Tenzin Palmo über Fleisch-essende (Laien), was haltet ihr davon?

  • Es gibt natürlich im Zen Ausprägungen, die mir nicht entgehen (und für die wohl auch Sudhana stehen möchte), die sich auf Sutren beziehen, also den Text, und von dort eine Ethik herleiten.

    Warum nicht Klartext? Wobei es schon ein wenig komplexer ist. Das hat durchaus etwas mit der Thematik 'Überlieferung außerhalb der Schriften' zu tun - Danke übrigens für Piya Tans Arbeit; ich habe sie bislang nur überflogen und werde ihr bei Gelegenheit mehr Zeit widmen. Einer der entscheidenden Punkte ist natürlich nicht neu: dass die 'Überlieferung außerhalb der Schriften' eine Fabrikation des nachklassischen Chan der Song ist und in Japan vom Rinzai rezipiert wurde und das offensichtlich gut zur Kultur (und Ethos) einer den Staat beherrschenden, brutalen Militärkaste passte. Im Sōtō hingegen (vgl. z.B. Shōbōgenzō Bukkyō) wird Überlieferung / Übertragung nicht-dualistisch aufgefasst: die Übertragung innerhalb und die Übertragung außerhalb von Worten sind nicht verschieden, nicht-zwei. 'Soheit' manifestiert sich auch in den Schriften. Konventionelle Wahrheit ist nur die kommunizierbare Form absoluter Wahrheit.


    Wobei sich die Ethik nur provisorisch auf Sūtren und Bodhisattvagelübde stützt - sie stützt sich auf die hinter diesen Worten stehende und im Zazen nachvollzogene dezentrale Vernetztheit allen Seins, die Interdependenz alles Seienden. Mit Huineng zu sprechen: Manifestation des Geistgrundes ohne Irrtum, ohne Torheit, ohne Verwirrung - die dreifache formlose Übung von Śīla, Prajńā und Dhyāna. Dieser Übung entspringt als Motivation der Praxis das Prinzip fusesshō - Enthaltung von Leben-Nehmen über das für diese Praxis Erforderliche hinaus.

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  • Zitat

    Mit Huineng zu sprechen: Manifestation des Geistgrundes ohne Irrtum, ohne Torheit, ohne Verwirrung - die dreifache formlose Übung von Śīla, Prajńā und Dhyāna.


    Das ist nicht Huineng. Das ist eine Entstellung von Teilen der Zen-Schulen, wahrscheinlich vorwiegend im Soto.

    So liest sich eine gängige akademische Auffassung von Huineng in Kurzform:


    Zitat

    Huineng’s discussion of the themes of inherent enlightenment, sudden awakening, and the non-dual nature of wisdom (Sanskrit: prajna) and meditation (Sanskrit: dhyana) resounds through later generations of Chan teachers,

    (Quelle)


    Huineng spricht von innewohnender Erleuchtung, plötzlichem Erwachen und der nicht-dualen Natur von Weisheit und Meditation ...


    Von daher kann man dann darauf kommen, dass sich jedwede brauchbare Art von sila aus der Erkenntnis ableitet und nicht Prämisse ist.


    Das andere sind wieder ideologisch begründete rhetorische Tricks, der Leser bekommt den Eindruck, die "Übertragung außerhalb der Schriften" läge wesentlich in Machtbedürfnissen und Militärengagement begründet. Man kann natürlich auch in der Analyse von Dogens Leben erkennen, wie er sich den Mächtigen hier und da anbiederte. Die Frage jenseits solcher historischen Betrachtungen ist also, was letztlich übertragen und vom Lehrer ggf. bestätigt wird. Das ist im Zen bis heute üblicherweise nicht Schriftkenntnis. Jemand wie Muho, der Ex-Abt eines der bekannteren Soto-Tempel, hat wohl keine große Schriftkenntnis und würde das auch nicht von sich behaupten (Schriftstudium heißt da in der Regel, sich auf die eigenen Leute und vor allem einen Teil von Dogens Werk zu beziehen). Die Soto-Vertreter, die einen Lehrberuf an buddhistischen Unis haben, müssen sich da schon mehr draufschaffen, aber das qualifiziert sie dann eher als Profs denn als Zenlehrer.


    Was ich also damit meine ist, dass etwas "übertragen" (besser wäre "erkannt") wird, dass man nicht durch Schriftabgleich mit einem Haken versieht. Wenn jemandem beim Krähen eines Hahns oder sonstwas plötzlich ein Licht aufgeht oder zumindest aufzugehen scheint, prüft man danach nicht, ob er die sila auch ernst genommen hat. Und in den Berichten solcher Schlüsselmomente bedeutet das dem Adepten auch nichts, zumal die sila auf dualistischen Ideen beruhen. (Ich weiß, hier kann man einwenden, dass im Rinzai üblicherweise Sprüche aus Büchern zitiert werden, um durchs Koanstudium zu gehen, und überall Bestätigungen aus diversen Gründen wie Zeitabsitzen und Blutsverwandtschaft geschah und geschieht, aber auf diese historische Realität hebe ich hier nicht ab.)


    P.S.:


    Da einige hier dann doch den Namen Ayya Khema fallen ließen, habe ich mich nun nochmal bei dieser überzeugten Vegetarierin umgeschaut. Für mich ist das tragisch, wenn Figuren durch die Welt reisen, um sich hier und da was abzuschneiden und zu vermischen, und weil sie schließlich nur im Mahayana richtig ordinieren zu können meinten, die Chance gleich nutzten, trotz Theradava-Lastigkeit einen "Dharma-Erben" zu ernennen, dann einen solchen Einfluss haben. Wenn ich im engl. Wiki lese, wie die an Krebs sterbende Ilse das (nur) Beinahesterben beschreibt, als angenehm und schön, ohne noch einen Zusammenhang mit ihrer Krankheit herzustellen, und wenn ich mir dagegen das anschaue, was Zenlehrer kurz vor ihrem Ableben sagten (was, wenn sie meinten, es gäbe keinen Tod, schon diskussionswürdig genug ist), dann wird mir wieder der Dualismus deutlich, den ich bei all diesen Wohlfühllehrern jedesmal in der Lektüre entdecke ("happiness", ein Lieblingswort von ihr). Wie kann es sein, dass jemand so Theravada (oder meinetwegen: "Buddhadharma") praktiziert, dass am Ende die Erkenntnis steht, das Sterben sei angenehm (ohne dass gesagt wird: "für mich in meiner Lage")? Wie kann es sein, dass man eine Lehrerin akzeptiert, die in einem Video dukkha so erklärt, als würde unser Leiden an der Vergänglichkeit selbst bestehen und nicht an unserem Konzept davon (also entscheidend darin, dass wir den Prozess des Wandels gedanklich in einen Widerspruch setzen zur Erfahrung des Einsseins in der Gegenwart)? Dann muss natürlich am Ende auch wieder ein Konzept stehen, dass des "schönen" Sterbens.

    "Ein Mönch, der Fragen stellt und sich unsicher ist, wie er den Geist eines anderen einschätzen mag, soll einen 'Buddha' genau untersuchen, um festzustellen, ob dieser tatsächlich erwacht ist." (Vivamsaka Sutta)

  • Das ist nicht Huineng. Das ist eine Entstellung von Teilen der Zen-Schulen, wahrscheinlich vorwiegend im Soto.

    Du irrst Dich. Das findest Du schon in den Dunhuang-Manuskripten des Plattform-Sutra, die auf 830 / 860 datiert werden. Das ist die älteste bekannte Textversion - da von "Entstellung" zu reden ist entweder Unkenntnis oder blanke, unbeweisbare Spekulation. 1967 von Philipp Yampolsky übersetzt:

    Zitat

    The mind-ground, not in error, is the precept of self-nature; the mind-ground, undisturbed, is the meditation of self-nature; the mind-ground, not ignorant, is the wisdom of self-nature.

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  • Das Gebot der Selbst-Natur hat nichts mit den sila zu tun. Das Gebot der Selbst-Natur ist das, wovon ich rede, wenn ich "Instinkt" sage.

    "Ein Mönch, der Fragen stellt und sich unsicher ist, wie er den Geist eines anderen einschätzen mag, soll einen 'Buddha' genau untersuchen, um festzustellen, ob dieser tatsächlich erwacht ist." (Vivamsaka Sutta)

  • Das Gebot der Selbst-Natur hat nichts mit den sila zu tun.

    Dass Du das so siehst, ist ja offensichtlich. Daher auch meine Diagnose, dass Dein Zen ethikfrei ist. Wenn Du das bestreitest - was Du ja getan hast - worauf gründet Deine Ethik?


    Mir scheint auch offensichtlich zu sein, dass Du das Prinzip des 'formlosen dreifachen Studiums' nicht verstehst - der Unterschied zum klassischen dreifachen Studium [von Śīla, Prajńā und Dhyāna; insbesondere in China mit dem theoretischen und praktischen Studium von Vinaya, Śāstra und Sūtra identifiziert] liegt einzig in der Formlosigkeit. Wozu der Huineng des Platformsutra ja auch konkret Erläuterungen gibt; u.a. zur 'formlosen Zufluchtnahme' oder zu 'formlosen Geboten'. Im Rahmen einer öffentlichen Bodhisattva-Ordination übrigens. Wie auch immer - worauf richtet sich Dein "Instinkt"?

    Zitat

    In den Aktivitäten, zu denen deine Selbstnatur Anlass gibt, gibt es neunzehn Konfrontationen: das Falsche und das Richtige, Unwissenheit und Weisheit, Dummheit und Wissen, Verwirrung und Samadhi, Befolgung der Gebote und Nichtbefolgung, gerade und krumm, wirklich und unwirklich, steil und eben, Leidenschaften und Erleuchtung, Mitgefühl und Schaden, Freude und Ärger, Geburt und Zerstörung, Dauerhaftigkeit und Vergänglichkeit, der Dharmakaya und der physische Körper, der Nirmanakaya und der Sambhogakaya, Substanz und Funktion, Natur und Eigenschaften sowie Empfindung und Unempfindlichkeit. In der Sprache und den Eigenschaften der Dinge gibt es zwölf Konfrontationen, in der äußeren Umgebung gibt es fünf Konfrontationen von Naturphänomenen, insgesamt also sechsunddreißig Konfrontationen.


    Wenn du das Gesetz der sechsunddreißig Konfrontationen anwenden kannst, wird es auf alle Sutras anwendbar sein und beim Verlassen und Betreten wirst du dich vom Dualismus fernhalten. Wie kommt es, dass deine Selbstnatur zu Aktivitäten führt? Wenn du zu anderen über diese sechsunddreißig Konfrontationen sprichst, dann trenne dich äußerlich von der Form, während du in der Form bist, und innerlich, während du in der Leerheit bist, trenne dich von der Leerheit. Wenn du dich an die Leere klammerst, wirst du nur deine Unwissenheit vergrößern. Wenn du dich an die Form klammerst, wirst du nur deine falschen Ansichten verstärken, den Dharma verleumden und schnell sagen, dass man keine geschriebenen Worte verwenden sollte. Wenn du sagst, man solle keine geschriebenen Worte verwenden, dann sollten die Menschen nicht sprechen, denn Sprache selbst ist nicht anders als geschriebene Worte.

    (Das Plattform-Sutra des Sechsten Patriarchen, übersetzt nach P. Yampolski)

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  • sitaara

    Jedoch habe ich das Problem, wenn ein buddhistischer Lehrer mal für mich eine Inspirationsquelle geworden ist und dann haut der mal was raus, was ich echt daneben finde, dann ist das ne herbe Enttäuschung.

    Das ist nachvollziehbar, weil man oft dazu neigt, einen Lehrer zu idealisieren und seiner Auslegung der Lehre dann auch gerne folgt. Aber, wie ja schon angemerkt wurde, ist niemand "perfekt". Das gilt natürlich auch für den Schüler, der ehrlich reflektieren sollte, warum er so abwehrend auf eine Belehrung reagiert...

    Die Disziplin und die Zeit obendrauf zu einem ultra stressigen Studium, ne komplette Ernährungsumstellung durchzuführen nach 31 J. Fleisch habe ich einfach nicht, bin ich ganz ehrlich.

    Du hast offenbar doch für dich erkannt, dass Tenzin Palmos Ansatz ein heilsamer ist, fühlst dich aber derzeit überfordert. Kein Grund, gleich "die Brocken hinzuwerfen", Mitgefühl für "alle Wesen" schließt DICH ja mit ein.


    Ich meine...ich verstehe den Buddha so, dass etwas zu tun bzw. etwas zu beginnen wesentlich besser ist als gar nichts zu tun, aber wieso sollte ich diese Lehre besser verstehen als sie? Was mich aber schon schockt ist dieser fast beleidigende O-Ton gegenüber fleischessenden Laien

    Möglicherweise empfindest du es persönlich als "fast beleidigend", es war aber gar nicht so gemeint. Für mich kam es aus tiefstem Herzen und erfüllt von umfassenden Mitgefühl zu dieser "Ermahnung" - immerhin hat sie erreicht, dass du (und viele andere) dich mit dem Thema intensiv auseinandersetzt.



    Zum Schluss möchte ich noch einen weiteren Aspekt erwähnen, der in diesem Thread bisher (meines Wissens) noch nicht angesprochen wurde, nämlich das Mitgefühl mit jenen MENSCHEN, DIE TIERE LIEBEN und LEIDEN, weil (Nutz-) Tieren solche Schmerzen und Qualen bei der Haltung und Tötung zugefügt werden.

    Durch Verzicht auf Fleischverzehr (oder zumindest eine Einschränkung des Fleischkonsums und Beschränkung auf Produkte aus tiergerechter Haltung) kann so viel HEILSAMES bewirkt werden: für Menschen, die tierischen Mitgeschöpfe, das Klima, den gesamten Planeten.....

    So habe ich Tenzin Palmo verstanden.


    Liebe Grüße

    Wirklich liegt alle Wahrheit und alle Weisheit

    zuletzt in der Anschauung. (Arthur Schopenhauer)


    Oh wünsche nichts vorbei und wünsche nichts zurück!

    Nur ruhiges Gefühl der Gegenwart ist Glück. (Friedrich Rückert)

  • Zitat

    worauf gründet Deine Ethik


    Meine Ethik gründet auf dem, was ich von Kindesbeinen an eingeimpft bekam und von Eltern und Gesellschaft lernte. Das ist so wie bei den meisten Menschen. Schon bei Aristoteles waren das Sitten und Gebräuche. Im Laufe der Zeit wurde sie dann genauer durchleuchtet und hinterfragt, und im Laufe der Zenübung entstand eine Verlässlichkeit auf den "Ort des Absoluten", also den Ort, wo sozusagen unser vollständiges und unser unvollständiges Selbst ihre Heimat haben. Man mag es auch so formulieren: den Ort des Erwachens. Von daher ist z.B. klar, dass es nicht nur einen "schönen" Tod gibt, dass ein Tier aber auch nicht so stirbt wie wir usw.


    Das ist auch der Ort der Versenkung. Das, von dem du meinst, ich verstünde es nicht. Und ich zeige hier auf, was es heißen kann, wenn man von diesem Ort aus das praktiziert, was du "formlos" nennst. Das heißt ich mache die Worte, die Huineng in deinem Zitat benutzt, anschaulicher.


    Was du machst, das ist, von "formlos" zu sprechen, und dann im selben Atemzug zu sagen, Huineng habe den Ausdruck im Rahmen einer Bodhisattva-Ordination (also: Form) gebraucht, d. h. offenbar, nach deiner Übersetzung oder der Vorrede davon, als er nicht mehr zu überzeugten Laien redete, sondern zeremoniell. Worauf es ihm offensichtlich ankommt, ist, weder in die Falle der Form noch in die der Leere zu tappen, also vor einem Exzess in beidem zu warnen. Dass jeder zunächst - in diesem Sinn - "in einer (gewissen) Form" steht, das ist schon durch die uns gemeinhin eingeimpfte Grundlage der Ethik gegeben. Es ist aber kaum anzunehmen, dass jemandem, der von Haus aus nicht kapiert hat, dass man üblicherweise nicht tötet, nicht stiehlt und niemandem seine Ehefrau ausspannen soll, das dann erst über sila kapiert, selbst wenn du hier ein nicht weiter definiertes "formloses" Verständnis dieser Regeln zugrundelegst. Letztlich geht es bei dieser "formlosen" Zunahme m.E. genau darum, dass man seine persönliche Antwort und Interpretation findet, z.B. auf das, was in dem Zitat als "Konfrontationen" benannt ist.


    Mein Eindruck ist, dass ich "formlos" als "Freiheit von" verstehen kann, nicht nur die Gelübde selbst haben dann nicht nur eine Form, sondern auch eine Formlosigkeit (d. h. auch Anpassungsfähigkeit, Wandelbarkeit), und das dehnt sich aus bis hin zur Meditation - und dass da nicht jeder mitgeht. Dabei geschieht genau das im üblichen gesellschaftlichen Rahmen, unsere Moral wandelt sich. Wir richten uns nicht mehr (nur) nach Gesetzen, die vor über zweitausend Jahren verfasst wurden. Wenn der (Zen)Buddhist also mit dem formlosen Aspekt Ernst machen will, dann kann er einen ganz gegenwärtigen Umgang mit Regeln, Versenkung und Meditation anstreben. Die Formlosigkeit betont nach diesem Verständnis den Aspekt der jeweiligen Situation im Hier und Jetzt - wie antworte ich darauf, ohne mir ein Stützkorsett (Form) vor Augen halten zu müssen?

    "Ein Mönch, der Fragen stellt und sich unsicher ist, wie er den Geist eines anderen einschätzen mag, soll einen 'Buddha' genau untersuchen, um festzustellen, ob dieser tatsächlich erwacht ist." (Vivamsaka Sutta)

  • Meine Ethik gründet auf dem, was ich von Kindesbeinen an eingeimpft bekam und von Eltern und Gesellschaft lernte. Das ist so wie bei den meisten Menschen. Schon bei Aristoteles waren das Sitten und Gebräuche.

    Das scheint mir eine etwas einseitige Interpretation zu sein. Neben diesen auf 'Gewohnheit' / Herkommen beruhenden ethischen Tugenden postuliert Aristoteles ja ergänzend die dianoetischen Tugenden, die 'aus Belehrung entstandenen'. Aristoteles' Ethikbegriff ist deutlich beschränkter (konkret auf den Bereich normativer Ethik) als der heute im Diskurs übliche.


    Ohne dies nun weiter auszuwalzen: ich verstehe Dich so, dass Ethik für Dich lediglich eine Sache sozialer Konvention ist. Das ist sie auch - aber nicht nur. Ethik als rein kulturelles Konstrukt bedeutet in Konsequenz, dass das herrschende Ethos einer Kultur das Ethos der sie Beherrschenden ist. Ein kulturanthropologischer Vergleich zeigt jedoch ein differenzierteres Bild - zum einen bemerkenswerte partielle Ähnlichkeiten zwischen ethischen Normen sehr unterschiedlicher Kulturen einerseits und die altruistische Ausrichtung der meisten dieser Normen andererseits. Da erscheint mir die 'Mitleidsethik' Schopenhauers doch ein plausiblerer Eklärungsansatz zu sein. Also eine psychologisch / neurologische Grundlage empathischer Natur (gewissermaßen 'angeborene Erleuchtung') an Stelle eines bloßen sozialen Konstrukts; einer Rudel-Hackordnung.


    Empathie wurzelt im Empfinden wechselseitiger Bedingtheit; im Teilen von dukkhata, anatman, anitya. Je tiefer die Empfindung, um so unausweichlicher die daraus gezogene Konsequenz für das dem Empfinden folgende Handeln. Da braucht es - anders als für das Zusammenleben in einer grundsätzlich offenen Übungsgemeinschaft - keine Regeln und Gelübde. Sie stören allerdings auch nicht.

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  • Zitat

    ich verstehe Dich so, dass Ethik für Dich lediglich eine Sache sozialer Konvention ist.


    Nein, auch wenn ich denke, bei dem, was du danach formulierst, sind wir da nicht weit auseinander. Die soziale Konvention ist die Grundlage, und für die braucht es nicht eigens buddhistische Regeln, weil wir eine solche Grundlage auch im westlichen Kulturkreis mitbekommen (nach deiner vorigen Definition die "formhaften" Gebote). In diesem dualistischen Bereich spielen dann auch die von dir angesprochenen Deutungshoheiten eine Rolle.


    Eine tiefere Ethik entsteht von dem von mir beschriebenen "Ort" aus, sie ist also Frucht der Erkenntnis ("formlos"). Wahre Ethik entsteht erst aus Erkenntnis/Weisheit/Erwachen. Daraus handelnd könnte durchaus ein Verhalten entstehen, das nicht gesetzes- oder regelkonform ist, ggf. auch von den Herrschenden sanktioniert wird, aber den Handelnden völlig mit sich im Reinen sein lässt. Aus diesem Grund ist eine solche Ethik ja auch immer verdächtig, weil sich andere fragen, inwiefern sie vielleicht nur Verbrechen, Vergehen oder "Übertritte" legitimieren soll. Mein Eindruck ist, dass bei der Manifestation "formloser" Gelübde einige diesen Gedankengang nicht mehr zulassen, d. h. sie glauben durch irgendeinen Rückbezug auf die form-haften Regeln eine Absicherung für sich zu schaffen, dass solche Übertritte nicht geschehen.

    "Ein Mönch, der Fragen stellt und sich unsicher ist, wie er den Geist eines anderen einschätzen mag, soll einen 'Buddha' genau untersuchen, um festzustellen, ob dieser tatsächlich erwacht ist." (Vivamsaka Sutta)

  • Zitat

    Hätte hier jemand Lust, die Rolle von Ethik im Platform-sutra in einem eigenen Faden zu besprechen?


    Wenn du den Thread aufmachst, kann ich in Kürze einen Artikel zum Thema in Übersetzung beisteuern.

    "Ein Mönch, der Fragen stellt und sich unsicher ist, wie er den Geist eines anderen einschätzen mag, soll einen 'Buddha' genau untersuchen, um festzustellen, ob dieser tatsächlich erwacht ist." (Vivamsaka Sutta)

  • Himmelsbaum : ein zweifellos interessanter Vorschlag, wobei mir persönlich die nachgefragte "Lust" (bzw. Zeit dafür) etwas mangelt. Eine nähere Beschäftigung mit dem Plattformsutra liegt bei mir schon etliche Jahre zurück und ich bin nicht so wild darauf, das wieder aufzugreifen. Jedenfalls wäre es in solch einem Fall sinnvoll, sich auf eine gemeinsame Textgrundlage zu einigen - den frühesten überlieferten Text ('Dunhuang-Fassung'), übersetzt von P. Yampolski, oder den kanonischen Text, übersetzt von J. McRae. Ansonsten gäbe es auf Deutsch die Übersetzung U. Jarands, wenn ich mich recht erinnere im Wesentlichen auf der Kōshōji - Version beruhend. Leider ist in der Übersetzung nicht (z.B. in Fußnoten) vermerkt, wo und warum von der Kōshōji - Version abgewichen wurde. Von der Textentwicklung her liegt diese (songzeitliche) Version zwischen Dunhuang-Version und der mingzeitlichen kanonischen Version (TT2008). Begleitend zu solch einer Diskussion wäre der Sammelband 'Readings of the Platform Sūtra' (ed. Morten Schlütter / Stephen F. Teiser, Columbia University Press 2012) empfehlenswert, insbesondere der Aufsatz 'Ordination and Precepts in the Platform Sūtra' von Paul Groner. Zur Einführung ebenfalls empfohlen: Carl Bielefeldt / Lewis Lancaster, T'an Ching (Platform Scripture), Philosophy East and West 25.II, University of Hawaii Press 1975. Bei ernsthaftem Interesse und wenn man die genannten Texte (bis auf Jarands Übersetzung) nicht im Internet findet, PN an mich.


    Ich verrate sicher kein Geheimnis wenn ich sage, dass meine Sichtweise stark durch Dōgen geprägt ist, der seinerseits - so meine Lesart - auf Nāgārjuna aufsetzend eine Art nicht-diskursives Madhyamaka entwickelt. Das knüpft natürlich an den durch Shenhui mit Huineng in Verbindung gebrachten Pradigmenwechsel zur Prajñāpāramitā (konkret dem Diamantsutra) an; also der 'Verwerfungslinie' zwischen den halb legendären Meistern der Laṅkāvatāra-Schule und dem sich unter der Ägide Shenhuis formierenden 'südlichen' Chan. Das Plattformsutra (in seiner leider verloren gegangenen Urfassung) war ja so etwas wie dessen 'Gründungsurkunde' - wobei sich mittlerweile herumgesprochen hat, dass der von Shenhui vom Zaun gebrochene Streit mit dem 'nördlichen' Chan von ihm ziemlich polemisch geführt wurde. Das vorgebliche Alleinstellungsmerkmal der 'südlichen Schule' (also derjenigen, die Huineng als einzigen 6. Dharmanachfolger Bodhidharmas anerkannten), nämlich die dunjiao-Doktrin ('Lehre unmittelbaren Erwachens'), wurde, anders als unterstellt, auch von konkurrierenden Chan-Linien gelehrt und war im Übrigen auch kein 'Eigengewächs' des Chan, sondern geht auf Daosheng (um 400 n.d.Z.) zurück.


    Eine gewiss nicht unerhebliche Rolle spielte hier der Wettbewerb um die Protektion der Kaiserin Wu Zetian, die ihrerseits auf eine buddhistische Staatsideologie setzte - als Frau war sie für die konfuzianische 'Konkurrenz' inakzeptabel. In der Legende der Baotang-Linie des Chan spielt sie sogar eine wichtige Rolle bei der Übermittlung von Bodhidharmas Robe an Wuzhu. Diese Allianz von Thron und Altar führte dann auch zu einer massenhaften Zunahme von (Laien-)Bodhisattvaordinationen - Wendi Adamek behandelt das recht ausführlich. Nicht zuletzt unter Beamten und Militärs, die damit (möglicherweise vorrangig) ihre Loyalität bezeugten. Diese Ordinationen waren dann auch Anlass von Lehrvorträgen, die ggf. auch aufgezeichnet wurden - eine recht umfangreiche Passage des Plattformsutra (auf die ich bereits verwies) hat als Quelle solch eine Niederschrift und dem Anlass entsprechend spricht Huineng da über 'formlose Zuflucht', über 'formlose Gelübde' bzw. das 'Gelübde der Formlosigkeit'. Man kann - zumindest ich tue dies - mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen, dass der 'Rahmen' / der Kontext dieses Vortrages eine durchaus 'normale', d.h. formelle Initiationszeremonie war und der Vortrag deren Exegese. Ohne formalen Ritus wäre schließlich der staatstragende Aspekt der Veranstaltung weggefallen, dafür gibt's keine Subventionen ...


    Zitat

    Jemand fragte: "Zwei Drachen streiten sich um einen wertvollen Stein. Wer soll ihn bekommen?" Jōshu antwortete: "Der Verlierer entbehrt ihn nicht, der Gewinner braucht ihn nicht."

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  • Hätte hier jemand Lust, die Rolle von Ethik im Platform-sutra in einem eigenen Faden zu besprechen?

    Da es im Platformsutra um die Essenz des einen Geistes geht, gibt es für mich keinen Grund über die Ethik des Sutra zu sprechen. Hier ein Besprechen von Ethik zu führen, lenkt von der Essenz des Sutra ab.

    Der eine Geist hat keine Ethik, ist keine und benötigt keine.

    2 Mal editiert, zuletzt von Noreply ()

  • Es gibt vom Plattformsutra weitere interessante Übersetzungen, eine Aufstellung findet sich hier. Die kanonische Version des chinesischen Ming-Kanon wurde z.B. von Verhoeven/Sere 2014 nochmal ins Englische übersetzt. Auch auf Deutsch gibt diese längere Zongbao-Fassung.

    Antiquarisch vlt. noch Sokei-an: Der sechste Patriarch kommt nach Manhattan, mit m .E. sehr lesenswerten Kommentaren.

    "Ein Mönch, der Fragen stellt und sich unsicher ist, wie er den Geist eines anderen einschätzen mag, soll einen 'Buddha' genau untersuchen, um festzustellen, ob dieser tatsächlich erwacht ist." (Vivamsaka Sutta)

  • Man kann es drehen und wenden wie man will, aber es gibt keine Entschuldigung bzw Ausrede für den Fleischkonsum (etwaige medizinische Ausnahmen vielleicht, von denen ich bis jetzt noch nichts gehört habe)


    Da geht es nur um Gier und Egoismus, und das kommt von jemanden der gerne Fleisch gegessen hat

    Ich lebe jetzt zu 90 % vegan und es genieße trotzdem jede Mahlzeit.

    Meine blutwerte sind super.


    Aber man kann diese Lebensweise den Menschen nicht so einfach aufzwingen.

    Bei mir hätte das vor 20 Jahren nicht funktioniert.


    Vor ein paar Tagen hat hier ein Wissenschaftler einen Vortrag über das Thema gegeben.

    Es würde schon ausreichen wenn die Fleischesser ihren Fleischkonsum um 50 % reduzieren würden.

    Und das schafft doch jeder.


    Unsere Ernte von vorgestern :



    Bitte melde dich an, um diesen Anhang zu sehen.

  • Zitat

    , aber es gibt keine Entschuldigung bzw Ausrede für den Fleischkonsum

    Die Frage ist doch, wer meint, so etwas zu brauchen, eine Entschuldigung oder Ausrede. Das ist jemand, der moralisiert und Leuten ein schlechtes Gewissen machen will. In dem Artikel wird das Hauptproblem, die Überbevölkerung, nicht genug berücksichtigt. Nicht der Fleischkonsum ist das Problem, sondern dass es zu viele Menschen gibt. Diese Vermehrungsmanie ist auch ein Ausdruck von Gier und Egoismus. Dazu kommt eine ebenfalls fragliche Unterstellung: Dass es dieser Überbevölkerung gestattet sein soll, zu überleben.

    "Ein Mönch, der Fragen stellt und sich unsicher ist, wie er den Geist eines anderen einschätzen mag, soll einen 'Buddha' genau untersuchen, um festzustellen, ob dieser tatsächlich erwacht ist." (Vivamsaka Sutta)

  • Diese Vermehrungsmanie ist auch ein Ausdruck von Gier und Egoismus.

    Die momentane Überbevölkerung kommt nicht allein dadurch zustande, weil zu viele Kinder geboren werden, sondern auch, weil die Menschen immer älter werden.


    Zitat

    Bereits 2018 gab es mehr Menschen auf der Welt, die 65 Jahre oder älter waren als Kinder unter fünf Jahren. Bis 2050 wird es mehr als doppelt so viele Alte wie Kleinkinder geben.


    Wie die Überbevölkerung gebremst werden könnte
    Die Bevölkerung auf unserem Planet wächst schnell. Zu schnell. Und das bringt erhebliche Probleme mit sich. Doch was kann man dagegen tun?
    www.quarks.de

    Das ist denn doch nur der Abendwind, der heute mit ordentlich verständlichen Worten flüstert.

  • Zitat

    , aber es gibt keine Entschuldigung bzw Ausrede für den Fleischkonsum

    Die Frage ist doch, wer meint, so etwas zu brauchen, eine Entschuldigung oder Ausrede. Das ist jemand, der moralisiert und Leuten ein schlechtes Gewissen machen will. In dem Artikel wird das Hauptproblem, die Überbevölkerung, nicht genug berücksichtigt. Nicht der Fleischkonsum ist das Problem, sondern dass es zu viele Menschen gibt. Diese Vermehrungsmanie ist auch ein Ausdruck von Gier und Egoismus. Dazu kommt eine ebenfalls fragliche Unterstellung: Dass es dieser Überbevölkerung gestattet sein soll, zu überleben.


    Überbevölkerung ist ein anderes wichtiges Thema, mit verschiedenen Ursachen.

    Das entbindet uns aber nicht davon, unser Konsumverhalten und unseren Fleischkonsum zu überdenken.


    Es geht um die Tiere, die Umwelt (Wasserversorgung, Gülle, Rodungen, Seuchen usw) und den Lebensbedingungen der Menschen.


    Die zukünftigen Kriege werden wegen dem Trinkwasser geführt.

    Wir stehen vor einer ungeahnten Flüchtlingswelle, weil viele Regionen unbewohnbar werden (Hitze,Überschwemmungen, Seuchen).

    Die Welt wird nicht Vegan oder vegetarisch, aber schon 50 % weniger Fleischkonsum ist ein Segen für die Umwelt.


    Und zusätzlich muss man sich im klaren sein, dass die Welt da draußen viel jünger ist als wir.


    Europa wird immer älter und wir werden uns mit jungen verzweifelten Menschen arrangieren müssen, um zu überleben.



    Ich bin mir sicher dass die Welt zwölf Milliarden Menschen verträgt und versorgen kann, aber nicht die Gier von zwölf Milliarden Menschen.


    Und da ist die Reduzierung des Fleischkonsum eine relativ einfache und notwendige Sache.


    Mfg Martin

  • Es wird bereits an Lösungen gearbeitet.


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