Was ist aus säkular-buddhistischer Sicht eigentlich Nirvana? Was ist das Ziel unseres Geistestrainings?
Das Ziel ist das befreite Leben, das erleuchtete Leben. Dafür muss man es frei von Bedingungen machen und es erleuchten, also erhellen. Erhellen von was? Von den Bedingungen, die es unfrei machen. Welche sind das? Da ist jener Mechanismus, der uns von zwei Wahlmöglichkeiten immer nur eine machen lässt. Welche? Jene, die uns lieber ist, das ist das Begehren (Gier) und jene, die uns unlieb ist, sie ist die Ablehnung (Hass) und nicht jene, die eigentlich die weisere, richtigere wäre.
Wie kommt es zum Begehren und der Ablehnung? Durch die Gefühle („vedana“, manche übersetzen „Empfindung“: unangenehm, angenehm oder neutral), die in uns nach der Wahrnehmung entstehen. Wie entstehen sie? Ganz automatisch, weil wir Menschen sind. Jede Sinneswahrnehmung bedingt ein Gefühl, und zwar immer. Aber welches Gefühl entsteht? Jenes, das durch meine Glaubensvorstellungen (Karmaformationen) bedingt ist. Ist es angenehm, will ich haben, ist es unangenehm, lehne ich ab. Das Schlimme dabei ist, dass es mir unbewusst ist, und das fast immer. Dann erfolgt die Reaktion nämlich automatisch auf das Gefühl, ohne dass ich eingreifen kann. Eingreifen kann ich erst, wenn mir das Gefühl, danach der Gedanke und danach die Reaktion, bewusst ist. Daraus folgt: will ich frei sein, frei handeln, frei denken, muss ich bewusster werden. Nicht das Bewusstsein erweitern, also tolle Bewusstseinszustände haben, sondern statt 90% nur 80% unbewusst auf meine Gefühle und Gedanken sein. Irgendwann 0%. Dann wäre ich ganz erleuchtet und könnte von zwei Möglichkeiten immer die weisere wählen.
Wie ist das im Alltag? Ich sehe eine Frau, die ein Kopftuch trägt. In mir entsteht automatisch und unbewusst ein negatives Gefühl. Warum? Weil ich in der Vergangenheit aus Unwissenheit den Glaubenssatz entwickelt habe: „Die Menschen sind nicht gleich. Kopftuchträgerinnen gehören einer schlechten Religion an“. Das bedingt das unangenehme Gefühl und das die automatisierte Reaktion. Hätte ich einen anderen Glaubenssatz entwickelt: „Menschen soll man nicht an ihrem Äußeren beurteilen oder an ihrer Religionszugehörigkeit“, wäre kein unangenehmes Gefühl entstanden.
Aber auch wenn es entstanden ist, müsste ich nicht automatisch darauf reagieren, wenn es mir bewusst wäre. Also brauche ich schon etwas mehr, um ein weises, ein erleuchtetes Leben zu führen. Eine ethische Grundlage, Konzentration im Augenblick, Konzentration nach Innen, Achtsamkeit auf das Gefühl, Sehen, was ist, also alle diese Zusammenhänge erkennen und Anstrengung.
Falls unheilsame Gedanken und Reaktionen entstanden sind, also Ärger und Zorn, kann ich diese durch Anstrengung fallen lassen. Irgendwann wird Anstrengung anstrengungslos. Dann nämlich, wenn ich immer bewusst bin, mir also alle Gefühle und Gedanken immer bewusst sind, sodass ich sie im allerersten Augenblick erwische. Da ist es nämlich noch einfach, nicht auf sie zu reagieren.
Naja, vielleicht ist das Ganze doch nicht so einfach. Aber schwierig ist es eigentlich nur dadurch, dass ich eben nicht erleuchtet bin, also zu 100% bewusst, sondern vielleicht nur zu 10% und ich somit in 90% der Fälle automatisiert, also unbewusst auf das unbewusste Gefühl reagiere und mich somit in endlosen Wiederholungsspiralen immer wieder in gleichen, unheilsamen Handlungsabläufen wiederfinde. Das ist Samsara, das immer und immer Wiederwerden unheilsamer Handlungsabläufe.
Ich meine, dies in den klassischen Texten wiederzufinden. Die Traditionen haben das über die Jahrhunderte, man muss ja sagen über die Jahrtausende, lediglich vergessen und überhöhen das Ziel buddhistischen Geistestrainings, das Nirvana, zu etwas mystischem, geheimnisvollem, zu etwas das unerreichbar bleibt. Nirvana bleibt auch unerreichbar für den, der nicht weiß, was Nirvana ist.