Tätige Nächstenliebe im Buddhismus

  • Ein Frage, die mich schon länger beschäftigt, ist die, welchen Stellenwert im Buddhismus beziehungsweise in den verschiedenen Spielarten des Buddhismus, die aktive Nächstenliebe hat. Im Christentum gibt es ja die caritas als eine zentrale Tugend, die sich in aktiver Hilfe und Dienst an den kranken und schwachen Mitgliedern der Gesellschaft ausdrückt. Gibt es im Buddhismus etwas vergleichbares? Ich habe mal gehört, dass in vielen Gesellschaften in Asien die buddhistischen Klöster auch Aufgaben im Gesundheitssystem übernehmen etwa bei der Betreuung und Rehabilitation von psychisch kranken Menschen. Das fand ich sehr beeindruckend.


    Ich habe manchmal in den buddhistischen Kreisen hier in unserer Gesellschaft den Eindruck, dass die Motivation zur eigenen Erleuchtung, dem Beenden des Daseinskreislaufs, so im Mittelpunkt steht, dass die aktive Nächstenliebe gar nicht so eine große Rolle spielt. Auch bei dem Bodhisattva-Weg geht es darum, die eigene Erleuchtung zu erlangen, um alle Lebewesen zur Erleuchtung zu führen. Aber so lange man die Erleuchtung selbst noch nicht erlangt hat, kann man da vermeintlich wenig ausrichten. Mal etwas provokant gefragt: Erschöpft sich die tätige Nächstenliebe für uns in einer außerweltlichen Askese und Praxis? Wie seht und erlebt ihr das?

    "Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen."

    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

  • void

    Hat das Thema freigeschaltet.
  • "Nächstenliebe" ist ja ein christliches Konzept und die Frage ist, ob es im Buddhismus etwas analoges gibt. Dies ist Thema des Textes "Mitgefühl im Buddhismus und Mitleid im Christentum"

    Zitat

    Der Buddha hatte erfahren, dass ein Mönch im Kloster an Ruhr erkrankt war. Mit seinem Begleiter Ânanda ging er zur Behausung des Mönchs und fand ihn dort entkräftet und hilflos in seinem Urin und Kot auf dem Boden liegend. Der Buddha fragte ihn, warum keiner der anderen Mönche ihm helfen würde. Der Mönch gab zur Antwort, dass auch er niemandem geholfen habe. Deshalb kümmere sich nun auch niemand um ihn. Daraufhin bat der Buddha Ânanda, ihm warmes Wasser zu holen. Damit wuschen sie ihn, hoben ihn aufs Bett und versorgten ihn mit allem, was er brauchte. Dann rief der Buddha die Mönche zusammen und ermahnte sie dringend, sich umeinander zu kümmern. Sie hätten ihre Familien zurückgelassen, um dem spirituellen Pfad zu folgen. So müssten sie sich nun gegenseitig Vater und Mutter ersetzen. Wenn sie sich nicht um andere kümmerten, würden sich diese anderen auch nicht um sie kümmern. So wie sie ihm – dem Buddha – helfen würden, wenn er in Not wäre, so sei es ihre Pflicht, auch den Mönchsbrüdern zu helfen. Die Ermahnung schließt mit dem Satz: «wie man mich pflegen würde, so soll man Kranke pflegen»


    Diese Aussage Buddhas erinnert an Mt 25, 40, wo Christus als Weltenrichter sagt: «Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan»2 Wer denjenigen hilft, die physischem, psychischem oder sozialem Leiden ausgesetzt sind, der handelt an Christus selbst. Wer den Buddha pflegen will, der soll sich den Kranken zuwenden

    Dies ist ja ein starker Anfang für eine buddhistische Form des Umeinander Kümmerns.


    Aber dies hat sich dann auseinander bewegt.


    Im Christentum geht es ja nicht nur um die Veränderung des eigenen Geistes sondern um die Veränderung der Welt - man soll ja am Reich Gottes mitarbeiten - was ja eine gesellschaftliche Utopie vorgibt - eben eine Gemeinschaft der gegenseitigen Liebe aufzubauen.


    Während im Buddhismus selbst so soziale Haltungen wie karuna, metta mudita nicht als Wege zu einer besseren Welt sondern zu einem friedvolleren Geist gesehen werden..

    Es handelt sich [ bei karūna]dabei um ein universales Verbundenheitsgefühl, das letztlich nicht von einer empathischen Identifikation mit dem individuellen Notleidenden getragen ist. Bei der christlichen Nächstenliebe steht das tätige Engagement für die leidende Person im Vordergrund, bei der buddhistischen karuṇā geht es um unterschiedslose Allgüte.


    In der Praxis wird sich diese Unterscheidung aber nicht sehr bemerkbar machen, denn auch die< Allgüte kann sich ja immer nur in der Zuwendung zu einzelnen Lebewesen realisieren. Entscheidend ist dabei nach buddhistischem Verständnis nicht die Tat an sich, geschweige denn der Erfolg der Tat, sondern allein die Gesinnung, aus der die Tat geschieht. Es kommt auf die Haltung der Güte an. Wo diese Haltung ausgebildet und praktiziert wird, reinigt das den Geist von den drei leiderzeugenden Grundübeln Hass, Gier und Nichtwissen. Damit wird er frei für das Licht, das ihn erleuchten kann.

  • https://www.palikanon.com/samyutta/sam47.html#s47_19


    Zitat

    'Ich werde auf mich achten', so sind die Pfeiler [Grundlagen] der Achtsamkeit (satipatthāna), ihr Mönche, zu pflegen:

    'Auf den anderen werde ich achten, so sind die Pfeiler [Grundlagen] der Achtsamkeit zu pflegen.


    Auf sich selber achtend, ihr Mönche, achtet man auf die anderen.

    Auf die anderen achtend, achtet man auf sich selber.


    Und wie, ihr Mönche, achtet man, auf sich selber achtend, auf den anderen?


    Durch Pflege, durch Entfaltung, durch häufiges Tun.


    So, ihr Mönche, achtet man, auf sich selber achtend, auf den anderen.


    Und wie, ihr Mönche, achtet man, auf den anderen achtend, auf sich selber?


    Durch Geduld (khanti),

    durch Gewaltlosigkeit (avihiṃsā),

    durch Liebe (mettacitta),

    durch [An-]Teilnahme (anudaya).


    Meditation – der Weg zum Einen?
    Vom Weg und Ziel buddhistischer Meditation von Franz - Johannes Litsch Vor ca. 200 Jahren gelangte die Lehre und Praxis des Buddha in das christlich und…
    www.buddha-netz.org


    Texte
    Engagierter Buddhismus allgemein Aus tiefem Leiden entsteht tiefes Mitgefühl - Franz-Johannes Litsch Idee und Praxis des engagierten Buddhismus und des…
    www.buddha-netz.org

    :zen:




  • Wie seht und erlebt ihr das?

    "Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen."

    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

  • Mal etwas provokant gefragt: Erschöpft sich die tätige Nächstenliebe für uns in einer außerweltlichen Askese und Praxis? Wie seht und erlebt ihr das?

    Mal etwas provokant geantwortet: ich sehe und erlebe mich nicht, wenn ich tätig bin. Da müsste ich ja neben mir stehen. Und ich erinnere mich auch nicht.

    :zen:



  • Mal etwas provokant gefragt: Erschöpft sich die tätige Nächstenliebe für uns in einer außerweltlichen Askese und Praxis? Wie seht und erlebt ihr das?

    Mal etwas provokant geantwortet: ich sehe und erlebe mich nicht, wenn ich tätig bin. Da müsste ich ja neben mir stehen. Und ich erinnere mich auch nicht.

    Nein eigentlich hundert davon: :heart:

  • Danke für die verlinkten Texte und Textstellen.


    Mich würde aber viel mehr interessieren:


    Wie ist denn eure Sicht auf dieses Thema (sofern ihr eine habt natürlich)? Wie sind eure persönlichen Erfahrungen damit (sofern ihr welche habt)?

    "Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen."

    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

  • Die die beiden Aussagen in SN 47.19:

    Zitat

    Auf sich selber achtend, ihr Mönche, achtet man auf die anderen.

    Auf die anderen achtend, achtet man auf sich selber.

    hängen ja miteinander zusammen. Sie sind zwei unterschiedliche, aber miteinander zusammenhängende Perspektiven. Das kann man sich am Beispiel der Freigebigkeit verdeutlichen.


    Die Freigebigkeit ist die geistige Einstellung, für das Wohl anderer Menschen zu wirken. Diese Einstellung muss man aber erst einmal im eigenen Geist hervorbringen. Hat man also auf sich selber achtend diese Einstellung entwickelt, wirkt man für das Wohl der Anderen, weil man auf sie achtet.


    Indem ich die Freigebigkeit übend auf die anderen Menschen achte, achte ich auch auf mich selber, weil meine Handlungen der Freigebigkeit auf mich zurück wirken. Sie verleihen dadurch meinem Geist die Kraft, dass ich die Fähigkeit der Freigebigkeit immer weiter entwickeln kann.

    Gruß Helmut


    Als Buddhisten schätzen wir das Leben als höchst kostbares Gut.

  • Wie seht und erlebt ihr das?

    Es ist schwer zu überprüfen. Im Christentum ist Nächstenliebe Teil des Weges. Für Katharina von Sienna oder Mutter Theress war die Sorge für Kranke nicht eine praktisches Problem sondern eine spirituelle Praxis. Die Motivation dazu kommt aus dem Christentum und der Herrennachfolge .


    Beim Buddhismus ist es nicht so. Der Buddhismus bekämpft Gier, Hass und Verblendung. Was aber auch bedeutet dass er Grosszügigkeit, Geduld und Mitgefühl kultivieren kann. Nächstenliebe ist also erstmal eher eine Nebenwirkung.


    Angenommen mein Shangha-Kollege ist ein besonders sozialer und gütiger Mensch dann ist es ja kaum festzustellen, ob sich das aus dem Buddhismus speist oder er es auch so täte.


    Bei "Buddha und dem Kranken Mönch" ist es dass dieser aus ganz praktischen Gründen hilft - eben weil Mama und Papa nicht da sind aber die Mitmönche. Und nicht weil es für die so eine spirituelle Praxis ist.


    Wobei mir doch eine Stelle einfällt. Sogyal Rinpoche erzählt hier von Asanga der nach etlichen Versuchen den Bodhisattva Maitreya zu finden, durch eine extreme Handlung tätiger Liebe

    Aber während die christliche Nächstenliebe zur Gründung von Krankenhäusern führte, bleibt das ja ein Beispiel von extremen Mitgefühl ohne dass sich daraus eine Asanga Gemeinschaft gebildet hatte, die das Wohl der indischen Straßenhunde verbesserten. Auch hier steht die Verwirklichung des Bodhisattva Ideals im Vordergrund und nicht die Steigerung des Hundewohls in der Welt.

  • Auch bei dem Bodhisattva-Weg geht es darum, die eigene Erleuchtung zu erlangen, um alle Lebewesen zur Erleuchtung zu führen. Aber so lange man die Erleuchtung selbst noch nicht erlangt hat, kann man da vermeintlich wenig ausrichten.

    So kann ich mir nicht verkneifen. Die Bodhisattvas verzichten auf das Nirvana, um leidende Wesen zu retten. Der Haken dabei ist, dass alle Wesen bereits gerettet sind, es aber nicht wissen. Dies ist die paradoxe Logik des Mahayana. :shrug:

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

  • Nächstenliebe ist also erstmal eher eine Nebenwirkung.

    Aber auch im Buddhismus gibt es Konzepte wie Metta und Karuna. Und das Verhalten des Buddha war ja lt. Suttas auch nicht unsozial. Großzügigkeit steht im Gegensatz zum Anhaften und zur Gier, sollte also zum Pfad passen. Mir ist noch nicht klar geworden, warum sich im Buddhismus nicht mehr daraus entwickelt hat.

  • Nächstenliebe ist das eigentlich Normale. Mitgefühl, Mitleid, Zuneigung usw. schafft intellektuellen Abstand, der Nächste wird doch ein „Fremder“. Um den „Fremden“ doch als Mitmensch zu erkennen, braucht es ab dem Zeitpunkt Regeln, Normen, Verhaltensweise, wo vorher einfach nur Nächstenliebe war.

  • Danke für die verlinkten Texte und Textstellen.


    Mich würde aber viel mehr interessieren:


    Wie ist denn eure Sicht auf dieses Thema (sofern ihr eine habt natürlich)? Wie sind eure persönlichen Erfahrungen damit (sofern ihr welche habt)?

    Ich verstehe Deine Frage wirklich nicht.

    Ich bin wie ich bin, ich handel Schritt für Schritt so wie ich schon immer handelte - egal ob als Christin oder der buddhistischen Lehre folgend. Dazu brauche ich keine besondere Aufforderung oder Anleitung.

    Und ich kenne niemanden in meiner Umgebung, der/die sich nicht um ihre/seine Mitmenschen kümmert, egal welcher Religion oder Tradition zugehörig.


    So wurde ich erzogen, meine Eltern waren sehr freigebig, großzügig und setzten sich mit Zeit und Kraft auch persönlich ein. Sie waren nicht besonders fromm. Sie waren und sind mir bis heute Vorbilder.

    _()_Monika

    Ohne mich ist das Leben ganz einfach

    Ayya Khema

    Oder anders ausgedrückt: Die Beherrschung der Gedanken ist der Weg zum Glück (SH Dalai Lama)

    Einmal editiert, zuletzt von Monika ()

  • Mal etwas provokant gefragt: Erschöpft sich die tätige Nächstenliebe für uns in einer außerweltlichen Askese und Praxis? Wie seht und erlebt ihr das?

    Ich sehe es ganz laienhaft so, dass im Buddhismus meine Nächsten nicht getrennt von mir existieren und eher ein Teil meiner eigenen Wahrnehmung sind, in diesem Sinne ein unabtrennbarer Teil meiner Existenz. Und so gehe ich mit meinen Nächsten um wie mit mir selbst.


    In den abrahamitischen Religionen sieht sich das Individuum noch eher als getrennt von anderen, im persönlichen Diskurs mit seinem Gott, Jahwe oder Allah. Deswegen wird auch hier die Hinwendung an die Nächsten besonders betont. Jesus rief sogar dazu auf, seine Feinde zu lieben.

    Ich habe mal gehört, dass in vielen Gesellschaften in Asien die buddhistischen Klöster auch Aufgaben im Gesundheitssystem übernehmen etwa bei der Betreuung und Rehabilitation von psychisch kranken Menschen. Das fand ich sehr beeindruckend.

    Sie nehmen auch Waisen auf und Kinder armer Familien um ihnen eine Bildung und Existenz zu ermöglichen.

  • Aber auch im Buddhismus gibt es Konzepte wie Metta und Karuna. Und das Verhalten des Buddha war ja lt. Suttas auch nicht unsozial. Großzügigkeit steht im Gegensatz zum Anhaften und zur Gier, sollte also zum Pfad passen. Mir ist noch nicht klar geworden, warum sich im Buddhismus nicht mehr daraus entwickelt hat.

    Vielleicht hat es auch äußere Gründe?


    Europa ging ja nach der Antike durch eine "dunkel Zeit" . Staatliche Strukturen die eigentlich für Soziales zuständig waren zerfielen und so nahm die Kirche viele soziale Aufgaben ( den Betrieb von Krankenhäuser, die Sorge um die Armen, die Sorge um die Alten, die Erziehung von Kindern) auf sich.


    Während die Situation für den Buddhismus ja erstmal sehr anders war. So war war Kaiser Ashoka ( 303- 232) ein Kaiser der versuchte den Buddhismus in seiner sozialen Gesetzgebung umzusetzten:


    Ashoka legte Wert auf eine gerechte Rechtsprechung, auf Vorsicht und Toleranz bei der Urteilsfindung und Wahl der Strafe. Er sprach auch wiederholt Begnadigungen aus.


    Zitat

    „Es ist mein Bestreben, dass Gesetze und Bestrafungen einheitlich sein sollen. Ich gehe auch so weit, jenen die zum Tode verurteilt wurden einen dreitägigen Aufenthalt im Gefängnis zu erlauben. Während dieser Zeit können ihre Verwandten um eine Begnadigung ansuchen. Wenn niemand da ist um das Leben des Gefangenen zu bitten, darf der Gefangene Schenkungen tätigen um gute Verdienste für die nächste Welt zu sammeln oder fasten. Während der sechsundzwanzig Jahre seit meiner Krönung, haben Gefangene zu fünfundzwanzig Gelegenheiten Amnestien erhalten.“

    Ebenso kümmerte er sich um den Tierschutz:

    Zitat

    „Hier (in meinem Reich) dürfen keine Lebewesen getötet oder als Opfer dargebracht werden.“


    „Sechsundzwanzig Jahre nach meiner Krönung werden einige Tiere unter Schutz gestellt – Papageien, wilde Gänse und Enten, Fledermäuse, Ameisenköniginnen, Schildkröten, Fische, Stachelschweine, Eichhörnchen, Rehe, Rinder, wilde und Haus-Tauben, alle vierfüßigen Tiere, die weder nützlich noch essbar sind. Die Ziegen, Schafe und Säue, die Junge haben oder Jungen Milch geben, sind geschützt, wie auch die Jungen, wenn sie jünger als sechs Monate sind. Hähne dürfen nicht kastriert werden, Unterholz, in dem Tiere sich verbergen, darf nicht verbrannt werden und Wälder dürfen weder ohne Grund, noch um Lebewesen zu töten abgebrannt werden. Ein Tier darf nicht an ein anderes verfüttert werden.“

    In Punkto "Wokeness" versägt Ashoka sogar noch die Grünen! Ein Öko vor dem Herren( Wobei man sich fragt, wie es mit dem Umsetzung so genau aussah)


    Und er ließ Krankenhäuser für Menschen und Tiere bauen:

    König Ashoka förderte Maßnahmen, die das Leben der Menschen (und Tiere) in seinem Reich und auch außerhalb dessen Grenzen besser machen sollten. Dazu gehörten vor allem die Errichtung von Krankenhäusern (die auch Tiere aufnehmen sollten), das Anlegen und Verbessern von Straßen und das Aussenden von „Gesandten des Dharma“ in seinem gesamten Reich, die diese Maßnahmen leiten und überwachen und den Dharma bekannt machen sollten.


    Zitat

    „Überall im Reich des Königs Piyadasi, und bei den Völkern jenseits der Grenzen, den Chola, den Pandya, den Satiyaputra, den Keralaputra, bis nach Tamraparni und wo der griechische König Antiochos herrscht, und unter den Königen die Nachbarn des Antiochos sind, überall hat Piyadasi Vorkehrungen für zwei Arten der medizinischen Behandlung getroffen: medizinische Versorgung von Menschen und medizinische Versorgung von Tieren. Wo medizinische Kräuter zur Behandlung von Menschen oder Tieren nicht vorhanden waren, habe ich sie eingeführt und pflanzen lassen.“

    Aber all dies waren - wenn auch von buddhistischen Gedanken getragen - staatliche Maßnahmen. Weil es eben einen funktionierenden Staat gab. Ashokas Hauptstadt Pățaliputra war mit 150000 bis 400000 Einwohner ziemlich groß. Wenn es einen funktionierenden Staat gibt, können Ordinierten sich der Aufgabe zuwenden Befreiung zu erlangen.


    Während Europa im Mittelalter reduzierte staatliche Strukturen hatten und eben deswegen den Klöstern und Kirchen viele soziale Aufgaben zufielen.


    Erst im Spätmittelalter gab es auch in Europa wieder so große Städte wie

    Pățaliputra und sobald der Staat wieder funktionierte sorgte er sich zunehmend um Soziales und Erziehung.

  • Hallo Maha , :)

    vielen Dank für das Ansprechen dieses, wie ich finde, sehr bedeutsamen Themas! _()_


    Ich habe manchmal in den buddhistischen Kreisen hier in unserer Gesellschaft den Eindruck, dass die Motivation zur eigenen Erleuchtung, dem Beenden des Daseinskreislaufs, so im Mittelpunkt steht, dass die aktive Nächstenliebe gar nicht so eine große Rolle spielt.

    Mit diesem Eindruck stehst du nicht alleine...


    Der Vorwurf des "Egoismus" haftet den Buddhisten im Westen ohnehin schon ein wenig an, Tenor: "Die sitzen da nur auf dem Kissen herum, während andere, z.B. Christen, die Ärmel aufkrempeln, sich organisieren und praktische Hilfe leisten...!"


    (Z.B. "Grüne Damen" in Krankenhäusern, Besuche in Altenheimen, bei einsamen, kranken Gemeindemitgliedern, Gründungen von "Tafeln", etc.)




    Wenn der Buddhismus seine Glaubwürdigkeit als "friedlichste Religion" mit Schwerpunkt "Mitgefühl für alle Wesen" behalten (und im Westen überleben) will, wäre es m.E. wichtig, nicht länger das Bild zu vermitteln, man "sitze" nur so für sich...

    "An ihren "Früchten" werdet ihr sie erkennen.", ein Ausspruch Jesu -Mt 7,16- , der auch auf Buddhisten anwendbar ist...


    Den gesprochenen Worten: "Mögen alle Wesen glücklich und zufrieden (frei vom Leid und den Ursachen des Leides) sein." auch entsprechende Taten der Sangha-Mitglieder folgen zu lassen, welche hilfreiche, heilsame Folgen für die "leidenden Wesen" hätten,

    wäre eine Option, die möglicherweise auch mehr Menschen motivieren würde, sich für den Buddhismus zu interessieren.


    Einige engagierte Buddhisten machen es bereits vor:


    Humanitäre Hilfsorganisation
    Buddhistische Hilfsorganisation, die ausschliesslich humanitäre Hilfsprojekte startet, um Notleidenden in Hungergebieten und Katastrophen akut und nachhaltig…
    www.mia.eu.com


    Erschöpft sich die tätige Nächstenliebe für uns in einer außerweltlichen Askese und Praxis? Wie seht und erlebt ihr das?

    Nach meinem Dafürhalten: Bedauerlicherweise - derzeit - meistens schon, obwohl es auch hier und da positive Beispiele gibt (siehe oben: "Mitgefühl in Aktion")


    Viele Menschen, die es zum Buddhismus zieht, sind allerdings, meiner Beobachtung nach, ziemlich stark (körperlich und/oder psychisch) Leidende und versuchen - vernünftiger- und verständlicherweise - zunächst mal, sich selbst zu helfen.

    Die Initiative zu mehr wohltätigem Einsatz in der Gesellschaft, müsste daher wohl von den buddhistischen Zentren ausgehen, die u.a. Meditationskurse, Sesshins, usw. anbieten.


    Durch die Praxis der meisten buddhist. Schulen, wird allerdings auch liebende Güte und Mitgefühl entwickelt und gefördert, was, beim Einzelnen, sicherlich (fast automatisch) Handlungen der "Nächstenliebe" im Alltag nach sich zieht.

    Der Buddhismus bekämpft Gier, Hass und Verblendung. Was aber auch bedeutet dass er Grosszügigkeit, Geduld und Mitgefühl kultivieren kann. Nächstenliebe ist also erstmal eher eine Nebenwirkung.

    Genau, aber dabei muss es ja nicht bleiben....


    Zitat
    ...

    Asanga wurde von einer heftigen und schier unerträglichen Empfindung des Mitgefühls überwältigt. Er schnitt sich ein Stück seines eigenen Fleisches aus dem Körper und gab es dem Hund zu fressen. .....


    Aber während die christliche Nächstenliebe zur Gründung von Krankenhäusern führte, bleibt das ja ein Beispiel von extremen Mitgefühl ohne dass sich daraus eine Asanga Gemeinschaft gebildet hatte, die das Wohl der indischen Straßenhunde verbesserten. Auch hier steht die Verwirklichung des Bodhisattva Ideals im Vordergrund und nicht die Steigerung des Hundewohls in der Welt.

    Ehrlich gesagt, erscheint mir diese Geschichte nicht als ein Beispiel für (extremes) Mitgefühl, sondern eher für eine (irrsinnige) Opferbereitschaft, aus der Überwältigung durch MitLEID heraus, die - in der Realität - dem betroffenen Tier nicht wirklich geholfen hätte...


    Diese Erzählung/Legende sollte wohl nur demonstrieren, dass selbstloses Aufopern - aus "Liebe"/Mitgefühl - "belohnt" wird? :?


    Die angestrebte Verwirklichung von hohen Idealen hat ja immer ein leichtes "Geschmäckle" von Narzissmus - das Ziel, einst ein (großer) Boddhisattva zu sein, könnte u.a. Gefühle von Ehrgeiz hervorbringen, die das Ego fördern, anstatt es aufzulösen...


    (Teilweise zu beobachtendes, fast verächtliches, Herabschauen von Mahayanas auf die Theravadins, deren Fokus/Ziel zunächst die "eigene" Befreiung ist, mag schon ein Ausdruck davon sein - von "Nächstenliebe" zeugt es jedenfalls nicht gerade... :shrug: )




    Liebe Grüße _()_ :heart: :)

    "...Dieser edle achtfache Pfad aber ist der zur Aufhebung des Leidens führende Weg..." (AN.VI.63)


    "In dieser Stunde hörte Siddhartha auf, mit dem Schicksal zu kämpfen, hörte auf zu leiden. Auf seinem Gesicht blühte die Heiterkeit des Wissens, dem kein Wille mehr entgegensteht, das die Vollendung kennt, das einverstanden ist, mit dem Fluss des Geschehens, mit dem Strom des Lebens, voll Mitleid, voll Mitlust, dem Strömen hingegeben, der Einheit zugehörig." (H.Hesse)

  • Während die Situation für den Buddhismus ja erstmal sehr anders war. So war war Kaiser Ashoka ( 303- 232) ein Kaiser der versuchte den Buddhismus in seiner sozialen Gesetzgebung umzusetzten:

    Danke für Deine interessante Antwort! Der Name Ashoka war mir zwar schon bekannt, aber ich denke, dass ich mich noch nicht ausgiebig genug mit ihm beschäftigt habe. Das werde ich jetzt nachholen.


    Schön ist, dass seine Edikte hier online verfügbar sind: Die Edikte des Kaisers Asoka

  • Ich sehe es ganz laienhaft so, dass im Buddhismus meine Nächsten nicht getrennt von mir existieren und eher ein Teil meiner eigenen Wahrnehmung sind, in diesem Sinne ein unabtrennbarer Teil meiner Existenz.

    So laienhaft finde ich das gar nicht. Konsequent gelebt, führt das von dir beschriebene Verständnis zu einer extrem empathischen, "selbst"losen Einstellung in Leben und Taten. Die christliche Tugend der Nächstenliebe, an welcher die buddhistische Lehre in diesem Thread gemessen und (ab)gewertet wird, postuliert eine starke Dualität zwischen "Ich" und "anderen". Wo diese Art des dualitären Verstehens konsequent losgelassen wird, ist gar kein Raum mehr da für egoistische Selbstbevorzugung. Man tut, was zu tun ist und die Früchte kommen allen Wesen zugute.


    Ich halte es auch für einen Irrtum, zu glauben, das Boddhisattva-Ideal bestünde darin, erstmal persönlich Erleuchtung zu erlangen, um dann auch andere zur Erleuchtung zu führen. Gemäß dem Bodhisattva-Idael unter Auflösung der "Ich"-"Andere"-Dualität für alle da zu sein, ist als Praxis bereits Ausdruck des Erwachens.


    In der Realität mögen wir alle ja noch sehr weit entfernt von der Verwirklichung dieses Bodhisattva-Ideals sein. Das liegt dann aber vielleicht auch oft an einem falschen Verständnis der buddhistischen Lehre.

  • Aus dem Studium des Diamantsutra:

    Ein Boddhisattva der alle Wesen zur Erleuchtung führen will, ist kein Boddhisattva, weil er anhaftet.

    Erst, wenn er erkennt, dass er immer noch ein Ich ist, das andere befreien kann, ist er ein Bodhisattva, aber noch kein Buddha.

  • Erschöpft sich die tätige Nächstenliebe für uns in einer außerweltlichen Askese und Praxis? Wie seht und erlebt ihr das?

    Man spricht nicht so viel über diese Dinge, aber aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es unzählige westliche Buddhisten gibt, die viel für die Menschen und Tiere tun. Ich bin seit Jahren mit einer Nonne befreundet, die speziell in Thailand unvorstellbar viel für die armen Menschen macht. Während meiner Zeit im Kloster hatte ich kein Geld, aber wir haben viel für die sterbenden Menschen gemacht.

    In Frankreich wurde ich Zeuge von der Freigebigkeit der buddhistischen Nonnen, Mönche und Laien.


    Schon der beginn der Praxis ist ein Akt der Nächstenliebe. Ich war mehr oder weniger ein gieriger Rassist, der Frauen nicht sehr gut behandelt hatte.

    Inzwischen habe ich durch die Hilfe von Lehrern und Freunden unzähligen Menschen und Tieren geholfen.

    Meine temperamentvolle Mutter wurde durch meine Verwandlung auf den Buddhismus aufmerksam. Sie lebt jetzt fast Vegan und engagiert sich lokal sehr für die Tiere.


    Ich habe jetzt nicht so den Einblick in die deutsche buddhistische Szene, aber ich habe keinen Zweifel daran, dass da viel gemacht wird.


    In den ersten Jahren meiner Praxis in Thailand habe ich mich schon sehr auf mich konzentriert. Ich musste halbwegs Ordnung und Ruhe in dieses Leben bringen, aber danach ging es nicht mehr um mich.


    So habe ich es erlebt.



    Mögen wir alle Frieden finden!

  • Wenn man von christlicher Nächstenliebe spricht und dann den Eindruck hat, diese gäbe es im Dharma nicht, weil der Begriff der Nächstenliebe nicht benutzt wird, dann hängt man doch zu sehr an den verwendeten Begriffen.


    Man sollte es auf der inhaltlichen Ebene betrachten. Die Dharmapraxis ist immer auch auf die anderen fühlenden Wesen ausgerichtet. Bereits wenn wir die Vier Unermesslichkeiten in der Meditation einüben, sind wir auf die anderen Wesen ausgerichtet, denn sie bedeuten ja:

    • Mögen alle fühlenden Wesen Glück erleben und die Ursachen für Glück erlangen.
    • Mögen alle fühlenden Wesen frei sein von Leiden und den Ursachen des Leidens.
    • Mögen alle Wesen niemals getrennt sein von Glückseligkeit ohne Leiden.
    • Mögen alle Wesen in Gleichmut verweilen ohne Anhaftung an Nahestehende und Abneigung gegenüber Fernstehenden.

    Je mehr dies üben, wird unser Geist von ihnen geprägt sein und das wirkt sich dann auf unser Denken und unser Verhalten gegenüber den anderen Lebewesen aus.


    Der Gleichmut besteht ja darin, dass wir alle Menschen als gleichwertig ansehen. Auf dieser Grundlage helfen wir ihnen mittels Freigebigkeit. Mittels Geduld vermeiden wir ihnen zu schaden.


    Freigebigkeit ist ja vielfältig. Wir geben Armen materielle Güter, wir kümmern uns um Kranke, wir gewährenden Gefährdeten Schutz und auch das Geben von Dharma ist eine Form der Freigebigkeit.


    Den Gefährdeten Schutz geben ist angesichts der Flüchtlingsströme ganz aktuell. Nächstenliebe ist zunächst erst einmal eine geistige Haltung. So lange sie sich nicht in unserem Handeln anderen Menschen gegenüber ausdrückt, ist sie nicht viel Wert.

    Gruß Helmut


    Als Buddhisten schätzen wir das Leben als höchst kostbares Gut.

  • Konsequent gelebt, führt das von dir beschriebene Verständnis* zu einer extrem empathischen, "selbst"losen Einstellung in Leben und Taten. Die christliche Tugend der Nächstenliebe, an welcher die buddhistische Lehre in diesem Thread gemessen und (ab)gewertet wird, postuliert eine starke Dualität zwischen "Ich" und "anderen".


    * Bezug auf Nanus Zitat:

    "Ich sehe es ganz laienhaft so, dass im Buddhismus meine Nächsten nicht getrennt von mir existieren und eher ein Teil meiner eigenen Wahrnehmung sind, in diesem Sinne ein unabtrennbarer Teil meiner Existenz. Und so gehe ich mit meinen Nächsten um wie mit mir selbst."

    Ja, da kann ich nur zustimmen, konsequent gelebt, bewirkt der einzelne Praktizierende sicher viel Heilsames, auch in seinem Umfeld.


    Als Abwertung der Buddha-Lehre per se, möchte ich meine Anmerkungen (# 18) keinesfalls verstanden wissen, sie beziehen sich vielmehr auf Buddhisten als Kollektiv, die eben - im Vergleich zu Christen - (öffentlich) weniger als Tätige im "Dienst am Nächsten" in Erscheinung treten.


    Die Art der Praxisausübung durch die (westlichen) Buddhisten, welche ja i.d.R. einen christlich - humanistischen Hintergrund haben, könnte durch mehr karitatives Engagement in der Gesellschaft ergänzt werden, was die positive Nebenwirkung einer "Werbung" für den Buddhismus mit sich brächte.

    Es fehlt augenscheinlich vielerorts an buddhist. Nachwuchs -

    die meisten Praktizierenden gehören zur Altersgruppe 50 + - auch bei den Dharmalehrern steht wohl in den kommenden Jahren ein Generationenwechsel an...


    Wo diese Art des dualitären Verstehens konsequent losgelassen wird, ist gar kein Raum mehr da für egoistische Selbstbevorzugung. Man tut, was zu tun ist und die Früchte kommen allen Wesen zugute.

    Ja, das leuchtet ein, allerdings:

    Wie viele Buddhisten sind schon so weit?


    Tatsächlich befinden sich wohl die meisten Praktizierenden noch in der Dualität und handeln als "Ich" , wobei es den Hilfsbedürftigen egal sein dürfte, ob der Helfende (auf dem Weg) schon weiter fortgeschritten ist - Hauptsache, er handelt mit offenem Herzen, verstehend, achtsam, liebevoll und mitfühlend.


    Deshalb wäre es nicht sinnvoll, mit dem Handeln bis zur "Erleuchtung" zu warten... ;)



    Liebe Grüße, Anna _()_ :heart: :)

    "...Dieser edle achtfache Pfad aber ist der zur Aufhebung des Leidens führende Weg..." (AN.VI.63)


    "In dieser Stunde hörte Siddhartha auf, mit dem Schicksal zu kämpfen, hörte auf zu leiden. Auf seinem Gesicht blühte die Heiterkeit des Wissens, dem kein Wille mehr entgegensteht, das die Vollendung kennt, das einverstanden ist, mit dem Fluss des Geschehens, mit dem Strom des Lebens, voll Mitleid, voll Mitlust, dem Strömen hingegeben, der Einheit zugehörig." (H.Hesse)

  • In der Realität mögen wir alle ja noch sehr weit entfernt von der Verwirklichung dieses Bodhisattva-Ideals sein. Das liegt dann aber vielleicht auch oft an einem falschen Verständnis der buddhistischen Lehre.

    Und wie ist das richtige Verständnis der Lehre, egal welcher? Der Bodhisattva im Mahayana ist nicht dasselbe wie im Theravada. Sie jonglieren mit dem Begriff der "Leerheit", der in späteren Traditionen anders interpretiert wird als in früheren. Wer bestimmt dann, was korrekt ist? Nach welchen Kriterien?

    Ein Beispiel: Es geht sogar bis in die alten Texte. In den Veden und Upanishaden gab es bereits Konzepte wie Karma und Wiedergeburt. Viele Sutras im Pali-Kanon betonen den Tod und die Vergänglichkeit. Es könnte sein, dass der Buddha einfach das alte Muster übernommen hat, wie viele Forscher argumentieren. Denn wer sollte wiedergeboren werden, wenn es doch dem Prinzip von Anatta widerspricht?

    Auch die Buddha-Natur gibt es im Mahayana, im Theravada hingegen, so weit ich weiß, wird nicht davon gesprochen.

    Und so weiter und so fort. Es gibt keinen "Buddhismus", wie es provokativ Michael Zimmermann ausgedrückt hat. Eine gute Frage, oder? :?


    Später hinzugefügt:


    Differences Between Theravada and Mahayana Buddhism

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

    Einmal editiert, zuletzt von Igor07 ()