Was ist Glück?

  • hedin02:

    Was da nicht alles überwunden werden muss; eigentlich reicht es das "Begehren" zu reduzieren, dadurch zwangsläufig mehr Zufriedenheit, als Folge davon, mehr Glücksempfinden.


    Der Schlüssel ist ja auch der. Wenn man mit sich selbst im reinen ist, ist man auch mit anderen automatisch im reinen. Je mehr man mit sich selbst respektvoll und aufrichtig umgeht, um so weniger Gelübde braucht es.
    Da kommt es dann von alleine, das man die 5 Silas usw. einhält, das man sich an rechte Rede hält usw...
    Wird dies nicht beachtet, wird man elendig scheitern.


    Grüße

    :buddha: Es geht immer darum, sich in die Unannehmlichkeiten des Lebens hineinzulehnen und sich diese ganz genau anzuschauen. :buddha:

  • Lucky:
    hedin02:

    Was da nicht alles überwunden werden muss; eigentlich reicht es das "Begehren" zu reduzieren, dadurch zwangsläufig mehr Zufriedenheit, als Folge davon, mehr Glücksempfinden.


    Der Schlüssel ist ja auch der. Wenn man mit sich selbst im reinen ist, ist man auch mit anderen automatisch im reinen. Je mehr man mit sich selbst respektvoll und aufrichtig umgeht, um so weniger Gelübde braucht es.
    Da kommt es dann von alleine, das man die 5 Silas usw. einhält, das man sich an rechte Rede hält usw...Wird dies nicht beachtet, wird man elendig scheitern.


    Das ist alles richtig, Begehren und Haß (kāma u. vyāpāda)
    sind zu überwinden. Aber an den Befleckungen machen sie
    sich eben fest. Sie zu überwinden heiß eben kāma u. vyāpāda
    zu überwinden. Das ist kein Widerspruch und geht in der Praxis
    Hand in Hand.


    Abschließend noch ein kleiner Ausschnitt aus A.3.102


    .

  • Wenn ich das richtig verstehe, so wird bei dem kleinen Ausschnitt aus „A 3 102“ der Weg zum dauerhaften Glück (Nirwana) erklärt.
    Dieses Glück ist nur wenigen vorenthalten, wenn überhaupt; normallerweise kommt der physische Tod davor.

    Hier im Thread geht es aber m.E. um das vergängliche, irdische Glück im Samsara.
    Dieses Glück ist meist trügerisch, kurzlebig und teilweise subtil, aber dennoch wirksam.

  • hedin02:

    Wenn ich das richtig verstehe, so wird bei dem kleinen Ausschnitt aus „A 3 102“ der Weg zum dauerhaften Glück (Nirwana) erklärt.
    Dieses Glück ist nur wenigen vorenthalten, wenn überhaupt; normallerweise kommt der physische Tod davor.

    Hier im Thread geht es aber m.E. um das vergängliche, irdische Glück im Samsara.
    Dieses Glück ist meist trügerisch, kurzlebig und teilweise subtil, aber dennoch wirksam.


    Hallo Hedin,
    ich möchte hierzu Accinca nochmal zitieren:


    accinca:


    ... in der Lehre gibt es stufenweise auf dem rechten Übungspfad immer mehr empfundenes inneres und auch äußeres Glück. Und obwohl das höchste Glück in der Unabhängigkeit, insbesondere der Unabhängigkeit vom Gefühl besteht, gibt es in der Lehre auf dem Wege auch jede Menge Glück das vom Gefühl abhängig ist.
    Ich würde sagen ohne dieses Glück gäbe es den ganzen Pfad nicht.


    Denn meiner Erfahrung nach gibt es auf dem Pfad viele Momente des Glücks, des Gefühls glücklich zu sein, angekommen zu sein, wenn auch nicht vollkommen, so doch aber vollständig zu sein. Und während des Wanderns auf diesem Pfad gibt es trotz Loslösens und wider besseres Wissen glückliche Momente irdischen Glücks. Und ohne dieses wachsende Erfülltsein und voll Frieden sein wäre es kaum möglich, ihn längere Zeit durchzuhalten.
    _()_

    Ohne mich ist das Leben ganz einfach

    Ayya Khema

    Oder anders ausgedrückt: Die Beherrschung der Gedanken ist der Weg zum Glück (SH Dalai Lama)

  • Monikadie4.:


    Denn meiner Erfahrung nach gibt es auf dem Pfad viele Momente des Glücks, des Gefühls glücklich zu sein, angekommen zu sein, wenn auch nicht vollkommen, so doch aber vollständig zu sein. Und während des Wanderns auf diesem Pfad gibt es trotz Loslösens und wider besseres Wissen glückliche Momente irdischen Glücks. Und ohne dieses wachsende Erfülltsein und voll Frieden sein wäre es kaum möglich, ihn längere Zeit durchzuhalten.
    _()_


    Ich kann deiner Zusammenfassung und dem von dir erwähnten Zitat von accinca nur zustimmen.Ich sehe das nicht anders.

    Allerdings bezog sich mein Beitrag, auf das Zitat aus „A 3 102“, auf das accinca verwiesen hat.

    Vielleicht kann er mitteilen, in welchen Zusammenhang der kleine Auszug ursprünglich steht.


  • Viele Grüße
    Elliot

    Viele Grüße

    Elliot

  • hedin02:

    Wenn ich das richtig verstehe, so wird bei dem kleinen Ausschnitt aus „A 3 102“ der Weg zum dauerhaften Glück (Nirwana) erklärt.


    Richtig wäre zu sagen es wird der Weg zu immer mehr
    Glück erklärt der dadurch bis zum höchsten Glück führt.(Nibbana)
    Oder es wird der Weg erklärt der durch das überwinden
    des jeweils minderen Glücks durch das Erlangen des
    jeweils höheren Glücks bis zum höchsten Glück führt.(Nibbana)
    Nach dem Prinzip: Durch das Entwickeln des jeweils
    höheren Glücks konnte ich das jeweils mindere Glück lassen.


    Es geht ja immer wieder darum wie kann man das
    elende Anhaften überwinden? Das Prinzip ist das
    Anhaften an das jeweils minderwertige zuerst zu lassen.
    Dann bleibt noch Anhaften an das jeweils höhere Glück
    übrig das dann erst durch das nächst höhere Glück auch
    gelassen werden kann. Wer aber glaubt er könnte alles
    Glück und alles Anhaften des gesamten Samsaro mit einem
    einzigen Ruck auf einmal überwinden, der irrt und verläßt
    damit den einzigen praktikablen und damit richtigen achtfachen Weg.

  • accinca:

    Es geht ja immer wieder darum wie kann man das
    elende Anhaften überwinden? Das Prinzip ist das
    Anhaften an das jeweils minderwertige zuerst zu lassen.
    Dann bleibt noch Anhaften an das jeweils höhere Glück
    übrig das dann erst durch das nächst höhere Glück auch
    gelassen werden kann.


    Ich finde, das fasst die "Chancen und Risiken" des Pfades sehr schön zusammen!
    Liebe Grüße, Aravind.


  • Ja, das ist eine gute Zusammenfassung.

  • In jedem Fall scheint mir sinnvoll, Wünsche und Bedürfnisse zu hinterfragen. Das völlige Lösen, "verlöschen", scheint mir aber nur in einem bestimmten buddhistischen Kontext maßgeblich.


    Allgemein existieren neben den Grundbedürfnissen auch soziale Faktoren, etwa der Wunsch nach Anerkennung. Darüber hinaus spielen auch biologische Faktoren (Beeinflussung durch Licht oder Sport) für geistiges Wohlbefinden eine Rolle.


    Der Dalai Lama spricht in seiner säkularen Ethik von zwei unterschiedlichen Ebenen der Zufriedenheit und argumentiert, dass jene zweite, „innere“ Ebene stark mit dem Gefühl der Fürsorglichkeit (Mitgefühl etc.) in Verbindung steht.
    Dabei liegt der Zusammenhang von Fürsorglichkeit mit unserem Bedürfnis nach intimen Beziehungen auf der Hand. Überdies entsteht für viele Menschen ein Zusammenhang zum Gefühl der Sinnhaftigkeit.


    Ein interessanter Punkt scheint mir, ob wir durch die Konzentration auf liebevolle Güte unser geistiges Wohlbefinden fördern können.

  • Karnataka:

    Ein interessanter Punkt scheint mir, ob wir durch die Konzentration auf liebevolle Güte unser geistiges Wohlbefinden fördern können.


    Daran gibt es doch keinen Zweifel? Übrigens auch das Wohlbefinden anderer.
    Problematischer scheint mir dass man das immer wieder vergessen und irgendwelchen Hassgefühlen, Zynismus, Arroganz usw. unterliegen kann. Hier ist auch ein Zusammenhang zur wörtlichen Übersetzung von "Sati" als "Erinnerung". Insofern hat liebevolle Güte auch was zu tun mit Achtsamkeit.

  • mukti:


    Daran gibt es doch keinen Zweifel? Übrigens auch das Wohlbefinden anderer.
    Problematischer scheint mir dass man das immer wieder vergessen und irgendwelchen Hassgefühlen, Zynismus, Arroganz usw. unterliegen kann. Hier ist auch ein Zusammenhang zur wörtlichen Übersetzung von "Sati" als "Erinnerung". Insofern hat liebevolle Güte auch was zu tun mit Achtsamkeit.


    Das sehe ich genauso.


    „Erinnerung“ würde ich in dem Sinne verstehen, dass es gilt, eine Einsicht zu erinnern. Denn die Einsicht, dass manche Empfindungen wie etwa Zorn destruktiv wirken, besonders wenn sie gemessen an der Situation übertrieben sind, muss man sich ja unter Umständen vergegenwärtigen.


    Die Rolle der Achtsamkeit wäre also nicht, etwa jeden Zorn, jedes Begehren oder jedes Konkurrenzgefühl abzuwürgen. Oft würde es schon reichen, sich die eigene Emotion einzugestehen und das langfristige Wohl im Auge zu behalten.

  • Karnataka:

    Die Rolle der Achtsamkeit wäre also nicht, etwa jeden Zorn, jedes Begehren oder jedes Konkurrenzgefühl abzuwürgen. Oft würde es schon reichen, sich die eigene Emotion einzugestehen und das langfristige Wohl im Auge zu behalten.


    Eine gute Übung ist auf grundsätzliches Wohlwollen zu achten. So dass die Äußerungen und Handlungen immer von dem Wunsch getragen sind, dass alle glücklich sein mögen und man nie zur Ursache von Leid wird.


    Es ist ein enger Zusammenhang von Tugend (Sila) und Güte.

  • mukti:


    Eine gute Übung ist auf grundsätzliches Wohlwollen zu achten. So dass die Äußerungen und Handlungen immer von dem Wunsch getragen sind, dass alle glücklich sein mögen und man nie zur Ursache von Leid wird.


    Es ist ein enger Zusammenhang von Tugend (Sila) und Güte.


    Auch der DL meint, dass es auf die richtige Motivation ankommt. Aus ihr folgen beinahe automatisch die richtigen Handlungen. Verhaltensregeln sind also gar nicht der Kern.


    Philosophisch:
    Der Zusammenhang von Glück und Ethik findet sich zwar schon bei Aristoteles, weshalb dieser Strang der Ethik auch Tugendethik genannt wird. Später wurde der Gedanke in die christliche Ethik eingebunden, gelangte aber mit der Aufklärung in die Kritik. Die Aufklärer wollten das Gute vernünftig bestimmen, nicht jedoch aufgrund von Glücksgefühlen oder religiösen Empfindungen.

    • Offizieller Beitrag
    Karnataka:

    Auch der DL meint, dass es auf die richtige Motivation ankommt. Aus ihr folgen beinahe automatisch die richtigen Handlungen. Verhaltensregeln sind also gar nicht der Kern.


    Die Aufklärer ließen psychische Zustände außen vor und betrachten nur die äußerlichen Wirkungen. Damit konnten sie gegen eine religiöse Logik argumentieren, die von fiktiven oder rein geistigen positiven Wirkungen ausging.


    Denn damit, dass es rein auf die wohlwollende Motivation ankommt, kann man ja auch rechtfertigen, daß man eine Hexe verbrennt und ihren Körper zerstört um ihre ewige Seele zu retten. Ist man nur verirrt genug, folgen aus wohlwollenden Motiven eben keine guten Taten. Indem man darauf schaut, was eine Tat konkret bewirkt, kann man auch gegen "wohlwollende" Spinner argumentieren.


    Der Zusammenhang geht also nur in eine Richtung: Während es glücklich macht Gutes zu tun, ist nicht alles was ein "moralisches Glückshegühl" auslöst, deswegen gut.

  • Bakram:

    Wirkliches "Glück" erfährt man durch gleichzeitige Entfaltung aller 4 Brahmaviharas.


    Es steht immer eine im Vordergrund.

  • Namaste!


    91. ...‘na kho, āvuso, bhagavā sukhaṃyeva vedanaṃ sandhāya sukhasmiṃ paññapeti; api ca, āvuso, yattha yattha sukhaṃ upalabbhati yahiṃ yahiṃ taṃ taṃ tathāgato sukhasmiṃ paññapetī’’’ti. (Quelle: CST; MN Majjhimapaṇṇāsapāḷi, 1. Gahapativaggo, 9. Bahuvedanīyasuttaṃ)


    16. ...'Freunde, der Erhabene beschreibt Glück nicht nur in Bezug auf angenehme Gefühle; Freunde, der Tathāgata beschreibt vielmehr jegliche Art von Glück als Glück, wo und wie es auch immer angetroffen wird.'" (Übersetzung: Mettiko Bhikkhu; Die Lehrreden des Buddha aus der Mittleren Sammlung, 1999, 2004; MN 59, Die vielen Arten von Gefühl)


    Mit mettā


  • Es kommt eben in erster Linie nicht auf das Gefühl drauf an sondern auf die geistige Einstellung, die rechte Gesinnung. "Mögen alle Wesen glücklich sein" kann ja nicht bedeuten dass man anderen leidbringende Vorstellungen aufzwingt, in der Meinung es wäre zu ihrem Besten. Auch sollte man niemandem zustimmen, der sich aufgrund falscher Ansicht selber schadet. Insofern ist Aufklärung bei religiösem Extremismus angebracht, wie auch bei allem anderen schädlichen Verhalten.
    Dazu kann man das Mitgefühl erstmal auf sich selber richten und erforschen ob alle Vorstellungen und die Gesinnung die man hat auch wirklich heilsam sind und einen selber glücklich machen.


  • Grundsätzlich stimme ich zu: Die Religionskritik der Aufklärung war und ist natürlich sehr notwendig.


    Allerdings habe ich auch Kritik an der Kritik der Aufklärung. :)
    Denn es gibt keinen Grundsatz für eine reine Vernunft, der immer und überall in der realen Welt gültig wäre. Mal ist es gut, eine Minderheit zu schützen, mal ist es besser, zum Vorteil der Mehrheit zu handeln. Es braucht also nicht nur Vernunft, sondern eine mitfühlende Vernunft.


    Besonders scheint es mir falsch, die „Glückseligkeit“ aus der Ethik zu verdrängen, wie Kant das tut. Wir sind so beschaffen, dass es uns um Eigennutz geht. Daher ist die philosophische Ethik eine Sache für Hörsäle. Der Zusammenhang von Mitgefühl und Glück scheint mir dagegen zentral.


    Zum Dalai Lama Zitat möchte ich anmerken:


    Wohin man auch blickt, wird die Rolle der Motivation deutlich. Siehe Buddhaland: Egal wie differenziert die Regeln auch sind oder wie gekonnt sie jeweils angepasst werden, wird es immer die Möglichkeit geben, zwar regelkonform, dennoch aber destruktiv zu agieren. Restlos geht die Sache in die Hose, wenn die Verantwortlichen nicht integer sind und eigennützige Absichten verfolgen. Natürlich trifft das auf Buddhaland nicht zu, es kann aber sehr wohl auf Gesellschaft und Politik zutreffen.


    Deutlicher noch wird das Gewicht der inneren Motivation bei Nahverhältnissen. Gerade gestern hatte ich eine Diskussion darüber, wie wichtig es sei, dem eigenen Kleinkind „Grenzen zu setzen“. Ich denke, dass viele Dinge in der Erziehung einfach „von Herz zu Herz“ passieren. Statt über Erziehungsregeln fürs eigene Kind allzu sehr nachzudenken, sollte die liebevolle Beziehung im Vordergrund stehen. Kindererziehung ist jetzt nur ein Beispiel.


    So verstehe ich den DL, wenn er meint, aus der richtigen Motivation würden automatisch die richtigen Handlungen folgen.

  • These:
    Vernunft, Intellekt, Intelligenz (so man diese mit erstem gleichsetzt) gilt/existiert immer nur in der konkreten Zivilisation. Zerfällt das eine, zerfällt das andere.


    Behaupteter Beweis:
    Auf den Zerfall des Römischen Reiches folgte das "dunkle" Zeitalter des Mittelalters.


    Prolongation/Projektion:
    Der westliche Buddhismus ist eine Chimäre, ein (quasi) Homunkulus Buddhas, da die Zivilisation, in der er wirkte, untergegangen ist.

  • Karnataka:

    Denn es gibt keinen Grundsatz für eine reine Vernunft, der immer und überall in der realen Welt gültig wäre.

    Ich vermute mal, dass Dir nicht wirklich klar ist, was "reine Vernunft" eigentlich bedeutet - z.B. bei Kant, dem Aufklärer par excellence. Sie ist per definitionem "immer und überall" "gültig" - allerdings ist sie eben gerade nicht auf die "reale Welt" bezogen, insofern man darunter sinnlich Erfahrbares versteht. Die Formulierung eines "Grundsatzes", wie Kants kategorischer Imperativ einer ist, der wiederum das Fundament von Kants aufklärerischer Ethik ist, beruht daher auf dem, was Kant im Gegensatz zur reinen Vernunft als praktische Vernunft bezeichnet.


    Nun ist beispielsweise der kategorische Imperativ nicht mehr und nicht weniger "immer und überall in der realen Welt gültig" wie andere Ethiken, einschließlich der des Dalai Lama (was auch immer das für eine sein mag). Es handelt sich bei diesem Grundsatz - wie bei jedem ethischen Grundsatz - um eine Antwort auf eine philosophische Grundfrage. Und zwar, um bei Kant zu bleiben, auf die zweite der von ihm formulierten vier philosophischen Grundfragen:
    1. Was kann ich wissen?
    2. Was soll ich tun?
    3. Was darf ich hoffen?
    4. Was ist der Mensch?
    Das aufklärerische an Kants Antwort auf die Frage "Was soll ich tun?" liegt darin, dass er in seiner Antwort darauf - anders als beispielsweise die christliche Ethik, die auf per Offenbarung vermittelten göttlichen Geboten basiert - auf ein transzendentes Fundament verzichtet und versucht, eine Ethik auf Grundlage praktischer(sic!) Vernunft zu begründen. Was im übrigen auch der Ansatz des Buddhismus ist, der sich da allerdings am menschlichen Grundproblem der Leidhaftigkeit seiner Existenz orientiert und entsprechend dem Schema der vier aryasatya bei Handlungen mit Körper, Geist oder Sprache zwischen kuśaladharma und akuśaladharma ('heilsamen' und 'unheilsamen' Faktoren) unterscheidet.


    Und - um den Bezug zum Threadthema nicht ganz außer Sicht zulassen - es ist das Erzeugen von kuśaladharma, wo es neben prajñá (heilsamer Kognition) und samādhi (heilsamem mentalem Training) eben auch den ethischen Aspekt śīla, sozial heilsamen Handelns, gibt, das zum "Glück" im Sinne einer Überwindung des Leidens führt.

    Karnataka:

    Mal ist es gut, eine Minderheit zu schützen, mal ist es besser, zum Vorteil der Mehrheit zu handeln.

    Ist das denn ein Widerspruch? Ist es wirklich "besser", zum Vorteil der Mehrheit eine Minderheit nicht zu schützen? Ist das wirklich ein "Vorteil" für die Mehrheit - denn wie sich eine Mehrheit konstituiert, ist ja immer abhängig von einer ganz konkreten Fragestellung. Wer im Sinne einer Fragestellung - sagen wir mal beispielhaft: der Pigmentierung seiner Haut - zur Mehrheit gehört, kann sich schnell im Sinne einer anderen Fragestellung - etwa der Religionszugehörigkeit - in einer Minderheit wiederfinden. Da ist dann die Nichtberücksichtigung eines Minderheitenschutzes plötzlich nicht mehr so vorteilhaft.

    Karnataka:

    Es braucht also nicht nur Vernunft, sondern eine mitfühlende Vernunft.

    Ich persönlich halte einen Mangel an Mitgefühl für alles andere als vernünftig. Vernunft ist mitfühlend, weil sie von Egoismen, von eigenen (vermeintlichen) Vorteilen absieht. Was übrigens gerade beim kategorischen Imperativ der springende Punkt ist, auch wenn das da nicht durch Mitgefühl begründet wird, sondern eben aus Erwägungen praktischer Vernunft. Ohne Mitgefühl handelt es sich lediglich um egoistische Berechnung. Und zwar eine, die sich nach buddhistischer Sichtweise aus avidya, aus einer kognitiven Fehlhaltung heraus speist. Das ist gerade das Gegenteil von Vernunft.

    Karnataka:

    Besonders scheint es mir falsch, die „Glückseligkeit“ aus der Ethik zu verdrängen, wie Kant das tut.

    Das ist zum einen Geschmackssache und zum anderen vor allem der Tatsache geschuldet, dass "Glückseligkeit" zu Kants Zeiten nahezu ausschließlich (christlich-)religiös konnotiert war. Davon abgesehen - auch wenn ich Kants ethischen Ansatz nicht teile (insbesondere Schopenhauers Kritik daran, der stattdessen eine - durchaus vernünftige - Mitleidsethik formuliert hat, halte ich für schlüssig), so finde ich ihn erfrischend nüchtern. Diese Nüchternheit finde ich auch in der buddhistischen Ethik wieder. Da sind sukha ("Glückseligkeit") und duhkha schlicht Komplemente - die Anwesenheit der einen Empfindung ist durch Abwesenheit der anderen gekennzeichnet und umgekehrt. Wobei hier speziell das Problem der Unbeständigkeit (anitya) eine wesentliche Rolle spielt, insofern sukha als lediglich episodische Erfahrung mit Verlusterfahrung gekoppelt ist und damit selbst im Kern duhkatā, also leidhaft ist. Ob man nun die Erfahrungsqualität von jemandem, der duhka vollständig und irreversibel überwunden hat, als sukha bezeichnet oder anderswie - das ist nun eine Frage von sehr nachrangigem Interesse. Meine persönliche Auffassung ist schlicht die, dass das jenseits der Dualität sukha-duhkha liegt und es generell wenig Sinn macht, darüber zu spekulieren. Wem es es bei seiner Praxis hilft, sich vorzustellen, diese würde zu einem dauerhaften Zustand höchster Glückseligkeit führen, soll dies ruhig tun. Buddhistische Praxis führt früher oder später dazu, dass man solche Vorstellungen und Erwartungen schlicht fallen lässt. Ist wie mit dem Floss ...

    Karnataka:

    Wir sind so beschaffen, dass es uns um Eigennutz geht.

    Nein. Wir sind so beschaffen, dass wir im Stadium von avidya nicht wissen, was hinsichtlich duhkha heilsam und was unheilsam ist. Aber wir sind auch so beschaffen, dass wir das Potential haben, diese kognitive Fehlhaltung lernend zu korrigieren.

    Karnataka:

    Daher ist die philosophische Ethik eine Sache für Hörsäle.

    Es gibt nicht "die philosophische Ethik", es gibt eine Vielzahl von Ethiken. Und da Ethik - wie schon oben geschrieben - eine Antwort auf die Frage "Was soll ich tun?" ist, ist das eine Sache, die in den universitären Hörsaal so gut wie auf den Marktplatz gehört. Es ist eine Frage, die jeden Menschen angeht.


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  • Sudhana:

    Ich vermute mal, dass Dir nicht wirklich klar ist, was "reine Vernunft" eigentlich bedeutet - z.B. bei Kant, dem Aufklärer par excellence. Sie ist per definitionem "immer und überall" "gültig" - allerdings ist sie eben gerade nicht auf die "reale Welt" bezogen, insofern man darunter sinnlich Erfahrbares versteht. Die Formulierung eines "Grundsatzes", wie Kants kategorischer Imperativ einer ist, der wiederum das Fundament von Kants aufklärerischer Ethik ist, beruht daher auf dem, was Kant im Gegensatz zur reinen Vernunft als praktische Vernunft bezeichnet.


    Nicht zuletzt deshalb gilt Kant ja als Idealist, als "Gott"gläubig.
    Die "Aufklärung" ist nur ein "politisches Programm".

  • Nochmals dazu:

    Karnataka:

    Besonders scheint es mir falsch, die „Glückseligkeit“ aus der Ethik zu verdrängen, wie Kant das tut.

    Das ist schlicht falsch, auch wenn Kant unter 'Glückseligkeit' möglicherweise etwas anderes versteht als Du (und sicher etwas anderes als christliche Ethiker). Wobei Kants Definition durchaus in Richtung dieser Aussage von Dir geht:

    Karnataka:

    Wir sind so beschaffen, dass es uns um Eigennutz geht.

    Jedenfalls schreibt Kant:

    Kant:

    Alle materialen praktischen Prinzipien sind, als solche, insgesamt von einer und derselben Art, und gehören unter das allgemeine Prinzip der Selbstliebe, oder eigenen Glückseligkeit.


    Die Lust aus der Vorstellung der Existenz einer Sache, so fern sie ein Bestimmungsgrund des Begehrens dieser Sache sein soll, gründet sich auf der Empfänglichkeit des Subjekts, weil sie von dem Dasein eines Gegenstandes abhängt; mithin gehört sie dem Sinne (Gefühl) und nicht dem Verstande an, der eine Beziehung der Vorstellung auf ein Objekt, nach Begriffen, aber nicht auf das Subjekt, nach Gefühlen, ausdrückt. Sie ist also nur so fern praktisch, als die Empfindung der Annehmlichkeit, die das Subjekt von der Wirklichkeit des Gegenstandes erwartet, das Begehrungsvermögen bestimmt. Nun ist aber das Bewußtsein eines vernünftigen Wesens von der Annehmlichkeit des Lebens, die ununterbrochen sein ganzes Dasein begleitet, die Glückseligkeit, und das Prinzip, diese sich zum höchsten Bestimmungsgrunde der Willkür zu machen, das Prinzip der Selbstliebe. Also sind alle materialen Prinzipien, die den Bestimmungsgrund der Willkür in der, aus irgend eines Gegenstandes Wirklichkeit zu empfindenden, Lust oder Unlust setzen, so fern gänzlich von einerlei Art, daß sie insgesamt zum Prinzip der Selbstliebe, oder eigenen Glückseligkeit gehören.
    (KpV, §3, Lehrsatz II)

    Vor allem in Anmerkung II zu diesem Lehrsatz erläutert Kant, warum das Streben nach Glückseligkeit in diesem Sinn kein Fundament für eine Ethik sein kann:

    Kant:

    Glücklich zu sein, ist notwendig das Verlangen jedes vernünftigen aber endlichen Wesens, und also ein unvermeidlicher Bestimmungsgrund seines Begehrungsvermögens. Denn die Zufriedenheit mit seinem ganzen Dasein ist nicht etwa ein ursprünglicher Besitz, und eine Seligkeit, welche ein Bewußtsein seiner unabhängigen Selbstgenugsamkeit voraussetzen würde, sondern ein durch seine endliche Natur selbst ihm aufgedrungenes Problem, weil es bedürftig ist, und dieses Bedürfnis betrifft die Materie seines Begehrungsvermögens, d.i. etwas, was sich auf ein subjektiv zum Grunde liegendes Gefühl der Lust oder Unlust bezieht, dadurch das, was es zur Zufriedenheit mit seinem Zustande bedarf, bestimmt wird. Aber eben darum, weil dieser materiale Bestimmungsgrund von dem Subjekte bloß empirisch erkannt werden kann, ist es unmöglich diese Aufgabe als ein Gesetz zu betrachten, weil dieses als objektiv in allen Fällen und für alle vernünftigen Wesen eben denselben Bestimmungsgrund des Willens enthalten müßte. Denn obgleich der Begriff der Glückseligkeit der praktischen Beziehung der Objekte aufs Begehrungsvermögen allerwärts zum Grunde liegt, so ist er doch nur der allgemeine Titel der subjektiven Bestimmungsgründe, und bestimmt nichts spezifisch, darum es doch in dieser praktischen Aufgabe allein zu tun ist, und ohne welche Bestimmung sie gar nicht aufgelöset werden kann. Worin nämlich jeder seine Glückseligkeit zu setzen habe, kommt auf jedes sein besonderes Gefühl der Lust und Unlust an, und selbst in einem und demselben Subjekt auf die Verschiedenheit des Bedürfnisses, nach den Abänderungen dieses Gefühls, und ein subjektiv notwendiges Gesetz (als Naturgesetz) ist also objektiv ein gar sehr zufälliges praktisches Prinzip, das in verschiedenen Subjekten sehr verschieden sein kann und muß, mithin niemals ein Gesetz abgeben kann, weil es, bei der Begierde nach Glückseligkeit, nicht auf die Form der Gesetzmäßigkeit, sondern lediglich auf die Materie ankommt, nämlich ob und wie viel Vergnügen ich in der Befolgung des Gesetzes zu erwarten habe. Prinzipien der Selbstliebe können zwar allgemeine Regeln der Geschicklichkeit (Mittel zu Absichten auszufinden) enthalten, alsdann sind es aber bloß theoretische Prinzipien [...]. Aber praktische Vorschriften, die sich auf sie gründen, können niemals allgemein sein, denn der Bestimmungsgrund des Begehrungsvermögens ist auf das Gefühl der Lust und Unlust, das niemals als allgemein, auf dieselben Gegenstände gerichtet, angenommen werden kann, gegründet.

    Sodann in der Anmerkung zu §4, Lehrsatz III:

    Kant:

    Es ist daher wunderlich, wie, da die Begierde zur Glückseligkeit, mithin auch die Maxime, dadurch sich jeder diese letztere zum Bestimmungsgrunde seines Willens setzt, allgemein ist, es verständigen Männern habe in den Sinn kommen können, es darum für ein allgemein praktisches Gesetz auszugeben. Denn da sonst ein allgemeines Naturgesetz alles einstimmig macht, so würde hier, wenn man der Maxime die Allgemeinheit eines Gesetzes geben wollte, grade das äußerste Widerspiel der Einstimmung, der ärgste Widerstreit und die gänzliche Vernichtung der Maxime selbst und ihrer Absicht erfolgen. Denn der Wille Aller hat alsdann nicht ein und dasselbe Objekt, sondern ein jeder hat das seinige (sein eigenes Wohlbefinden), welches sich zwar zufälligerweise, auch mit anderer ihren Absichten, die sie gleichfalls auf sich selbst richten, vertragen kann, aber lange nicht zum Gesetze hinreichend ist, weil die Ausnahmen, die man gelegentlich zu machen befugt ist, endlos sind, und gar nicht bestimmt in eine allgemeine Regel befaßt werden können.

    Sodann aus Anmerkung II zu §8 Lehrsatz IV:

    Kant:

    Das Prinzip der Glückseligkeit kann zwar Maximen, aber niemals solche abgeben, die zu Gesetzen des Willens tauglich wären, selbst wenn man sich die allgemeine Glückseligkeit zum Objekte machte. Denn, weil dieser ihre Erkenntnis auf lauter Erfahrungsdatis beruht, weil jedes Urteil darüber gar sehr von jedes seiner Meinung, die noch dazu selbst sehr veränderlich ist, abhängt, so kann es wohl generelle, aber niemals universelle Regeln, d.i. solche, die im Durchschnitte am öftesten zutreffen, nicht aber solche, die jederzeit und notwendig gültig sein müssen, geben, mithin können keine praktischen Gesetze darauf gegründet werden. Eben darum, weil hier ein Objekt der Willkür der Regel derselben zum Grunde gelegt und also vor dieser vorhergehen muß, so kann diese nicht worauf anders, als auf das, was man empfiehlt, und also auf Erfahrung bezogen und darauf gegründet werden, und da muß die Verschiedenheit des Urteils endlos sein. Dieses Prinzip schreibt also nicht allen vernünftigen Wesen eben dieselben praktischen Regeln vor, ob sie zwar unter einem gemeinsamen Titel, nämlich dem der Glückseligkeit, stehen. Das moralische Gesetz wird aber nur darum als objektiv notwendig gedacht, weil es für jedermann gelten soll, der Vernunft und Willen hat.


    Diese Argumentation scheint mir vor allem hinsichtlich des Zusammenhanges von Glückseligkeit mit Begehren bzw. Selbstliebe auch im allgemeinen Zusammenhang unseres Threads hier bemerkenswert.


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