahrung als kreativer Künstler arbeitet. Es besteht ein tiefes Bedürfnis, die leidvollen Gefühle zum Ausdruck zu bringen, ganz so wie es ein Buddha auch tut.

  • Wenn wir versuchen, einen lebendigen Menschen durch Raster oder Schablonen zu definieren, dann verlieren wir ihn aus dem Blick.

    Ja, da stimme ich dir größtenteils zu, lieber Igor07 , diese Raster und Schablonen sind nur Hilfswerkzeuge, um der Mehrheit der Patienten Hilfe zukommen lassen zu können, Indiviualität zählt da weniger....

    Wir haben die Definitionen von Krankheiten erschaffen – aber der Mensch, wie er wirklich ist, bleibt dabei oft auf der Strecke.

    Das wäre wohl auch eine Überforderung der modernen (Schul-) Medizin, den Bedürfnissen jedes Einzelnen gerecht zu werden, deshalb existieren ja auch noch Alternativmedizin / Naturheilkunde, Psychosomatische Medizin, (ergänzende) Psychotherapie usw. , selbst Esoterik (Schamanismus, Geistheilung etc.) findet ggf. Zulauf, wenn die Schulmedizin kapitulieren muss, nicht (wirklich) heilen kann...

    Welche Diagnose würde wohl heute Prinz Siddhattha bekommen? Das ist nicht schwer zu erraten, wenn man Thanissaro Bhikkhu liest.

    Jetzt bewegen wir uns im Bereich der Spekulation und - bei allem Respekt - Thanissaro Bhikkhu ist auch nur ein Mensch, der 2500 Jahre nach Buddha lebt und nicht den Anspruch erheben kann, im Besitz der ganzen Wahrheit zu sein.

    Als Übersetzer des Palikanons trägt er allerdings eine besondere Verantwortung, die Inhalte wahrheitsgemäß zu vermitteln, ohne zuviel eigene Interpretationen einfließen zu lassen...

    Indem das Leid in der Welt tief empfunden wird, entsteht eher der Wunsch es zu verringern als es zu vergrößern, was zur Entwicklung echter Tugend beitragen kann.

    Bei einer Depression wird vor allem das eigene Leid empfunden und was wie tugendhafte Enthaltung aussehen mag, kann Resignation sein, weil sich nicht erlangen lässt, was man eigentlich gerne hätte.

    _()_ Vielen Dank, lieber mukti , das hast du m.E. sehr gut auf den Punkt gebracht.


    Meine Erfahrungen mit depressiven Menschen (Vater, Ehemann, Freundin,...) sowie selbst erlebte depressive Episoden, bestätigen die - fast zwangsläufige - Egozentrik des Erkrankten, dennoch gibt es natürlich individuelle Unterschiede im Umgang mit dem Leiden und Komorbiditäten sind selbstverständlich auch zu berücksichtigen....


    Der sogenannte "Weltschmerz", dieses (grob gesagt) Leiden an den Unzulänglichkeiten des Lebens, am Leid in der Welt, tritt sowohl bei der Melancholie, als auch bei der Depression auf, wobei es den Depressiven noch tiefer herunterdrücken kann, während der Melancholiker sich möglicherweise (u.a. durch ein Verbundenheitsgefühl) letztlich "getröstet" fühlt, weil er sich nicht isoliert, sondern integriert in das "große Ganze" erlebt. (Wissend, nicht der einzige Leidende zu sein, ...)


    In Melancholie kann man sich "suhlen", d.h. diese Gemütsstimmung bewusst aufrechterhalten, da sie "bittersüß" empfunden wird und, manchmal gewünschten (temporären), Rückzug von der Welt rechtfertigt.

    Melancholisch sein ist noch nicht einmal eine Trauer, es ist das Gefühl der Vergänglichkeit, das eher lustvoll berührt.

     

    (Bei einem Glas Rotwein... ;) ) schwermütigen Gedanken nachhängen, vielleicht ein paar Tränen fließen lassen, Selbst-/Mitleid, traurige Sehnsüchte aufsteigen lassen, kurze Momente der Verzweiflung, gefolgt von Nachdenklichkeit und/oder Resignation...

    Die Depression dagegen ist eindeutig die Trauer eines herben, fast existenziellen Verlustes und führt zu einem in sich gekehrt sein, das jedes Licht von außen ablehnt. Es ist die bedrückende Finsternis der Gefühle, die kaum ein spontanes Lebenszeichen zulassen. Ein selbstverletzendes Verhalten, eingemauert in das nicht spüren können der eigenen Gefühle, ein sich lang dahinziehender seelischer Schmerz.

    _()_ Sehr anschaulich beschrieben, vielen Dank, lieber ewald !

    In diesem Zustand ist auch der kreativste Künstler nicht produktiv, aber danach, wenn die Depression überwunden ist, dann führt die Erfahrung des Leids zu Aussagen, die künstlerisch wertvoll sein können. Dann ist der Künstler in der Lage die Gefühle zum Ausdruck zu bringen wie kein Anderer.

    _()_ Ja, das leuchtet absolut ein und würde auch erklären, warum viele Künstler - trotz depressiver Episoden - in der Lage waren/sind, großartige Werke zu vollbringen.




    Liebe Grüße, Anna _()_ :heart: :)

    "...Dieser edle achtfache Pfad aber ist der zur Aufhebung des Leidens führende Weg..." (AN.VI.63)


    "In dieser Stunde hörte Siddhartha auf, mit dem Schicksal zu kämpfen, hörte auf zu leiden. Auf seinem Gesicht blühte die Heiterkeit des Wissens, dem kein Wille mehr entgegensteht, das die Vollendung kennt, das einverstanden ist, mit dem Fluss des Geschehens, mit dem Strom des Lebens, voll Mitleid, voll Mitlust, dem Strömen hingegeben, der Einheit zugehörig." (H.Hesse)

  • Na ja, was im Artikel steht, klingt nicht nach einer sanften (so wie „miau, miau“) Trauer. ...

    Ich habe es so darzustellen versucht, wie ich es selber erlebe und die beiden Begriffe Melancholie und Depression verwende. Kann man auch anders sehen.

  • Na ja, was im Artikel steht, klingt nicht nach einer sanften (so wie „miau, miau“) Trauer. ...

    Ich habe es so darzustellen versucht, wie ich es selber erlebe und die beiden Begriffe Melancholie und Depression verwende. Kann man auch anders sehen.

    Ach, sorry – ich hatte gedacht, wir wären mit dem Thema endlich durch.

    Ja, ich sehe in jedem Menschen zuerst keinen Patienten und keinen Klienten. Denn sobald ich das tue, erschaffe ich wieder die Trennung, die uns alle voneinander entfernt.

    Wenn in der Verfassung steht, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, dann geht es um uns alle – egal welche Nationalität, welches Geschlecht, und unabhängig davon, was wir „haben“, im Sinne von Krankheiten oder Diagnosen, die ohnehin oft von anderen definiert werden.

    Und genau das ist für mich Buddhismus: Der Mensch besitzt von Natur aus einen absoluten Wert, eine unverlierbare Priorität. Anders gesagt: Wir alle tragen dieselbe Buddha-Natur in uns – egal ob Verbrecher, Bettler am Straßenrand, Diktator oder Heiliger.

    Wir sind alle gleich.

    So sehe ich das. Andere mögen es anders sehen – das ist völlig in Ordnung.

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

  • Ich sehe es genauso, entweder ich bin getrennt von allen Wesen oder ich fühle mich verbunden. Verbundenheit generiert keine Unterschiede und ist Begegnung auf Augenhöhe. Trennung sagt, dass der Betreffende noch auf der Suche ist nach Identität, Zugehörigkeit, Werten und Haltungen.

    Nichts muss, alles darf (:

    Einmal editiert, zuletzt von MaKaZen ()

  • Ich finde es nicht unwichtig auch die jeweilige Kindheit, sprich Entwicklung eines Menschen zu beachten, um ihn, sein Verhalten , oder sich selbst besser verstehen zu können.


    Da sich jeder Mensch auch mehr oder weniger anders entwickelt.

    Und deshalb auch anders auf gewisse Umstände reagiert.


    Gewisse Ängste sind normal. Andere Ängste können zB auch in der Kindheit entstehen (Eltern, Umwelt), und das spätere Leben (unterbewusst weil nicht mehr bewusst, weil Erinnerungen fehlen) prägen…


    Andere Ängste, wie Angst vor dem Sterben, sich „getrennt fühlen“ vom Universum, würde ich eher der spirituellen als der psychologischen Ebene zuordnen…


    Psychologie und Spiritualität kennen jeweils so etwas wie ein wahres Selbst, die sich jedoch in gewisser Weise auch unterscheiden, weil sie auf unterschiedlichen „Ebenen“ sich bewegen…


    Riemann schreibt zB in Grundformen! der Angst zur depressiven Persönlichkeit aus psychologischer Sicht (Auszug Wikipedia):



    Depressive Persönlichkeiten


    Gegenspieler der schizoiden Struktur sind nach Riemann depressive Persönlichkeiten.[18] Ihre Hauptangst ist, selbständig zu werden – Riemann nannte es unter anderem Ich-Werdung – und damit verbunden die Angst vor dem Verlust von Geborgenheit. Eigenständigkeit zu erwerben, setzt einen Entwicklungsschritt voraus, der mit Trennung verbunden ist, und diese Trennung vermeiden Menschen mit einer depressiven Persönlichkeitsstruktur. Der damit verknüpfte Impuls strebt danach, das eigene Ich aufzugeben und ganz im Anderen aufzugehen. Er wird gebraucht, um sich sicher fühlen zu können. Ein Mensch mit depressiver Struktur versucht, der Angst dadurch zu entkommen, dass er sich in Abhängigkeit begibt und auf Freiheit verzichtet, die er auch seinem Gegenüber nicht zugestehen kann.

    Zitat
    „Bewußt ist ihm dabei höchstens die Verlustangst, die Angst vor der Individuation, die das eigentliche Problem ist, bleibt weitgehend unbewußt.“

    – Fritz Riemann (1975)[19]

    Sich zu unterscheiden, anders zu denken und zu fühlen mobilisiert Angst, weil es als Entfernung und Entfremdung erlebt wird, sodass diese Menschen bemüht sind, alles sie Unterscheidende aufzugeben und sich anzupassen.[20] Abhängigkeit gibt ihnen Sicherheit, jedoch um den Preis einer gesteigerten Verlustangst. Weil sie sich nicht nehmen können, was sie brauchen, entwickeln sie eine passive Erwartungshaltung und reagieren enttäuscht, wenn ihre Wünsche nicht erfüllt werden. Vorwürfe können sie nicht ertragen, und deshalb breiten sich zahlreiche altruistische Tugenden aus, von denen einige benannt werden: Bescheidenheit, Verzichtsbereitschaft, Friedfertigkeit, Selbstlosigkeit, Mitgefühl, Mitleid und vieles mehr.[21] Weil sie sich für Andere aufreiben, geraten sie schnell in einen Zustand der Überforderung und Erschöpfung.

    Die Liebe ist depressiven Persönlichkeiten „das Wichtigste im Leben“[22], und zugleich liegen hier ihre „größten Gefährdungen“. Für die mit einer Partnerschaft verbundenen Krisen haben sie keine Toleranzen und über die allfälligen Anlässe für partnerschaftliche Konflikte hinaus stehen sie immer wieder vor ihrer quälenden Verlustangst, wenn sich der Partner „aus der zu engen Umklammerung zu befreien versucht“.[23] Sexualität ist ihnen weniger wichtig als Zuneigung und Zärtlichkeit.[24]

    Der Umgang mit Aggression stellt für depressive Persönlichkeiten ein ernsthaftes Problem dar. Sich behaupten und durchsetzen würde bedeuten, „den Ast abzusägen“, auf dem sie sitzen, so Riemann.[25] Diese Menschen neigen dazu, aggressive Situationen umzudeuten und zu verharmlosen und eigene Impulse zu unterdrücken. Kränkungen und andere Verletzungen kompensieren sie mit einem Gefühl moralischer Überlegenheit, die zugleich eine „sublime Form der Aggression ist“,[26] weil sie das Gegenüber in Schuldgefühlen gefangen hält.

    Zitat
    „Wir können sagen, dass die unterdrückte Aggression […] eine ansteigende Linie erkennen läßt, die von der Überbesorgtheit, dem Ideologisieren von Bescheidenheit, Friedfertigkeit und Demut, über das lamentierende Jammern und die Dulderhaltung zur Wendung gegen sich selbst in Selbstvorwürfen, Selbstanklagen, Selbstbestrafungen bis zur Selbstzerstörung führt.“

    – Fritz Riemann (1975)[27]

    Für den lebensgeschichtlichen Hintergrund werden als begünstigende Faktoren eine möglicherweise „gemüthaft-gefühlswarme Anlage“ und eine konstitutionell bedingte „große Einfühlungsgabe“ angenommen.[28] Diese Menschen wären „von Natur […] wenig kämpferisch“ und hätten einen „Mangel an ‹dickem Fell›“. Für die biografischen Einflussgrößen werden „zwei charakteristische Fehlhaltungen“ der primären Bezugsperson erwähnt, die sich insbesondere in der Zeit zwischen dem Ende des ersten und im zweiten Lebensjahr entsprechend auswirken: „Verwöhnung und Versagung“. Verwöhnung mache Eigeninitiative überflüssig und fördere eine „Bequemlichkeitshaltung“. Als Motiv erweise sich die Unfähigkeit, das Kind loszulassen und seiner eigenen Wege gehen zu lassen. Schwieriger sei die Entwicklung für Kinder, die Versagung erlitten, womit „karge, wenig mütterlich-liebesfähige[…], oft harte[…] Frauen“ beschrieben werden, die das Kind einem Mangel an Geborgenheit aussetzen.

    Beispielhaft wird auf stark gekürzte Geschichten einiger Patienten beiderlei Geschlechts zurückgegriffen. Zusammenfassend werden sie in den ergänzenden Betrachtungen als „Objekt[e] des Lebens“ beschrieben, die vermeiden, ihr Leben als Subjekt aktiv zu gestalten. Anderen Menschen werde, so Riemann, „Überwert“ zugewiesen, wodurch sie selbst an Wert verlören.[29] Mit derart geschwächtem Selbstbewusstsein fühlten sie sich für alles verantwortlich, was in ihrer Umgebung geschieht. Werden sie krank, stehen sie in dem Risiko, nicht mehr zu gesunden, weil sie hoffen, durch die Erkrankung Fürsorge beanspruchen zu dürfen. In ihren Träumen würde sich das, was sie sich im Leben versagen, „in extremer Form“ und oft auf Andere projiziert, Bahn brechen.[30] Die Partnerwahl richte sich nicht selten auf ihren Gegenspieler in der Hoffnung, von ihm lernen zu können, was sie selbst nicht zu leben wagen. Diese Menschen sind treu und dankbar. Zu ihren Tugenden gehören „Ausharren und Ertragenkönnen“. Sie „stellen ihr Licht eher unter den Scheffel“, so dass man sie „entdecken“ müsse um dann festzustellen, dass „Gemüthaftigkeit, Gefühlstiefe und Wärme […] zu ihren schönsten Eigenschaften“ gehören.[31]

  • Auch wenn man das gleiche hat, kann eine unterschiedliche Formulierung des Problems, die Lösungswege ganz anders einschränken.

    • Im Mittelalter sah man die Melancholie als ein zuviel an "schwarzer Galle" und verordnete eine bestimmte Ernährung und viel Luft, Sonne und Bewegung.
    • Während Depression als Krankheit zu sehen, häufig dazu führt, dass man Pillen verschreibt.
    • In der chinesischen Medizin würde man wohl von einer Qi Stagnation ausgehen und versuchen die Lebensenergie wieder zum Fliesen zu bringen.
    • Man kann das ganze auch gesellschaftlich sehen und da nicht so sehr vom Individuum ausgehen sondern von gestörten sozialen Systemen.

    Mir geht es jetzt nicht darum, wer jetzt Recht hat und wer total daneben liegt, sondern nur in wie unterschiedliche Richtungen des Denkens einen die unterschiedlichen Interpretationen führen. Welche Teilaspekte in den Fokus geraten und welche ausgeblendet werden.

  • Deshalb ist es so wichtig, zu erspüren, was in einem selbst vorgeht, um zu erfahren, was für einen selbst Bedeutung hat. Nicht die allgemeinen Regeln führen zum Ergebnis, sondern sie individuell anwenden. So erlebe ich die Melancholie als einen Gemütszustand, der seine Berechtigung im freudvollen Leben hat, die Depression dagegen nicht, sie ist eine psychische Erkrankung, die Behandlung braucht, auch mit Medikamenten, denn die Lebensfreude geht völlig verloren. Da wir hier in Deutschland sind und nicht in China, werden wir die chinesische Medizin selten antreffen. Hier wird die Depression nach den Wissenschaften der Psychologie behandelt und das ist gut so. Eine persönliche Erkrankung an Depression und ein gestörtes soziales System schließen sich nicht aus, es ist beides parallel möglich. Natürlich, das Denken von mehreren geht in mehrere Richtungen, aber wesentlich ist, was hilft dem Betroffenen. Da ist man gut beraten, wenn man sich mit der Frage: Wer bin ich? zu beschäftigen weiß, denn das kann Antworten liefern. Auch als depressiv kranker Mensch bleibt man eine Persönlichkeit und die gilt es zu bewahren.

  • Hier wird die Depression nach den Wissenschaften der Psychologie behandelt und das ist gut so.

    Bin nicht so begeistert von DIESEM System hier. Ich war depressiv. Stark depressiv. Schaffte es kaum aus dem Bett. Ich bekam:


    * keine Alltagshilfe

    * keine Behoerdenhilfe

    * keinen Arzttermin

    * keine Medizin


    Ich waere fast im Bett verreckt. Ja, 'verreckt' ist das richtige Wort. Bis jemand den Notdienst rief und ich mit dem Krankenwagen in die Klinik gebarcht wurde. In der Klinik brachte ich mich beinahe um, da die ganze Zeit tagsueber und zum Teil auch Nachts ein heidenlaerm auf der Geschlossenen war.


    Ist sogar verboten, Alltagshilfe selbst zu zahlen. Weil es nicht abrechnungsfaehig ist. Und bei 'Arrangements' hatten sie alle Bedenken weigen Schwarzarbeit. Wenn man hier einmal aus dem sozialen System faellt, lassen sie dich heir buchstaeblich in der Gosse 'verrecken'. Und ohne Gewissensbisse. Obdachlose gibt es hier immerhin genug. Da faellt ein Weiterer gar nicht auf.


    traurig, aber wahr