Was dient es meiner Praxis, wenn ich Missbrauch, der weder mich noch mein Umfeld betrifft, zu meinem Thema mache? Was dient es der Lehre, was der Sangha, der ich mich zugehörig fühle?
Natürlich: wenn ich Missbrauch sehe, mittelbar oder unmittelbar beteiligt oder sogar verantwortlich dafür bin, dann ist es meine Pflicht, dagegen vorzugehen. Aber welche Wirkungen bringt das Lamento hervor, wenn ich unbeteiligt bin?
Es gibt Missbrauch in Religionsgemeinschaften. Es gibt auch das Gegenteil. Wenn etwas gut läuft, ist es keine Schlagzeile wert. Darum wird die Welt immer verkommener – scheinbar. Die kirchliche Gemeinde hier vor Ort macht einen sehr guten Job. Interessiert das jemanden? Mich nicht, wenn ich meinen Medienkonsum betrachte. Fehlt der Trigger, werde ich nicht getriggert.
Die schlechten Nachrichten färben weit stärker und tiefer als die guten. Dennoch wäre das Verhältnis von schlechten zu guten Nachrichten sehr eindeutig zum Positiven geneigt, wenn auch gute Nachrichten solchen einen Impact hätten wie die schlechten. Das führt aber dazu, dass viele Menschen schon von vornherein den Kontakt zu Religion ablehnen (und so auch zum Dharma), weil gleich Missbrauch, Heuchelei und Korruption im Vordergrund stehen.
Da aber schlechte Nachrichten und Skandale eh sich verbreiten wie ein Strohfeuer, erscheint es mir sinnvoller, die guten Aspekte in den Vordergrund zu stellen – als Gegengewicht. Damit verhindere ich vielleicht, dass andere Leute aus Vorbehalt erst gar keinen Kontakt zur Lehre bekommen können.
Ich denke, es gibt Prioritäten. Zu bestimmten Zeiten sind bestimmte Dinge wichtig. So ist es leichter, eine Fliege aus der Milch als einen Elefanten aus dem Sumpf zu retten. Wohlfeil, sich zu empören, wenn es keine Konsequenzen fordert.
Am Ende muss sich wahrscheinlich jeder/jede selbst fragen, welche Motivation hinter Furor, Urteil und Emotion liegt.
Wenn ich selbst wütend bin wegen eines Missstandes, brauche ich selbst oft die Wut. Es geht weniger um den Missstand als um mich und meine Bedeutung. Ich profiliere damit mich vor mir, vor anderen. Auch das ist eine Sucht.
Ich kann den Finger in die Wunde legen, weil ich aufmerksam machen möchte – oder weil ich meinen eigenen Schmerz gespiegelt sehen will, sodass auch andere ihn fühlen.