Säkularer Buddhismus im Vergleich

  • Aber es gibt ja auch Lehrreden, in denen dies als praktische Erfahrung und nicht als metaphysische Spekulation dargestellt wird.

    Fair enough. Bei den mir bekannten Lehrreden, die in diese Richtung gehen, kommt der säkulare Buddhismus m. E. nicht um eine nicht-wörtliche Lesart herum (z. B. unter Verweis auf den kulturellen oder geistesgeschichtlichen Kontext). Alternativ könnte er die Lehrrede in der wörtlichen Lesart verwerfen mit dem Hinweis auf den aktuellen Stand der Wissenschaft und der Notwendigkeit, den Buddhismus entsprechend fortzuentwickeln.

  • Nach welchen "Spielregeln" der säkulare Buddhismus funktioniert, habe ich noch nicht völlig verstanden. Ich hoffe es läuft nicht auf so etwas hinaus:


    "Wiederum, Sandaka, ist da irgendein Lehrer einer, der Schlußfolgerungen zieht, einer, der Argumente untersucht. Er lehrt ein Dhamma, das mit Schlußfolgerungen erschlägt, das einer Reihe von Argumenten folgt, so wie es sich ihm darstellt. Aber wenn ein Lehrer einer ist, der Schlußfolgerungen zieht, dann sind einige Schlußfolgerungen richtig und andere sind falsch, einiges ist wahr und mit einigem verhält es sich anders."


    "Darüber erwägt ein Weiser so: 'Dieser gute Lehrer ist einer, der Schlußfolgerungen zieht, einer, der Argumente untersucht. Er lehrt ein Dhamma, das mit Schlußfolgerungen erschlägt, das einer Reihe von Argumenten folgt, so wie es sich ihm darstellt. Aber wenn ein Lehrer einer ist, der Schlußfolgerungen zieht, dann sind einige Schlußfolgerungen richtig andere sind falsch, einiges ist wahr und mit einigem verhält es sich anders.' Wenn er also feststellt, daß dieses heilige Leben ohne Inspiration ist, wendet er sich davon ab und verläßt es."


    "Dies ist die dritte Art von heiligem Leben ohne Inspiration, die vom Erhabenen, der weiß und sieht, der verwirklicht und vollständig erleuchtet ist, verkündet worden ist, der folgend ein Weiser das heilige Leben gewiß nicht führen würde, oder wenn er es führen würde, er den wahren Weg, das Dhamma, das heilsam ist, nicht erlangen würde."


    Aber jetzt warte ich erstmal die versprochene Antwort ab.

    Viele Grüße

    Elliot

  • Nach welchen "Spielregeln" der säkulare Buddhismus funktioniert, habe ich noch nicht völlig verstanden.

    Viel geht ja auf Stephen Bachelor zurück:

    Als säkularen Buddhismus bezeichnet man Auffassungen des Buddhismus, die sich von metaphysischen, esoterischen oder magischen Aspekten buddhistischer Traditionen distanzieren.

    Einer der prägendsten Autoren zum Begriff des säkularen Buddhismus ist Stephen Batchelor. Für ihn folgt die Notwendigkeit eines säkularen Buddhismus aus zwei Aspekten:[1]

    • Die Vorstellung einer Reinkarnation passt nicht zum westlichen wissenschaftlichen Weltbild.
    • Die Vorstellung; dass Karma den Kreislauf der Reinkarnation beeinflusst; lässt sich ebenso wenig mit einem wissenschaftlichen Weltbild vereinen

    Seine Argumentation stützt sich also vor allem auf die Vereinbarkeit mit einem "wissenschaftlichen Weltbild" und hier vor allem mit einem "westlichen, wissenschaftlichen Weltbild". Das Wissenschaftlichkeit eine Methode ist während Weltbilder ja immer ideologische Konstruktionen sind und welchen Zündstoff das "westlich" beinhaltet übergeht er eher.

  • Ich hoffe es läuft nicht auf so etwas hinaus

    Diese Gefahr mag bestehen, aber man findet eben auch


    Kalama Sutta (AN 3.65):


    "Do not go upon what has been acquired by repeated hearing; nor upon tradition; nor upon rumor; nor upon what is in a scripture; nor upon surmise; nor upon an axiom; nor upon specious reasoning; nor upon a bias towards a notion that has been pondered over; nor upon another's seeming ability; nor upon the consideration, 'The monk is our teacher.'


    When you yourselves know: 'These things are good; these things are not blameable; these things are praised by the wise; undertaken and observed, these things lead to benefit and happiness,' enter on and abide in them."


    Vimamsaka Sutta (MN 47):


    "Monks, a monk who is an inquirer, not knowing how to gauge another's mind, should make an investigation of the Tathagata."


    (NORBU)


    Diese Aufforderung zu Prüfung und Verifikation unterscheidet den Buddhismus gerade von vielen anderen Weltanschauungen und Religionen. Insofern ist der säkulare Buddhismus m. E. sehr wohl eine Option.

  • Diese Aufforderung zu Prüfung und Verifikation unterscheidet den Buddhismus gerade von vielen anderen Weltanschauungen und Religionen. Insofern ist der säkulare Buddhismus m. E. sehr wohl eine Option.

    Dann dürfte der säkulare Buddhist sich aber nicht nur auf Argumente und Schlußfolgerungen stützen oder nur seine bisherigen Erfahrungen zum Maßstab machen. Sondern er müsste sich auch darauf einlassen, zwecks Prüfung und Verifikation neue praktische Erfahrungen zu machen.


    "Da saß eine Anzahl von Bhikkhus in der Versammlungshalle, wo sie bei der Rückkehr von ihrer Almosenrunde, nach ihrem Mahl, zusammengekommen waren, als diese Erörterung unter ihnen auftauchte: „Es ist wunderbar, Freunde, es ist erstaunlich, wie es vom Erhabenen, der weiß und sieht, der verwirklicht und vollständig erleuchtet ist, gesagt wurde, daß die Achtsamkeit auf den Körper, wenn sie entfaltet und geübt ist, von großer Frucht und großem Nutzen ist.“ Jedoch wurde ihre Erörterung unterbrochen; denn der Erhabene erhob sich, als es Abend wurde, von der Meditation, und er ging zur Versammlungshalle und setzte sich auf einem vorbereiteten Sitz nieder. Dann richtete er sich folgendermaßen an die Bhikkhus: „Ihr Bhikkhus, um welcher Erörterung willen sitzt ihr jetzt hier zusammen? Und was war das für eine Erörterung, die unterbrochen wurde?“


    „Ehrwürdiger Herr, da saßen wir in der Versammlungshalle, wo wir bei der Rückkehr von unserer Almosenrunde, nach unserem Mahl, zusammengekommen waren, als diese Erörterung unter uns auftauchte: ,Es ist wunderbar, Freunde, es ist erstaunlich, wie es vom Erhabenen, der weiß und sieht, der verwirklicht und vollständig erleuchtet ist, gesagt wurde, daß die Achtsamkeit auf den Körper, wenn sie entfaltet und geübt ist, von großer Frucht und großem Nutzen ist.‘ Dies war unsere Erörterung, ehrwürdiger Herr, die unterbrochen wurde, als der Erhabene eintraf."


    „Ihr Bhikkhus, wenn die Achtsamkeit auf den Körper immer wieder gepflegt,
    entfaltet, geübt, als Fahrzeug verwendet, als Grundlage benutzt, verankert, gefestigt
    und gut ausgeübt worden ist, können diese zehn Vorteile davon erwartet
    werden. Welche zehn?“


    ... (IX) „Man sieht mit dem Himmlischen Auge, das geläutert und dem
    menschlichen überlegen ist, die Wesen sterben und wiedererscheinen, niedrige
    und hohe, schöne und häßliche, in Glück und Elend, und man versteht, wie die
    Wesen ihren Handlungen gemäß weiterwandern.“


    Und dabei immer die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Glaube, Energie, Achtsamkeit, Konzentration und Weisheit vielleicht nicht für die eine oder andere Erfahrung ausreichen.

    Viele Grüße

    Elliot

  • Da würde ich schon mitgehen.

    Und dabei immer die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Glaube, Energie, Achtsamkeit, Konzentration und Weisheit vielleicht nicht für die eine oder andere Erfahrung ausreichen.

    Wobei hier eben auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen ist, dass eine vermeintlich mit tradierten Lehrreden übereinstimmende „Erfahrung“ nur eine Fehlwahrnehmung ist.

  • Man kann schon wissen, was säk. Buddhismus ist, wenn man etwas googelt. Was void und flaneur ja getan haben. Es gibt ausser Wikipedia eine Reihe von Aufsätzen, die einfach zu finden sind und eigentlich alle Fragen beantworten.


    Hinsichtlich der Ausgangsfrage wie es sich mit den Auswirkungen von guten und schlechten Taten verhält, hilft dann der gesunde Menschenverstand weiter - wie auch sonst oft: Alles, was wir tun hat eine Auswirkung manchmal auch weit über unsere individuelle Existenz hinaus. Diese ist aber weder kontrollierbar noch moralisch.


    Das bedeutet, im Unterschied zu religiösen Vorstellungen, haben gute Taten nicht automatisch gute Auswirkungen und böse Taten nicht automatisch schlechte Auswirkungen. So ein naives religiöses Konzept finden wir in MN 135. Dort wird behauptet, dass auf bestimmte Taten im Hier und Jetzt in einer nachfolgenden Existenz zwingend bestimmte Auswirkungen erfolgen.


    Solche Vorstellungen machen nicht nur keinen Sinn, sie sind destruktiv bis toxisch. Oder um es buddhistisch zu sagen, unheilsam. Deshalb sind sie nach dem schon zitierten Kalama Sutta abzulehnen.

    "Es gibt nur eine falsche Sicht: Der Glaube, meine Sicht ist die einzig richtige."

    Nagarjuna / 塞翁失馬焉知非福

  • Wobei hier eben auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen ist, dass eine vermeintlich mit tradierten Lehrreden übereinstimmende „Erfahrung“ nur eine Fehlwahrnehmung ist.

    Ja, das lässt sich sicher auch nicht vermeiden.

    Viele Grüße

    Elliot

  • Seine Argumentation stützt sich also vor allem auf die Vereinbarkeit mit einem "wissenschaftlichen Weltbild" und hier vor allem mit einem "westlichen, wissenschaftlichen Weltbild".

    Und bewegt sich damit dann halt mehr oder weniger in dem Horizont eines Ajita Kesakambali.

    Viele Grüße

    Elliot

  • Ajita Kesakambali

    "Die Knochen werden taubenbleich und seine Opfer enden hier, da er nur noch Asche ist. Toren lehren das Geben. Die Lehre derjenigen, die von der Existenz (von Gut, Böse und dem Jenseits usw.) handeln ist leer, falsch, jammervoll. Toren und Weise werden, wenn der Körper zerfällt, abgeschnitten und vernichtet. Nach dem Tode wird nichts mehr sein."


    Buddha benutzt doch diese Aussage dieser Lehre, um sie in den mittleren Weg einzufügen.

    Nach dem Tod ist nichts mehr für das Körperliche, das Körperliche existiert weiterhin, aber zerfallend.

    Ob das Geistige/Ich weiterhin existiert, kann keiner sagen: Es existiert mit dem lebenden Körper, doch ob es nach dem Tod des Körpers weiterhin existiert, hat noch keiner in allgemeiner sichtbar und hörbarer Bestätigung bestimmt.


    Dass das Ich wiedergeboren wird, bestätigt und bestreitet Buddha immer wieder in den dem Hörer angepassten Gesprächen. Für Mönche, die den Strom betreten haben, bezeichnet er die Frage nach dem wiedergeboren Werden des Ich immer als Frage, die nicht beantwortet werden kann, auch nicht von ihm.

    Wenn es hilfreich ist, kann jeder das eine oder das andere glauben, doch eines Tages wird er sich seinem Glauben stellen müssen und einsehen, dass er es erst weiß, wenn er gestorben ist oder eben im Sterben. Sagen kann er es nicht mehr, denn sein Körper ist im Zerfallen.


    So habe ich diese säkulare Aussage aufgefasst und sie deckt sich mit dem, die Leere aushalten, unwissend zu sein und zu bleiben.

    Menschen haben oft Schwierigkeiten, auf das Wesentliche reduzierte Menschen zu verstehen.

    Ein Mensch, der sich auf das Wesentliche reduziert, hat Schwierigkeiten, sich anderen Menschen verständlich zu machen.

    Ich werde den Weg des mich Reduzierens nicht mehr verlassen, kann ich auch nicht.

    Den gehe ich seit Jahrzehnten.

  • Hendrik Danke, es steht um den säkularen Buddhismus also doch so, wie ich befürchtet hatte.


    Würdest du das bitte ausführen?

    "Es gibt nur eine falsche Sicht: Der Glaube, meine Sicht ist die einzig richtige."

    Nagarjuna / 塞翁失馬焉知非福

  • Würdest du das bitte ausführen?

    Deine Antwort hat meinen Eindruck verstärkt, dass es sich dabei um eine Lehre dieser Art handelt:


    "Wiederum, Sandaka, ist da irgendein Lehrer einer, der Schlußfolgerungen zieht, einer, der Argumente untersucht. Er lehrt ein Dhamma, das mit Schlußfolgerungen erschlägt, das einer Reihe von Argumenten folgt, so wie es sich ihm darstellt. Aber wenn ein Lehrer einer ist, der Schlußfolgerungen zieht, dann sind einige Schlußfolgerungen richtig und andere sind falsch, einiges ist wahr und mit einigem verhält es sich anders."


    "Darüber erwägt ein Weiser so: 'Dieser gute Lehrer ist einer, der Schlußfolgerungen zieht, einer, der Argumente untersucht. Er lehrt ein Dhamma, das mit Schlußfolgerungen erschlägt, das einer Reihe von Argumenten folgt, so wie es sich ihm darstellt. Aber wenn ein Lehrer einer ist, der Schlußfolgerungen zieht, dann sind einige Schlußfolgerungen richtig andere sind falsch, einiges ist wahr und mit einigem verhält es sich anders.' Wenn er also feststellt, daß dieses heilige Leben ohne Inspiration ist, wendet er sich davon ab und verläßt es."


    "Dies ist die dritte Art von heiligem Leben ohne Inspiration, die vom Erhabenen, der weiß und sieht, der verwirklicht und vollständig erleuchtet ist, verkündet worden ist, der folgend ein Weiser das heilige Leben gewiß nicht führen würde, oder wenn er es führen würde, er den wahren Weg, das Dhamma, das heilsam ist, nicht erlangen würde."

    Viele Grüße

    Elliot

  • Aber es gibt ja auch Lehrreden, in denen dies als praktische Erfahrung und nicht als metaphysische Spekulation dargestellt wird.

    Diese praktische Erfahrung ("dass es einfache Kausalitäten ... ) können wir doch selbst unmittelbar nachvollziehen ? Als säkularer Buddhist sehe ich Lehrreden vor allem auch als Experimentieranleitung.


    :?


  • Das dachte ich mir schon. Und genau deshalb ist das hier in „Buddhismus kontrovers“ verschoben.


    Darf ich das mal übersetzen? Säkularer Buddhismus ist Rosinenpicking und letztlich Häresie.


    Dein Buddhismus ignoriert, dass die Palitexte keine Einheit bilden. Du findest in ihnen Texte, die sich für das Eine und an anderer Stelle wiederum gegen genau dieses aussprechen. In unserem Fall finden wir Texte, die eine moralische Monokausalität vorstellen, daneben aber auch Texte, die dies verwerfen.


    Daneben gibt es Lesarten des Dharma, die diese Textgrundlage weitgehend verlassen haben und sich ihre eigenen Texte schufen sowie solche, die eine Symbiose verschiedener Religionen und Philosophien sind.


    Du hast Dich nun offenbar für jene erste Variante entschieden, in der Handlungen zwingend moralische Konsequenzen haben, wenn ich richtig deute, was Du schreibst. Mit welchem Recht meinst Du aber nun, die Entscheidung einer ganzen Reihe säkularer Buddhisten, die gute Gründe dafür haben, sich anders zu entschieden, als falsch, als „ohne Inspiration“ als unweise zu bezeichnen? Wie unfassbar arrogant, vor allem aber geschichtsvergessend gegenüber 2.500 Jahren buddhistischer Religions- und Philosopiegeschichte ist das?


    Bevor ich nun folgendes schreibe, möchte ich vorausschicken, dass ich jede Lesart des Dharma respektiere, solange sie heilsam ist. Das ist auch die Grundlage dieses Forums, in dem jeder Mann und jede Frau aus jeder Tradition jederzeit willkommen ist und auf Wohlwollen stößt.


    Ich bin es sehr leid, säkularen Buddhismus zu verteidigen. Denn es ist aus meiner Sicht umgekehrt: Ihr, die ihr an völlig wahllose, austauschbare metaphysische Konzepte glaubt, müsst euch dafür erklären!

    "Es gibt nur eine falsche Sicht: Der Glaube, meine Sicht ist die einzig richtige."

    Nagarjuna / 塞翁失馬焉知非福

  • Hinsichtlich der Ausgangsfrage wie es sich mit den Auswirkungen von guten und schlechten Taten verhält, hilft dann der gesunde Menschenverstand weiter - wie auch sonst oft: Alles, was wir tun hat eine Auswirkung manchmal auch weit über unsere individuelle Existenz hinaus. Diese ist aber weder kontrollierbar noch moralisch.


    Das bedeutet, im Unterschied zu religiösen Vorstellungen, haben gute Taten nicht automatisch gute Auswirkungen und böse Taten nicht automatisch schlechte Auswirkungen. So ein naives religiöses Konzept finden wir in MN 135. Dort wird behauptet, dass auf bestimmte Taten im Hier und Jetzt in einer nachfolgenden Existenz zwingend bestimmte Auswirkungen erfolgen.


    Solche Vorstellungen machen nicht nur keinen Sinn, sie sind destruktiv bis toxisch. Oder um es buddhistisch zu sagen, unheilsam. Deshalb sind sie nach dem schon zitierten Kalama Sutta abzulehnen.

    Das ist genau die Schwachstelle.

    Auf den gesunden Menschenverstand würde ich nicht zurück greifen - denn genau der ist im Buddhismus nicht hilfreich.

    Bei der Frage von heilsamen/unheilsamen oder guten/schlechten Taten ist zunächst ja zu fragen - für wen sind die heilsam etc. Und da geht es im Buddhismus zunächst um die individuelle Existenz und dort ist es kontrollierbar und nach moralischen Kriterien bewertbar. Daher der Hinweis auf die Rede an die Kalamer.

    Solange Gier, Hass und Verblendung wesentlich vorherrschen ist aber der sogenannte Verstand davon bestimmt und keineswegs "gesund", sondern getrübt.


    Ich hatte vor einigen Jahren mal John Boynton Priestley "An Inspector Calls" gelesen und da wird dann gezeigt, wie kleine Handlungen sich zu Katastrophen ausweiten - z.B. jemand beschwert sich über die Bedienung - diese wird gekündigt - und das führt dann durch weitere Verkettungen zum Tod. Allen Handlungen gemeinsam ist die Motivation - Gier, Hass und Verblendung. Seit ich dies gelesen hatte, habe ich eine Hemmung, mich wegen Kleinigkeiten zu beschweren.

    Aber vor allem erkenne ich die unmittelbare miese Wirkung auf mich selbst, wenn ich eine miese Handlung begehe. Deshalb - aus meiner Erfahrung - haben gute Taten unmittelbar gute Wirkungen und böse Taten ebenso. Eine Wirkung ist z.B. die Befreiung - eine gute Tat führt zur Lösung aus der Situation. Schlechte Taten verhaften dich mit der Situation - über das Gedächtnis, den Eindruck, den eine solche Tat, je nach schwere hinterlässt - uvm.


    Die Lehrrede MN 135 sollte man dann aber auch etwas gründlicher lesen, bevor man sie mal so abtut - und auch die Lehrrede MN 136.

    Man sollte dabei auch den Adressaten der Lehrrede nicht vernachlässigen - der Schüler Subha ist ja ein Brahmanen-Schüler. Und die Frage von Subha zielt auf die Aussage, dass die Menschen Eigner ihrer Taten sind. Und dass frühere Taten sich auf gegenwärtige Taten und damit auch auf spätere Taten auswirken. Da muss man noch nicht einmal den Tod dazwischen schalten, es reicht wenn man sich an Gestern, Heute und Morgen hält.

    :zen:

  • Dein Buddhismus ignoriert, dass die Palitexte keine Einheit bilden. Du findest in ihnen Texte, die sich für das Eine und an anderer Stelle wiederum gegen genau dieses aussprechen. In unserem Fall finden wir Texte, die eine moralische Monokausalität vorstellen, daneben aber auch Texte, die dies verwerfen.


    Daneben gibt es Lesarten des Dharma, die diese Textgrundlage weitgehend verlassen haben und sich ihre eigenen Texte schufen sowie solche, die eine Symbiose verschiedener Religionen und Philosophien sind.

    Na ja, diese verzerrte, reine mechanische Kausalität, an die die Leute blind glauben, ohne nachzudenken – da ist doch etwas verkehrtes dran. Der Mensch fragt sich dann: Wenn ich unheilbar krank bin, ist das mein Karma? Bin ich für alles selbst verantwortlich? Das ist, sorry tausendmal, absolute Absurdität, schlimmer geht es nicht.

    Wenn man dieser Logik konsequent weiterfolgt, könnte man ja sogar behaupten, dass die Juden selbst schuld am Holocaust waren – dass sie ihn "verdient" hätten, weil es ihr Karma war. So etwas hat aber mit normaler menschlicher Ethik nichts zu tun und auch nichts darin zu suchen! Es ist erschreckend, dass so viele Buddhisten an diese verblendeten Glaubenssätze in den heiligen Texten wie besessen festhalten.

    Ich denke, man kann immer rational überlegen: Stimmt das alles wirklich, oder nicht? Ist es heilend für mich, oder eigentlich toxisch? Selbst wenn es der Buddha höchstpersönlich gesagt hätte – ich war leider nicht dabei. Ironie, oder?

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

  • Darf ich das mal übersetzen? Säkularer Buddhismus ist Rosinenpicking und letztlich Häresie.

    Nach Rosinenpicking sieht mir das tatsächlich aus. Aber an Häresie hätte ich jetzt nicht gedacht.


    Aber das ist gar nicht der Punkt. Da kommt ein Statement:

    *Ajita Kesakambali*

    D2, 23.: „…Nicht gibt es … eine Frucht, ein Resultat von guten und schlechten Taten. … Nach dem Tode wird nichts mehr sein.“

    Ajita Kesakambali lehrte einen „Materialismus“ und “Nihilismus“, in dem Sinne, dass Körper und Geist eine Einheit bilden und es also keine unveränderliche und ewige Seele gäbe. Hierin stimmte er mit Buddha überein. Im Gegensatz zu Buddha vertrat er aber die Sichtweise, dass es keine Frucht guter oder böser Taten gäbe.

    Für die Antwort auf meine Frage, worin der säkulare Buddhismus eine Frucht guter oder böser Taten sieht, wird dann aber a) nicht eine tatsächliche oder mutmaßliche Stellungnahme eines historischen Buddha herangezogen, sondern es wird der gesunde Menschenverstand bemüht, demzufolge b) es auch gute Taten ohne gute Auswirkungen und böse Taten ohne schlechte Auswirkungen gibt, jedenfalls dem säkulären Anschein nach.


    Dies suggeriert für mich, a) so hätte es der Buddha auch gesehen und b) Ajita Kesakambali aber nicht. Sonst würde seine Sichtweise ja nicht im Gegensatz zu der des Buddha stehen.


    Zumindest was dieses b) betrifft habe ich aber starke Zweifel. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass Ajita Kesakambali das so wie Du gesehen hat. Aber dann bleibt nicht mehr viel Unterschied zwischen seiner Sichtweise und der des (säkularen) Buddhismus.

    Viele Grüße

    Elliot

    Edited once, last by Elliot ().

  • Dein Buddhismus ignoriert, dass die Palitexte keine Einheit bilden. Du findest in ihnen Texte, die sich für das Eine und an anderer Stelle wiederum gegen genau dieses aussprechen.

    Das ist halt ähnlich wie bei einem Kreuzworträtsel: Es kommt vor, dass nur ein einziger Begriff waagerecht möglich erscheint und nur ein einziger Begriff senkrecht, aber es passt nicht an der Stelle, wo sie sich treffen. Meistens liegt der Fehler dann nicht beim Rätselautor, sondern beim Lösenden.

    Viele Grüße

    Elliot

  • Dein Buddhismus ignoriert, dass die Palitexte keine Einheit bilden. Du findest in ihnen Texte, die sich für das Eine und an anderer Stelle wiederum gegen genau dieses aussprechen.

    Das ist halt ähnlich wie bei einem Kreuzworträtsel: Es kommt vor, dass nur ein einziger Begriff waagerecht möglich erscheint und nur ein einziger Begriff senkrecht, aber es passt nicht an der Stelle, wo sie sich treffen. Meistens liegt der Fehler dann nicht beim Rätselautor, sondern beim Lösenden.


    Nein, der Grund ist, dass sich in den Texten die Zeugen viele der mehr als 18 frühbuddhistischen Schulen finden, die damals bereits sehr unterschiedliche Zugänge zum Dharma hatten. Die Versuche all dies in ein einheitliches System zu quetschen, sind zum Scheitern verurteilt.


    Säkularer Buddhismus ist auch eine Reformbewegung, wie es zum Beispiel auch Zen einmal war. Die Frage, die wir uns deshalb stellen, ist, was hat Buddha wohl wirklich gelehrt? Eine Antwort darauf: Es war sicher nicht eine Lehre, die von monokausalen Karmafolgen ausging.

    "Es gibt nur eine falsche Sicht: Der Glaube, meine Sicht ist die einzig richtige."

    Nagarjuna / 塞翁失馬焉知非福

  • Ja, das ist ein nachvollziehbarer Ansatz für jemanden, der ein Kreuzworträtsel nicht gelöst bekommt.


    Wo er nicht weiterkommt, schneidet er die missliebigen Teile heraus und ersetzt sie nach eigenem Gutdünken mit dem, was da der Autor wohl eigentlich gemeint hat.

    Viele Grüße

    Elliot

  • Das ist genau die Schwachstelle.

    Auf den gesunden Menschenverstand würde ich nicht zurück greifen - denn genau der ist im Buddhismus nicht hilfreich.


    Ganz im Gegenteil. Wie hat Buddha den Pfad zum Erwachen gefunden? Durch göttliche Offenbarung sicher nicht. Sondern durch Beobachtung. Das, was Buddha tat, nennen wir heute Empirie. Ohne gesunden Menschenverstand geht da gar nichts.



    Ich hatte vor einigen Jahren mal John Boynton Priestley "An Inspector Calls" gelesen und da wird dann gezeigt, wie kleine Handlungen sich zu Katastrophen ausweiten - z.B. jemand beschwert sich über die Bedienung - diese wird gekündigt - und das führt dann durch weitere Verkettungen zum Tod. Allen Handlungen gemeinsam ist die Motivation - Gier, Hass und Verblendung. Seit ich dies gelesen hatte, habe ich eine Hemmung, mich wegen Kleinigkeiten zu beschweren.

    Aber vor allem erkenne ich die unmittelbare miese Wirkung auf mich selbst, wenn ich eine miese Handlung begehe. Deshalb - aus meiner Erfahrung - haben gute Taten unmittelbar gute Wirkungen und böse Taten ebenso. Eine Wirkung ist z.B. die Befreiung - eine gute Tat führt zur Lösung aus der Situation. Schlechte Taten verhaften dich mit der Situation - über das Gedächtnis, den Eindruck, den eine solche Tat, je nach schwere hinterlässt - uvm.


    Die Geschichte läuft doch nicht zwangsläufig so, wie von Dir geschildert. Das ist, mit Verlaub, doch sehr naiv gedacht. Sie kann auch völlig anders gehen: Die Bedienung wird entlassen und endlich ist sie frei, das zu tun, was sie schon immer wollte und sie wird eine berühmte und gefeierte Künstlerin. Die Variationen sind unendlich. Vielleicht passiert auch überhaupt nichts.


    Du darfst nicht die Effekte vermischen, die sich in deinem Geist abspielen und die ausserhalb davon.


    Die Lehrrede MN 135 sollte man dann aber auch etwas gründlicher lesen, bevor man sie mal so abtut - und auch die Lehrrede MN 136.


    Niemand tut etwas ab. Aber schön, dass du MN 136 nennst. Bereits hier wird ein anderes, etwas abweichendes Konzept ausgebreitet. Abgesehen davon, dass beide Lehrreden als nicht authentisch gelten, sondern als sehr viel später entstanden und nachträglich dem Kanon hinzugefügt.

    "Es gibt nur eine falsche Sicht: Der Glaube, meine Sicht ist die einzig richtige."

    Nagarjuna / 塞翁失馬焉知非福

  • Für die Antwort auf meine Frage, worin der säkulare Buddhismus eine Frucht guter oder böser Taten sieht, wird dann aber a) nicht eine tatsächliche oder mutmaßliche Stellungnahme eines historischen Buddha herangezogen, sondern es wird der gesunde Menschenverstand bemüht, demzufolge b) es auch gute Taten ohne gute Auswirkungen und böse Taten ohne schlechte Auswirkungen gibt, jedenfalls dem säkulären Anschein nach.


    Ganz genau. Aber es gibt dazu auch einen Text aus dem Kanon. Ich schau mal danach und zitiere ihn dann. Er sagt klar, dass die Effekte eine Handlung nicht vorhersehbar sind. MN 135 und MN 136 sind übrigens kein Wort eines historischen Buddha, sondern spätere Hinzufügung.

    "Es gibt nur eine falsche Sicht: Der Glaube, meine Sicht ist die einzig richtige."

    Nagarjuna / 塞翁失馬焉知非福

  • Ja, das ist ein nachvollziehbarer Ansatz für jemanden, der ein Kreuzworträtsel nicht gelöst bekommt.


    Wo er nicht weiterkommt, schneidet er die missliebigen Teile heraus und ersetzt sie nach eigenem Gutdünken mit dem, was da der Autor wohl eigentlich gemeint hat.

    Die nicht-säkularen Buddhismen gehen ja auch nicht anders mit dem Dhamma um. Es wird tradiert was in die hausmeinung der jeweiligen schule passt.

  • Wie hat Buddha den Pfad zum Erwachen gefunden? Durch göttliche Offenbarung sicher nicht. Sondern durch Beobachtung. Das, was Buddha tat, nennen wir heute Empirie.

    Naja - das nannte man auch zur Zeit Buddhas Erfahrung und auch heute meint es Erfahrung. Erfahrung ist nicht nur Beobachtung, sondern auch Praxis. Die Beobachtung ist dabei nicht strukturlos, sondern wird durch Annahmen, also Theorien über den zu beobachteten Gegenstand geführt.

    Und Buddha hatte einige Lehrer und kannte sich mit den damaligen Lehren aus und knüpfte an verschiedene Lehren da auch an. Er war eben kein unbeschriebenes Blatt, aber er stützte sich letztlich auf sich selbst und seine Praxis und Erfahrung.


    Die Geschichte von Priestley ist nur ein Beispiel und will natürlich auch nicht nachweisen, dass die Handlungsnetze überschaubar wären. Dennoch ist jeder von uns ein Handlungsknoten und mit den anderen verknüpft und daher sind die Achtsamkeit auf Rede, Denken und Tun ein Voraussetzung für Befreiung. Da keiner weiß, was durch seine Taten letztlich auch mit bester Absicht ausgelöst werden kann, kommt es nicht darauf an, möglichst weit in die Zukunft zu gucken, sondern man fängt bei sich selbst an und achtet auf Denken, Reden und Tun.


    Ich hatte noch nie Probleme mit der Frage, ob die Lehrreden authentisch sind oder nicht. Das kenne ich von meiner Beschäftigung mit den christlichen Lehren. Ich finde es gut, dass auch im Buddhismus so etwas wie textkritische Debatten statt finden, aber die Ergebnisse lösen ja nicht das tiefer liegende Problem. Der Weg ist zu gehen, sagte Buddha - und ich praktiziere ja Zen, so dass ich noch einen ganz anderen Lehrkanon kenne, bei dem es um Unmittelbarkeit der Erfahrung geht:Triffst du Buddha, töte ihn. Triffst du einen Patriarchen, jage ihn fort - ....

    :zen: