Nagarjuna: Die Lehre von der Mitte

  • Ich würde da fragen, wer glaubt denn an sowas? Also an ein unabänderliches und immer sich selbst gleiches Ich. Das hieße ja zu glauben, dass keine Entwicklung möglich ist, dass ich mich nicht verändern kann.


    Oder mit Bert Brecht:


    »Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: ›Sie haben sich gar nicht verändert.‹ ›Oh!‹ sagte Herr K. und erbleichte.«

    Wer glaubt nicht daran ? Die Menschheit sucht nach ihrem Ursprung... Glaubt an Gott, oder an die Weltformel.. Etwas aus dem alles entstanden ist, wodurch alles erklärt werden kann. Das wäre der entgültige Ursprung.. .. Der ursprungslose Ursprung, d.h. etwas was aus sich heraus besteht. Eben diese unabänderliche, immer gleiches Selbst, aus dem sich alles entwickelt haben soll... Und selbst wenn einer behauptet, dass er an die Unendlichkeit glaubt, dann steckt doch wieder nur der Glaube dahinter, dass der Ursprung in der Unendlichkeit zu finden wäre...

  • Den mittleren Weg aufgreifend könnten wir jetzt die Behauptungen aufstellen:


    1) Es gibt keinen, der an ein unveränderliches Selbst glaubt.

    2) Es gibt keinen, der nicht an ein unveränderliches Selbst glaubt.

    ...


    Ich meine dennoch, dass die Menschen heutzutage unter einem großen Druck stehen, sich permanent selbst neu zu erfinden. Der Glaube an ein Jenseits ist im Verschwinden begriffen, daher zählt die Bewährung im Diesseits um so mehr. Es ist schwer zu sagen, woran die Menschen nun wirklich glauben in diesem religiös-philosophischen Sinn.


    Im Alltag glauben alle an die Existenz eines "Ich" als Mittelpunkt der Welt. Das ist wohl unbestreitbar. Ob das jetzt unveränderlich und immer gleich sein muss oder sich gerade dadurch bewährt, dass es sich permanent neu erfindet und so seine Existenz unter Beweis stellt macht vielleicht gar nicht so einen großen Unterscheid.

    "Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen."

    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

  • Wenn der Attaglaube erloschen ist, dann ist da nichts mehr zu beweisen. Das macht schon einen Unterschied. Veränderung bzw. das sich neu erfinden, um eine Existenz (von was ? ) zu beweisen, da dreht sich doch nur alles um einen angenommenen, permanenten Mittelpunkt.

  • Der mittlere Weg, wenn er denn nun erkannt wird, führt zu dem Schluss, dass es ein Ich geben muss. Das wird nie von Buddha angezweifelt!


    Dieses Ich existiert nur jetzt in diesem Augenblick.


    Das des vorigen Augenblickes ist nicht mehr existent, man glaubt, dass es noch da ist, weil man die Folgen seiner Handlungen spürt. Da ist aber kein Ich mehr.


    Es scheint auch ein Ich zu geben, das die Zukunft kennt, denn man sieht und spürt ja die Foglen einer Handlung in den nächsten Augenblick wirken, aber da ist keine Zukunft, wenn „Zukunft“ da ist, ist es in Wahrheit wieder Jetzt.


    Ein Ich existiert nur in diesem Augenblick. Es gibt kein „zentrales“ Ich, das wäre beständig und unveränderlich. Im gesamten Universum gibt es nichts, das unveränderlich, beständig ist.


    Es gibt sogar eine Person, doch ich weiß 100% das diese Person eine notwendige Puppe ist, nicht Ich, nicht mein Selbst, aber doch zu mir gehörend.

  • Nagarjuna im deutschen öffentlichen Fernsehen??? Jetzt hab ich alles gesehen.

  • Wenn der Attaglaube erloschen ist, dann ist da nichts mehr zu beweisen. Das macht schon einen Unterschied. Veränderung bzw. das sich neu erfinden, um eine Existenz (von was ? ) zu beweisen, da dreht sich doch nur alles um einen angenommenen, permanenten Mittelpunkt.

    Die Frage war ja eher, worin denn der Attaglaube besteht, bevor er erloschen ist. In einem unabänderlichen und ewigen sichselbstgleichen Ich oder in einen unternehmerischen chamäleonhaften Selbst?

    Nagarjuna im deutschen öffentlichen Fernsehen??? Jetzt hab ich alles gesehen.

    Es gibt nichts, was es nicht gibt. Ich finde die Beiträge wirklich nicht schlecht.

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    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

  • Wenn der Attaglaube erloschen ist, dann ist da nichts mehr zu beweisen. Das macht schon einen Unterschied. Veränderung bzw. das sich neu erfinden, um eine Existenz (von was ? ) zu beweisen, da dreht sich doch nur alles um einen angenommenen, permanenten Mittelpunkt.

    Die Frage war ja eher, worin denn der Attaglaube besteht, bevor er erloschen ist. In einem unabänderlichen und ewigen sichselbstgleichen Ich oder in einen unternehmerischen chamäleonhaften Selbst?

    Mit Atta ist immer das Unabänderliche, Ewige gemeint. Auch wenn das drumherum durchaus chameleonhaft zugehen kann... Es ist eben der Glaube an den unabänderlichen Kern.

  • Es gibt ein konventionelles, d.h. bedingt entstandenes ich... Man einigt sich z. B. auf den Namen Helmut. Damit ist nicht nur eine Person in diesem Augenblick gemeint. Es ist ja nicht so, dass man sich nächsten Augenblick auf Peter und einen Wimpernschlag später wieder auf einen anderen Namen einigt. Auch wenn eine Änderung der ursprünglichen Konvention möglich ist, so existiert diese Person immer nur konventionell. Darüber hinaus... Mu.

  • Mit Atta ist immer das Unabänderliche, Ewige gemeint. Auch wenn das drumherum durchaus chameleonhaft zugehen kann... Es ist eben der Glaube an den unabänderlichen Kern.

    Und in der Form glaubt da - da kommen wir jetzt wieder zum Ausgangspunkt zurück - heute in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft kaum noch einer dran. Ein Glauben an eine ewiges Selbst klingt so metaphysisch, dass er in diese aufgeklärte Zeit nicht mehr so recht zu passen scheint. Mit den metaphysischen Annahmen hat die Aufklärung und der Positivismus so gründlich aufgeräumt, dass sie selbst im Alltag kaum noch verwurzelt sein dürften.

    Dagegen glauben alle selbstverständlich ein Ich zu haben. Und vielleicht ist mit dem ewigen und unabänderlichen Selbst ja auch eine Größenphantasie von Allmacht und Unendlichkeit von diesem Ich gemeint. Es geht wohl auch wesentlich darum, dass sich dieses Ich sich als getrennte und unabhängige Existenz missversteht.


    Ich frage mich auch: Ist dieses Selbst mehr Kern oder mehr aufnehmendes Gefäß?

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    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

  • Wenn der Attaglaube erloschen ist, dann ist da nichts mehr zu beweisen.

    Es wird vergessen, verblendet, verdrängt, dass das nur geschickte Mittel sind, die klarmachen soll, dass es überhaupt keinen Sinn ergibt, ein Ich, Selbst, Person als Ein Ding anzusehen, das vollkommen einheitlich und stabil ist, wo doch alles andere zerlegbar ist. Das der Glaube an ein „Ich“ nur eine Illusion sein kann.


    Das ist schon vom Ende her gedacht. Ich versuche mit dem Material von Gesheme Wangmo zu "Fundamental Wisdom of the Middle Way" nachzuvollziehen, was abhängiges Entstehen und was Leerheit ist und wie beides verstanden werden kann. Die Leerheit des Selbst vollkommen zu verstehen steht wahrscheinlich nicht am Anfang des realen Erkenntnisprozesses und ist womöglich auch nicht jedem vergönnt. Deswegen macht es aus meiner Sicht wenig Sinn damit zu beginnen und das Ende vorwegzunehmen ohne zu verstehen wie es zustande kommt.

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    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

  • Ich bin an Nagarjuna rangegangen, weil ich hoffte zu erkennen, dass ich doch eine Person bin oder wenn nicht ich Klarheit bekomme, wie ich besser mit meiner Nicht-Ich-Bindung umgehen kann.

    Ich habe mit einigen Übersetzungen gearbeitet, denn jeder Übersetzer hat auch eine Meinung.

    Nagarjuna ist für mich auf beiden Wegen hilfreich: dem als Helmut und dem als Ich (Ich habe Helmut, aber ich bin es nicht.).


    Zitat

    Weder aus sich selbst, noch aus einem anderen, noch aus etwas und einem anderen Etwas, noch ohne eine Ursache erscheint irgendetwas, irgendwo.


    Die Durcharbeitung dieses einen, ersten Satzes mit dem MMK kann dir keiner abnehmen. Das MMK ist eigentlich „nur“ eine komplette Analyse dieses einen Satzes, dieser Hypothese.

    Das macht Nigarjuna konsequent für seine gesamte Welt. Die Hypothese wird bewiesen.

    Dieser erste Satz kann auf das gesamte Universum angewendet werden, bis vor dem Urknall, auf das gesamte Universum und vor allem bei dem individuellen Mensch um sich und seine Welt zu analysieren und zum Erkennen „was ist wie es ist“ zu kommen.


    Nagarjuna ist genauso zerstörerisch und dadurch Hilfreich, wie die Lehre des Buddha. Beide führen zum Verlöschen, zum Verlöschen allen Leides und zwar immer wieder. Einmal erkannt helfen Beide mir das Verlöschen, immer wieder einzusetzen um mich von Stress, Angst, Unsicherheit, Selbstsucht, Stolz zu befreien.

    Nagarjuna beweist ganz nebenbei, dass Nibbana nicht beständig ist, sondern auch dem ersten Satz unterworfen ist. Nagarjuna bestätigt Buddha, den er wohl doch angezweifelt hatte, warum sollte er sich sonst so eine Arbeit gemacht haben?

    Buddha und Nagarjuna sind die Menschen, die wirklich auf ganz anderen Ebenen klargelegt haben, Nagarjuna auf der rein logischen Ebene. Buddha auf der religiösen und sozialen Ebene.

  • Ich frage mich auch: Ist dieses Selbst mehr Kern oder mehr aufnehmendes Gefäß?

    Es ist so oder so eine Konvention.

    Je nach Gesellschaft bzw. Kultur kann "Ich" das oder jenes oder etwas anderes bedeuten. In unserer westliche Gesellschaft hat man allgemein sicher eine andere Vorstellung vom "ich", als in einer fundementalreligiösen. Jede Kultur hat aber die Neigung, die eigene Konvention für die "Wahre" zu halten. Auch ein vielfältige, eher chamäleonhafte Definition vom Ich, kann man als die "einzig Wahre bzw. Wirkliche" betrachten. Das ist dann umso schwerer als Attaglaube zu entlarven. Das hat auch Nagarjuna erkannt :


    "Die Leerheit wurde von den „Siegreichen“, den Buddhas, als Zurückweisung jeglicher Ansicht gelehrt. Diejenigen aber, für welche die Leerheit eine Ansicht ist, die wurden für unheilbar erklärt."


    Nicht selten prallen 2 versch. Ansichten bzw. kulturell bedingte, konventionelle Identitäten aufeinander... Die beteiligten denken jeweils man müsse die eigene, wahre Identität vor der anderen, falschen Identität verteidigen. Mit den entsprech. leidigen Folgen.

  • Noreply Danke für deinen Beitrag und dass du deine Erfahrung mit der Lektüre von Nagarjuna teilst! Der erste Satz ist wirklich schon der Hammer. Da kann man sich echt die Zähne dran ausbeißen oder das Buch gleich in die Ecke werfen. Ich bin ja noch in bei der Hinführung und Einleitung von Geshema Wangmo, aber ich sehe dem ersten Satz schon erwartungsvoll entgegen.


    Sunu Den Aspekt mit der historischen Wandlung der Auffassung vom Ich finde ich hochspannend. Ich wollte da auch nochmal einen Text zu raussuchen, den ich noch irgendwo auf dem Rechner habe. Ich bin der Meinung, dass da etwas interessantes/Relevantes zu dem Punkt drin stand. Kann aber auch sein, dass meine Erinnerung in dem Punkt trügt.


    Ich mache jetzt dennoch erstmal stur weiter in meiner Durcharbeitung des Materials. Zu dem Punkt 3) Abhängigkeit von Bezeichnung durch Name und Gedanke führt Geshema Wangmo wie schon erwähnt das Beispiel einer Blume und eines 100 Dollar Scheins an. Wobei die Blume ein mehr oder weniger natürliches (von menschlichem Zutun unabhängiges Phänomen) ist und der Geldschein wesentlich mit einer sozialen / gesellschaftlichen Institutionalisierung von einer Währung als Zahlungsmittel abhängt. Generell muss bei jeder Bezeichnung eine Basis der Bezeichnung gegeben sein, das heißt der Bezeichnung muss etwas in der Realität korrespondieren. Da gibt es das bekannte Beispiel mit dem Seil und der Schlange.

    Als weiteres Beispiel werden zweistellige Prädikate wie "der Großvater von", "die Tochter von" oder "länger als" angeführt. Zweistellige Prädikate oder Relationen sind normalerweise ein spezieller Fall von einer Subjekt-Prädikatverbindung. Bei einstelligen Prädikaten wie "Die Rose ist rot". wird nur ein Subjekt mit dem Prädikat verbunden, bei zweistelligen stellt das Prädikat eine Relation zwischen zwei Subjekten dar. Nun könnte man sagen auch bei dem einstelligen Prädikat wir die Bedeutung des Prädikats nur durch die Abgrenzung von anderen Prädikaten wie "grün", "gelb" usw. bestimmt. Außerdem steht die Farbe rot in Beziehung zu den Wahrnehmungsorganen, die sie wahrnehmen. Dass ich die "Einführung in theoretische Philosophie" besucht habe, ist mittlerweile tatsächlich auch schon 20 Jahre her. :nosee: (:

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  • Mabli Genau das mache ich fast nie. Ich gehe sofort zu den Worten, die übermittelt worden sind.

    Kommentare lese ich nur, wenn ich wirklich nicht verstehe. Ich höre Nagarjuna zu, Kommentare sind nur Beiwerk. Wie das reden mir Nagarjuna, Ellviral und dem Übersetzer. Eine Diskussion, ohne einen Ton.

    Wie oft bin ich bei meinen Meinungsäußerungen hier auf wunderbaren helfenden Protest gestoßen, leider führt es nicht zu Meinungsaustausch, sondern nur zu Likes oder Abwertung.

    Ich musste eine Menge lesen, um da durchzusteigen, vor allem moderne Wissenschaftsliteratur. Der Typ ist so brutal genau, dass er mir Türen öffnet, von denen ich nichts wusste.

    Die Lehre mit MEINEM Leben prüfen und das ist nun mal nicht in den ersten Jahrhunderten nach Chr.

  • Mit Atta ist immer das Unabänderliche, Ewige gemeint. Auch wenn das drumherum durchaus chameleonhaft zugehen kann... Es ist eben der Glaube an den unabänderlichen Kern.

    Und in der Form glaubt da - da kommen wir jetzt wieder zum Ausgangspunkt zurück - heute in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft kaum noch einer dran. Ein Glauben an eine ewiges Selbst klingt so metaphysisch, dass er in diese aufgeklärte Zeit nicht mehr so recht zu passen scheint. Mit den metaphysischen Annahmen hat die Aufklärung und der Positivismus so gründlich aufgeräumt, dass sie selbst im Alltag kaum noch verwurzelt sein dürften.

    Dagegen glauben alle selbstverständlich ein Ich zu haben. Und vielleicht ist mit dem ewigen und unabänderlichen Selbst ja auch eine Größenphantasie von Allmacht und Unendlichkeit von diesem Ich gemeint. Es geht wohl auch wesentlich darum, dass sich dieses Ich sich als getrennte und unabhängige Existenz missversteht.


    Ich frage mich auch: Ist dieses Selbst mehr Kern oder mehr aufnehmendes Gefäß?

    Glaube hier und Glaube da. Warum sollten buddhistische Glauben über ein Selbst glaubwürdiger sein als der Glauben an ein permanentes Selbst? Warum sollte der Glaube an Selbst als Kern glaubwürdiger sein als der Glaube an Selbst als Gefäß?

    Wenn man unvoreingenommen sucht findet an für jede Art von Glauben Argumente und alle sind letztlich gleich glaubwürdig oder unglaubwürdig.

    mankind ... must act and reason and believe; though they are not able, by their most diligent enquiry, to satisfy themselves concerning the foundation of these operations, or to remove the objections, which may be raised against them [Hume]

  • Das Glauben wollen, um Gemeinschaft zu finden, erzeugt beim in der Gemeinschaft sein Glauben müssen. Zweifel führen entweder zu Sanktionen oder zur Verbannung.

  • Was würdest du sagen...

    Realisiert das was du schon bist, etwas?

    Was realisiert da (noch), etwas, zu sein?


    Das war der Punkt der mich beruhigt hat.

    Erleuchtung ist mehr so ein Erkennen, dass das was ich jetzt schon bin, bereits realisiert wurde und nicht erst seit gestern, oder bald, morgen, nach der Suche usw...


    Das was ich jetzt bin, wurde so oder so realisiert - da gibt es keine Zeit und Zweifel.

    Und es findet statt, hier und jetzt, so wie es stattfindet.


    Was realisiert, wenn die Realisation bereits stattgefunden hat?


    Ich würde sagen ... ja was denn?
    Das ist pure Freiheit!

  • ES muss eine Realisation vorher geben, sogar bevor mir das bewusst wird. Das was ich realisiere, ist ein Angleichung Vorgang. Mein „Wissen“ muss ja an dem Jetzt geprüft werden, um handeln zu können. Wenn die DNA nicht so viele Verhaltensweisen mitgeben würde, gäbe es keine Möglichkeit ein Mensch zu werden. Schon 0,5% weniger oder mehr und Mensch ist verpasst.

    Ich realisiere nur das was jetzt ist.

  • Bis hierher:

    Nagarjuna beweist ganz nebenbei, dass Nibbana nicht beständig ist, sondern auch dem ersten Satz unterworfen ist. Nagarjuna bestätigt Buddha, den er wohl doch angezweifelt hatte, warum sollte er sich sonst so eine Arbeit gemacht haben?

    ... meine Zustimmung. :like:


    Nun ja - dann kann ich nicht mehr so ganz folgen. 'Beständig' (nitya) oder 'nicht-beständig' (anitya, Pali anicca) sind Urteile, die allenfalls auf saṃsāra anwendbar sind. Anitya, also unbeständig, sind 'zusammengesetzte Seinsmomente' (saṃskṛtadharma), weil sie durch das 'Zusammensetzen' in der Anschaung (die Funktion des samskāra skandha) bedingt sind. Nirvāṇa hingegen ist definiert als asaṃskṛta - nicht 'zusammengesetzt' und daher auch nicht anitya. Entsprechendes gilt für die anderen beiden Seinsmerkmale, anātman und duhkhatā. Auf nirvāṇa als Nicht-Zusammengesetztes, Nicht-Ergiffenes, sind schlicht keine Kriterien für ein Urteil wie 'beständig' oder 'nicht-beständig' anwendbar.*


    Wobei sich Nagārjuna ja einige Mühe gibt, darauf aufmerksam zu machen, dass solche Urteile (er geht ja etliche beispielhaft durch und dekonstruiert sie) ins Leere fallen - weil sie implizit eine Substanz als zu Beurteilendes voraussetzen und nicht einen Funktionsprozess, dessen momentane Form ein sich ständig aktualisierender Konditionalnexus (pratītyasamutpāda) ist.


    Er entlarvt sie als rein apriorische Urteile, als 'Ergriffenes'. Wenn man sich solcher Urteile enthält**, zeigt sich, dass die 'Seinsgrenze' (bhūtakoṭi) von nirvāṇa und saṃsāra in eins fällt. Was nicht heisst, dass nirvāṇa und saṃsāra dasselbe sind (wie gerne etwas verkürzt behauptet wird), sondern dass es sich um unterschiedliche Modi von Sein handelt - identisch sind sie nur an der Seinsgrenze, an der sie sich treffen.



    * Wobei ich der Vollständigkeit halber anmerke, dass das Mahāyāna Mahāparinirvāṇa Sūtra da eine andere, dualistische (und heterodoxe) Position vertritt und nirvāṇa explizit die 'spiegelbildlichen' Qualitäten ātman, nitya und sukha zuspricht. Im Kontext Madhyamaka ist das allerdings ohne Belang.


    ** Was fast schon als Definition von Zazen gelten könnte - und damit auch darauf verweist, für wen Nagārjuna seine MMK verfasst hat. Nicht für spekulative 'Nur - Philosophen', sondern als Hinweis für Dharma-Praktizierende. Erst in und durch solche Praxis lassen sich die MMK in ihrer Tiefe ausloten.

    OM MONEY PAYME HUNG

  • Er entlarvt sie als rein apriorische Urteile, als 'Ergriffenes'. Wenn man sich solcher Urteile enthält**, zeigt sich, dass die 'Seinsgrenze' (bhūtakoṭi) von nirvāṇa und saṃsāra in eins fällt. Was nicht heisst, dass nirvāṇa und saṃsāra dasselbe sind (wie gerne etwas verkürzt behauptet wird), sondern dass es sich um unterschiedliche Modi von Sein handelt - identisch sind sie nur an der Seinsgrenze, an der sie sich treffen.

    Ich sehe Samsara an der Grenze von Nirvana und Nirvana an der von Samsara. Sie berühren sich nur. Die Schnittmenge bin ich, und zwar genau an der Stelle wo sie sich berühren, genau da ist Leerheit.

    Sind aber auch nur wertlose Konzepte. Nur Halluzinationen eines nach sein verlangenden Ich. Als ob Körper/Geist ohne Ich nicht reichen würde.

    Aber so bin ich nun mal, immer wieder Werden und Vergehen.

  • Je nach Gesellschaft bzw. Kultur kann "Ich" das oder jenes oder etwas anderes bedeuten. In unserer westliche Gesellschaft hat man allgemein sicher eine andere Vorstellung vom "ich", als in einer fundementalreligiösen. Jede Kultur hat aber die Neigung, die eigene Konvention für die "Wahre" zu halten. Auch ein vielfältige, eher chamäleonhafte Definition vom Ich, kann man als die "einzig Wahre bzw. Wirkliche" betrachten. Das ist dann umso schwerer als Attaglaube zu entlarven.

    Ich greife die Wandelbarkeit der Vorstellungen vom Ich, aber auch von der Basis der Zuschreibung des Ich, nochmal auf. Ich habe mich erinnert, dass schon Horkheimer in seinem Aufsatz "Traditionelle und Kritischen Theorie" von der Geschichtlichkeit der Wahrnehmungsorgane sprach.

    Quote

    Die Menschen sind nicht nur in der Kleidung und im Auftreten, in ihrer Gestalt und ihrer Gefühlsweise ein Resultat der Geschichte, sondern auch die Art, wie sie sehen und hören, ist von dem gesellschaftlichen Lebensprozeß, wie er in den Jahrtausenden sich entwickelt hat, nicht abzulösen. Die Tatsachen, welche die Sinne uns zuführen, sind in doppelter Weise gesellschaftlich präformiert: durch den geschichtlichen Charakter des wahrgenommenen Gegenstands und den geschichtlichen Charakter des wahrnehmenden Organs.

    So auch Walter Benjamin in seinem Aufsatz "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit"

    Quote

    Innerhalb großer geschichtlicher Zeiträume verändert sich mit

    der gesamten Daseinsweise der menschlichen Kollektiva auch

    die Art und Weise ihrer Sinneswahrnehmung. Die Art und

    Weise, in der die menschliche, Sinneswahrnehmung sich organisiert - das Medium, in dem sie erfolgt - ist nicht nur natürlich, sondern auch geschichtlich bedingt. Die Zeit der Völkerwanderung, in der die spätrömische Kunstindustrie und die Wiener Genesis entstanden, hatte nicht nur eine andere Kunst als die Antike, sondern auch eine andere Wahrnehmung.

    Bei McLuhan in der "Gutenberg Galaxis" findet sich die Frage "Warum nicht alphabetische Kulturen ohne lange Übung keine Filme oder Fotos ansehen können". Er berichtet von einer Studie, in der einem nicht-alphabetisierten Publikum in einem Entwicklungsland ein Film gezeigt wurde zu dem Thema, wie man stehendes Wasser loswird, indem man Teiche austrocknet und leere Büchsen aufsammelt. Die Zuschauer wurden gefragt, was sie gesehen hätten und sie sagten, sie hätten ein Huhn gesehen. Die Filmvorführer waren sich gar nicht bewusst, dass in dem Film ganz am Rand auch kurz ein aufgescheuchtes Huhn vorkommt und mussten sich den Film daraufhin erst selbst noch einmal anschauen.

    Quote

    Der Alphabetismus gibt den Menschen die Fähigkeit, ihre Augen auf einen Punkt zu fokussieren, der in einiger Entfernung vom Bild liegt, so daß sie das ganze Bild mit einem Blick überschauen können. Nichtalphabetische Menschen besitzen diese erworbene Gewohnheit nicht und schauen Gegenstände nicht auf unsere Weise an. Vielmehr tasten sie mit ihren Augen Gegenstände und Bilder so ab, wie wir die Druckseite abtasten, Stück um Stück. Daher haben sie keinen distanzierten Gesichtspunkt. Sie sind völlig beim Objekt. Sie fühlen sich in es hinein. Das Auge wird sozusagen nicht perspektivisch, sondern tastend gebraucht. Euklidische Räume, die weitgehend auf der Trennung des Sehens vom Tasten und vom Hören beruhen, sind ihnen unbekannt.

    Ein anderes Beispiel für die historische und gesellschaftliche Präformation der (Selbst-)Wahrnehmung und deren Basis ist der Symptomwandel psychiatrischer Erkrankungen. So wurde in den letzten Jahrzehnten immer wieder diskutiert, ob frühe Störungen, d.h. Störungen der Bindung in den ersten Lebensjahren, zugenommen haben oder ob wir sogar in einem "Zeitalter des Narzißmus" leben. Dazu schreibt Reimut Reiche in dem Text "Haben frühe Störungen zugenommen?"

    Quote

    Statt von einer Zunahme früher Störungen sollte man darum besser von dem Zwang zur Individualisierung sprechen. Es ist demnach nicht so, dass die klassischen Neurosen bzw. neurotischen Konflikte ab- und frühe bzw. narzisstische und Identitätsstörungen zunehmen, sondern dass "etwas" - ein Unglück, ein Leiden, eine Überforderung usw. -, das bisher ohne Sprache und unbenennbar war, in der Tradition festgefügter Lebensordnungen eingebunden war, sich als Wunsch und als Zwang nach individueller Selbstverwirklichung artikuliert. Die hierbei auftretenden Störungen, Beziehungskonflikte usw. sind ebenso Teil von neuartigen kulturellen Freisetzungsphänomenen wie die expandierenden Zuwachsraten im Breitensport, im Sextourismus, in der Literaturproduktion und in den Ehescheidungen

    In diese Analyse ist die Digitalisierung als Wandel des Leitmediums unserer Gesellschaft noch gar nicht eingepreist. Hier fänden sich mit Sicherheit weitere Beispiele für den Wandel in der Konstitution von Identitäten und gesellschaftlichen Zwängen.

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    Edited once, last by Mabli ().

  • Herzlichen Dank Mabli insbesondere für den Verweis auf den Geschichtsbegriff der kritischen Theorie. Benjamin habe ich da nicht so auf dem Schirm, habe nur vor ewigen Zeiten mal Salzingers 'Swinging Benjamin' gelesen und war echt angetan davon, verlor ihn dann aber aus den Augen.


    Die Zitate Horkheimers und Benjamins jedenfalls verdeutlichen das erste der drei 'Seinsmerkmale': anitya / anicca. Das 'Geschichtliche' (dessen Studium ein Steckenpferd ist, das ich gelegentlich reite) ist das Wandern des Seienden durch Samsara, wobei jeder Aspekt des aktuell Seienden der Dynamik des konstanten Wandels unterworfen ist - nicht zuletzt seine Kognition.

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  • Je nach Gesellschaft bzw. Kultur kann "Ich" das oder jenes oder etwas anderes bedeuten. In unserer westliche Gesellschaft hat man allgemein sicher eine andere Vorstellung vom "ich", als in einer fundementalreligiösen. Jede Kultur hat aber die Neigung, die eigene Konvention für die "Wahre" zu halten. Auch ein vielfältige, eher chamäleonhafte Definition vom Ich, kann man als die "einzig Wahre bzw. Wirkliche" betrachten. Das ist dann umso schwerer als Attaglaube zu entlarven.

    Während bei Tieren, das woran angehaftet ist, durch die Bedüfnisse (Gesundheit, Nahrung, Sexualität, Brutpflege, Status) Recht klar umrissen ist, ist es ja beim Menschen so, dass er da an allen möglichen Anhaften kann, das heißt alles mögliche zu seinem Ich erklären kann. Das merkt man ja gut, an extremen Leuten, die sich ganz einer Sache verschrieben haben. Der Revolution, der Wissenschaft, der Religion, der Macht, der Kunst, dem Vernügen, dem Schachspiel, dem Gewinnstreben. Und von daher sind dich dann geldgierige Kaufleute, machtunkene Warlords oder Künstlerseelen untereinander ähnlicher als den Zeitgenossen. Und sogar Nerds gab es ja schon früher. Man denke an die Sage von Wieland dem Schmied oder Dädalus.


    Von daher ist es ja so dass die Leute die im Palikanon vorkommen gar nicht unbedingt so fremd rüberkommen. Der Hauptmann der für den Krieg lebt, der Schauspieldirektor, gelehrte Brahmanen der durchgeknallte Massenmörder Angulimala, verwöhnte Kaufmannssohn. Ist es wirklich so, dass "wir" "heutzutage" ganz anders sind? Oder ist viel davon nur Dünkel?

  • Je nach Gesellschaft bzw. Kultur kann "Ich" das oder jenes oder etwas anderes bedeuten. In unserer westliche Gesellschaft hat man allgemein sicher eine andere Vorstellung vom "ich", als in einer fundementalreligiösen. Jede Kultur hat aber die Neigung, die eigene Konvention für die "Wahre" zu halten. Auch ein vielfältige, eher chamäleonhafte Definition vom Ich, kann man als die "einzig Wahre bzw. Wirkliche" betrachten. Das ist dann umso schwerer als Attaglaube zu entlarven.

    Während bei Tieren, das woran angehaftet ist, durch die Bedüfnisse (Gesundheit, Nahrung, Sexualität, Brutpflege, Status) Recht klar umrissen ist, ist es ja beim Menschen so, dass er da an allen möglichen Anhaften kann, das heißt alles mögliche zu seinem Ich erklären kann. Das merkt man ja gut, an extremen Leuten, die sich ganz einer Sache verschrieben haben. Der Revolution, der Wissenschaft, der Religion, der Macht, der Kunst, dem Vernügen, dem Schachspiel, dem Gewinnstreben. Und von daher sind dich dann geldgierige Kaufleute, machtunkene Warlords oder Künstlerseelen untereinander ähnlicher als den Zeitgenossen. Und sogar Nerds gab es ja schon früher. Man denke an die Sage von Wieland dem Schmied oder Dädalus.


    Von daher ist es ja so dass die Leute die im Palikanon vorkommen gar nicht unbedingt so fremd rüberkommen. Der Hauptmann der für den Krieg lebt, der Schauspieldirektor, gelehrte Brahmanen der durchgeknallte Massenmörder Angulimala, verwöhnte Kaufmannssohn. Ist es wirklich so, dass "wir" "heutzutage" ganz anders sind? Oder ist viel davon nur Dünkel?

    Wir als Menschen sind nicht ganz anders. Das drumherum ist kulturbedingt aber anders. Es ist noch nicht lange her, da war klar, dass Hans Bäcker ist, weil sein Vater und sein Großvater schon Bäcker war. Heute geht's eher darum sich selbst zu finden und zu verwirklichen und dabei aber möglichst flexibel auf eine schnelllebige Zeit zu reagieren. Deshalb kann man aber nicht sagen, dass Attaglaube heute keine Rolle mehr spielt.

  • Die Zitate Horkheimers und Benjamins jedenfalls verdeutlichen das erste der drei 'Seinsmerkmale': anitya / anicca. Das 'Geschichtliche' (dessen Studium ein Steckenpferd ist, das ich gelegentlich reite) ist das Wandern des Seienden durch Samsara, wobei jeder Aspekt des aktuell Seienden der Dynamik des konstanten Wandels unterworfen ist - nicht zuletzt seine Kognition.


    Das nun verdeutlicht allerdings nicht den Sinn des Begriffes Samsara, in welchem Zusammenhang auch anicca gelehrt wurde. Ihre dazu geäusserten Gedanken stellen nur eine eigenwillige (man beachte: eigen und wollen) Interpretation davon dar.